Deutschland in Bussen

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Die Medien mit zweierlei Maß

Von Gastautorin Marion Titze

Als ich gestern meinen E-Mail-Account öffnete, begrüßte mich Google mit der Frage: Was sucht Deutschland zur Bundestagswahl?

Am Tag davor waren da noch Bilder von lustigen Eicheln. Manchmal verstehe ich den Sinnzusammenhang der grafischen Anspielung nicht auf Anhieb. Bei den  bunten Eichelzwergen war es der Wetterbericht, der Aufklärung brachte. Wenn die Eichen ihre Früchte abwerfen – so die kundige Wetterfee -, dann nennen die Meteorologen das Vollherbst.

Jetzt nun von Google wie nebenher die Frage: Was suchen wir, wenn wir am Sonntag wählen?

Ich suche eigentlich nur, was ich am meisten vermisse. Ich vermisse Ehrlichkeit in den Medien. Mag sein, dass ich besonders empfindlich bin, weil ich in meiner Jugend mich dafür eingesetzt habe. Das war nicht leicht damals für einen jungen DDR-Journalisten. Und zwar gar nicht zuerst der Zensur wegen. Es war die innere Zensur, aus der man herausfinden musste. Nun hat es Berichterstattung so an sich, dass man in dem Beruf auf die Realität stößt. Denkschablone trifft Wirklichkeit. Der Konflikt muss dann ausgetragen werden.

Welchen Konflikt hat ein junger Journalist heute? Falls er überhaupt Sinn für die Frage hat, dann dürfte es die Unzufriedenheit des Zuschauers / Lesers mit der Art der Berichterstattung sein. Er findet sie tendenziös.

Hat er recht?

Die meisten Medienarbeiter können nicht sehen, dass er recht hat. Sie geben sich Mühe, sie schauen nach allen Seiten, jeder darf zu Wort kommen, jeder darf alles sagen, Vergleiche mit dem Diktaturfernsehen sind absurd.

Was offenbar nicht absurd ist, ist die Rückkehr der Denkschablone. Innere Zensur scheint nicht an Diktaturen gebunden zu sein, sondern an Ideologien, sprich an die Bereitschaft, zu glauben, man stehe auf der richtigen Seite. Wenn in einer Demokratie die Gesellschaft sich spaltet, kommt plötzlich auch hier die Gretchen-Frage zutage, die nach der richtigen Seite, der richtigen Gesinnung, des politisch korrekten Verhaltens.

An einem Beitrag von 3sat Kulturzeit konnte man das gerade ziemlich gut sehen. Bereits die Ankündigung ließ erkennen, dass man gleich wieder an der Entlarvung rechtslastiger Bevölkerungsteile würde teilnehmen können.

Sind die Protestler, die bei den Wahlveranstaltungen von Angela Merkel Buh! rufen und mit der Trillerpfeife lärmen, wirklich spontane Wutbürger, wurde schon in der Anmoderation gefragt. Oder reisen sie nicht vielmehr organisiert an? Regelrecht verabredet.

Ich glaubte, nicht recht zu hören. Denn Merkel-Fans und die Kanzlerin selbst reisten doch schließlich auch an. Frau Merkel kommt, wenn das Gesetz es erlaubt, sogar im Regierungshubschrauber. Konnte man da ihren Gegnern keinen Bus gönnen?

Aber das, was entlarvt werden sollte, war ja der Mangel an Spontaneität.

Achtung, dachte ich, Achtung Bevölkerung, schön spontan bleiben, sonst kommt der TV-Verfassungsschutz. Und in der Tat war der Beitrag im Stil solcher Haltung gemacht. Die Protestierer, diesmal zum Glück aus dem westlichen Saarland, sollten der Organisiertheit überführt werden.

Aber, so fragte ich mich, wenn das Anreisen in Bussen so unbotmäßig und der Protest selbst so unverschämt ist, warum genierte das nicht beim G20? Busse nach Hamburg aus jedweder Richtung, ein Sonderzug, wenn ich nicht irre. Und eine generalstabsmäßige Vorbereitung.

Nun ja. Man darf nicht zuviel verlangen. Mir würde es zunächst reichen, wenn Journalisten im eigenen Haus, bei ARD und ZDF, recherchierten und fragten, warum sich einkaufende Studiogäste für Talk-Shows in Bussen angefahren werden? Erfreut über soviel Objektivität, würde der Zuschauer sich regelrecht beschützt fühlen. Beschützt vor bestellten Claqueuren, vor Schmierentheater und vor dem sehr unguten Gefühl, in einem Klima der Heuchelei zu leben.

Das baldige Ende eines solchen Klimas und die Rückkehr zu einer fairen, sprich unideologischen Berichterstattung, das ist es, glaube ich, wonach die Deutschen in diesem Vollherbst suchen. Ich würde sogar noch mehr Gebühren bezahlen. So wichtig finde ich das. Und ich stelle es mir soviel leichter vor unter den Bedingungen der Freiheit. Aber vielleicht irre ich mich, und es wird noch ein schmerzlicher Weg sein. Mit Schuldzuweisungen und Abwehr. Mit Unterstellungen und kalkuliertem Gebrauch dessen, was Habermas Herrschaftswissen genannt hat.



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