Nacht über der Alhambra
Am heutigen Reformationstag lohnt es sich doppelt, in die Vergangenheit Europas zu schauen: Erstens um sich in Erinnerung zu rufen, wie es um die Christenheit vor Luther bestellt war und zweitens, um den Konflikt, der sich gegenwärtig in Spanien um die katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen zusammenbraut, historisch besser einordnen zu können. Wer sich dabei noch unterhalten will, dem sei „Nacht über der Alhambra“ von Sebastian Fleming empfohlen. Es ist der dritte Band der großen Renaissance-Triologie des Autors, der aber in sich abgeschlossen ist.
Die Handlung beginnt in Konstantinopel, das 1453 von Sultan Mehmed belagert wird. Die damaligen tragischen Ereignisse hat Stefan Zweig in „Die Welt von gestern“ prägnant zusammengefasst: In der Stadt wimmelt es von Verrätern, die dem Sultan Informationen liefern. Europa lässt seine letzte christliche Festung im Osten, deren Symbol die prächtige Hagia Sophia ist, schmählich im Stich. Die unzerstörbaren Mauern der Stadt werden von den größten Kanonen beschossen, die ein ungarischer Christ für Mehmed gebaut hat. Mehmeds Kriegsführung, die erst Massen von halbnackten, spärlich bewaffneten Kämpfern in den fast sicheren Tod schickt, um die Belagerten zu ermüden, könnte eine Blaupause für die Strategie von Generalissimus Stalin sein. Aber auch die gut ausgebildeten Elitetruppen drohen, an den Mauern der stolzen Kaiserstadt zu scheitern. Da entdecken muslimische Soldaten eine geöffnete Tür im Festungswall. Ob die Kerkaporta versehentlich offen gelassen wurde, oder Verrat im Spiel war, wird wohl nie geklärt werden können.
Flemings Handlung setzt ein, als die Truppen Mehmeds in die Stadt eindringen, die zur absoluten Plünderung freigegeben wurde. Sein Hauptheld Joanot Julia, später Yaya ibn Catalano, muss zusehen, wie sein Vater und seine beiden älteren Brüder vor seinen Augen geköpft werden. Er selbst wird in die Sklaverei geführt, aber auf Anweisung Mehmeds zum Islam bekehrt und gut ausgebildet. Als Übersetzer leistet er unschätzbare Dienste, weil er die Spitzelberichte, die aus ganz Europa kommen, ins Arabische überträgt.
Mehmed, nicht zufrieden mit der Eroberung Konstantinopels, plant die Rückeroberung ehemals muslimischer Gebiete in Spanien und den Marsch auf Rom. Sein Ziel ist, den Petersdom zum Pferdestall zu machen.
Wie europäische Herrscher und geistliche Würdenträger mit dieser Gefahr umgehen, das schildert Fleming, der für seine sorgfältigen Recherchen bekannt ist, sehr farbig und lehrreich.
Da ist der kastilische König Enrique IV, ein Pazifist, der sich gern maurisch kleidet und jeden Konflikt vermeiden will. Seine Abneigung, Entscheidungen zu treffen und die Sucht, Feinde mit Geld, Privilegien und Gütern zu bestechen, führt in dieser aus den Fugen geratenen Zeit immer wieder zu Kriegen.
Da ist seine Halbschwester Isabel, die als Infantin mehr politisches Gespür und Entschlusskraft hat, als ihr Halbbruder. Sie entscheidet sich schon in jungen Jahren, Königin werden zu wollen, nicht nur von Kastilien, sondern eines geeinigten Spaniens.
Sie entschließt sich, Don Fernando de Aragón zu heiraten, um die Feindschaft zwischen Kastilien und den Katalanen zu beenden, damit sie nicht länger von den muslimischen Emiren gegeneinander ausgespielt werden können.
Der Plan glückt. Isabel und Fernando vereiteln als Isabella die Katholische und Ferdinand der Katholische die Eroberungspläne Mehmeds und tragen erheblich dazu bei, dass Europa christlich bleibt.
Schon vor fünfhundert Jahren war Europa dabei, seine Identität zu verspielen. Es ist heute von seinen selbsternannten „Eliten“ wieder in eine Krise manövriert worden, die nicht nur seine Identität, sondern alle seine emanzipatorischen Errungenschaften bedroht.
Der französische Autor Michel Houellebecq hat kürzlich in einem Spiegel– Interview geäußert, dass der Katholizismus ein wirksames Gegenmittel gegen die Islamisierung sei. Wenn er Recht hat, brauchen wir statt eines Kardinal Marx eine moderne Johanna die Katholische.
Sebastian Fleming: Nacht über Alhambra, Lübbe 2017.