Liebe Frau Lengsfeld,
meine Tochter ist ein Musical-Fan. Sie kennen das vielleicht. Die Männer gehen nicht mit, und deshalb machen wir uns ab und zu im nicht allzu weit entfernten SI-Centrum in Stuttgart einen schönen Mutter-Tochter-Abend. Schöne Musik, ein tolles Bühnenbild, tolle Künstler, einfach mal abspannen.
Beim letzten Mal hat das nicht geklappt. Grund dafür ist, dass ich keine politischen Botschaften hören will, wenn ich ins Musical gehe. Der “Glöckner von Notre Dame” wurde im SI-Centrum an den politischen Zeitgeist angepasst. Anders als in der französischen Version wird ziemlich von der Originalversion von Victor Hugo abgewichen. Bei Hugo hat der katholische Erzdiakon von Notre Dame wird nicht durchweg einen schlechten Charakter – in Stuttgart schon. Ja, die katholische Kirche.
Da kann nichts Gutes dabei rauskommen. Frollo tönt schon am Anfang des Musicals von der Bühne, dass beim Narrenfest “Ausländer, Kriminelle” dabei seien, man “solle die Grenzen schließen”. Im Mittelalter gab es wohl eher Stadttore … und, wie meine Tochter nur ganz leise mir zuflüsterte, ganz so passend fand sie es nicht, dass die Esmeralda von einer schwarzen Künstlerin dargestellt wurde. Aber das sollte keinesfalls rassistisch gemeint sein. Nur, eine Zigeunerin ist doch klassischerweise nicht schwarz … Wir diskutierten unsere politisch unkorrekten Empfindungen in der Pause ganz leise bei einem alkoholfreien Cocktail.
Irgendwie wirkte die Künstlerinnenwahl politisch gewollt, und mich nervte dies. Können wir jetzt nicht einmal mehr Kunst genießen, ohne volksbelehrt zu werden? Ich bin im Westen aufgewachsen. Aber so stelle ich mir die DDR vor.
Etwas später las ich die völlig harmlosen Musicalbewertungen bei TripAdvisor und beschloss, meinem Recht auf freie Meinungsäußerung nachzugehen. Ich schrieb also:
“Meine Tochter ist ein großer Musicalfan und wir waren schon öfter im SI-Centrum in Stuttgart. Im Vergleich mit anderen Musicals ist “Der Glöckner von Notre Dame” eher mittelmäßig. Es gibt nur ein Bühnenbild, das war schön gestaltet ist, aber wenig abwechslungsreich ist (z. B. im Vergleich mit “Tarzan” oder “Der Tanz der Vampire”). Die Musik ist nicht so eingängig und, da ich die kanadisch-französische Version kenne, war ich enttäuscht, dass die Lieder nicht gleich sind. Ich dachte, es wäre überall auf der Welt gleich. Die französische Version ist auch mehr ans Thema Zigeuner angepasst, mit viel Gitarrenmusik und melodisch ebenso angeglichen. Die Künstler in Stuttgart sind stimmlich gut, aber ebenfalls nicht vergleichbar mit der französisch-kanadischen Version. Was mich aber absolut gestört und genervt hat ist, dass Stuttgart partout eine aktuelle politische Botschaft mit dem Musical verbindet. Wieder der Vergleich mit der französischen Version: Gringoire, der Geschichtsschreiber, erzählt von Vagabunden vor den Stadttoren; in Stuttgart ist es der durchweg negativ dargestellte katholische Diakon Frollo, der in scharfem Ton von “Kriminellen” und “Ausländern” sowie “Grenzen schließen” schwadroniert. Ich habe im Netz nachher gelesen, das Musical habe eine “klare aktuelle Botschaft”. Abgesehen davon, dass es historisch gesehen Stadttore und nicht Grenzen sein müssten, finde ich einseitige politische Botschaften bei einem Musical unerträglich – wenn ich die hören will, gehe ich zu einer explizit politischen Veranstaltung und nicht zur Unterhaltung ins SI-Centrum!
Dementsprechend wird Frollo auch nur negativ dargestellt und hat nicht viel mit der Originalversion bei Victor Hugo zu tun, der sich zerrissen zeigt zwischen seinen Gefühlen für Esmeralda und seinem Keuschheitsgelübde. Obwohl die Künstlerin, die Esmeralda verkörpert, eine schöne Stimme hat und gut tanzen kann – und ich persönlich gerne schwarze Künstlerinnen sehe – wirkt es in diesem Zusammenhang aufgesetzt und wiederum politisch erzwungen, dass die Zigeunerin Esmeralda nicht von einer notfalls geschminkten und mit dunkler Perücke versehenen Darstellerin repräsentiert wird.”
Dreimal dürfen Sie raten: TripAdvisor schreibt, man könne meine Kritik leider nicht veröffentlichen. Sie verstoße gegen die Richtlinien. Wenn das nicht doch DDR 2.0 ist …
Grüße
P. L.