Okkupation und Unterdrückung? Israel und seine palästinensischen Gebiete

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Zwischen Beer Sheva und Jerusalem, unserem gestrigen Ziel liegt das palästinensische Autonomiegebiet. Ich hatte nicht vor, da durch zu fahren, zumal in meinem Reiseführer stand, dass der Versicherungsschutz für Mietautos in den Gebieten nicht greifen würde.

Auf dem Hinweg leitete das israelische Navi uns auch brav über den Umweg.
In Jerusalem hatte ich zwei Ziele: Das Israel-Museum und die Ausgrabungen in der Davidstadt. Ich hatte einen neuen Reiseführer von Dumont über Jerusalem in der Tasche, dessen Inhalt ich an Ort und Stelle nachprüfen wollte.

Beim Lesen des sehr ansprechend aufgemachten Büchleins stolperte ich allerdings schon auf Seite 25 das erste Mal: unter der Rubrik „Frauen“ steht dort wörtlich: „Die Belästigung von Frauen ist von der Uni bis in die Armee eines der größten Übel in Israel. Obwohl breit in den Medien und in der Öffentlichkeit thematisiert, ist der Prototyp, dem frau begegnet, nach wie vor der oriental macho. In Israel, mehr noch in den palästinensischen Gebieten, gilt daher leider der Rat…dezentes Auftreten und entsprechende Kleidung.“

So wird ein Problem der rückschrittlichen palästinensischen Männer und einiger ultraorthodoxer jüdischer Wohnviertel zum Problem von ganz Israel erklärt. Bei Dumont scheint man lieber eine antisemitische Unterstellung zu drucken, als die Wahrheit über muslimische Frauenfeindlichkeit. Ich kann jedenfalls versichern, dass ich weder an der Ben Gurion Universität Mädchen gesehen habe, die gezwungen waren, sich „dezent“ zu kleiden, um der Anmache ihrer jüdischen Mitstudenten zu entgehen, noch wurde meine viel jüngere und reizvolle Begleiterin Lilly „vom größten Übel Israels“ belästigt. Nur den ständigen Beduinen-Markt, auf dem alle Frauen tief verschleiert waren, haben wir nach ein paar Minuten vorsichtshalber wieder verlassen, weil Lilly dort nicht sicher gewesen wäre.

Bei der Beschreibung der Ausgrabungen in der Davidstadt wird Dumont dann offen antisemitisch. Schon in der Überschrift: „Paläste, Tunnel und Provokationen – die Davidstadt“ wird dem ahnungslosen Touristen klar gemacht, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht: „Seien sie sich darüber bewusst, dass die Davidstadt eine politisch höchst kontroverse Grabung darstellt, hinter der die umstrittene siedlernahe, jüdische Organisation Elat steckt.“ Ob der Ort tatsächlich einen Bezug zum biblischen David hätte, sei „alles andere als bewiesen“.
Es kommt noch schlimmer. Unter der Zwischenüberschrift „Siedler nisten sich ein“ (sic!) wird der Eindruck erweckt, dass die Ausgrabungen, die damit verbundene „Bibelarchäologie und der Aufbau eines wissenschaftlich unbewiesenen David-Mythos zur schleichenden Enteignung instrumentalisiert werden, um für Israel Land zu okkupieren.“ Erste jüdische Siedler hätten schon Häuser „besetzt“ und lebten vom Militär bewacht, unter den 40 000 Palästinensern.

Der Schriftsteller Chaim Noll, mit dem ich auch diesmal unterwegs bin, erzählt mir, dass ihm bei Lesungen in Deutschland immer wieder vorgehalten wird, die Siedler würden den Frieden verhindern und die Palästinenser unmenschlich behandeln. Er antwortet dann in der Regel: „Bitte wiederholen Sie ihre Ausführungen noch einmal und ersetzen Sie dabei das Wort Siedler durch Juden.“ Das konnte oder wollte bisher kein einziger Diskutant. Die meisten fanden das Ansinnen „unfair“. Dabei sind die Siedler Juden.

Chaim erklärt mir auch, warum die Berichterstattung über die Siedler in Deutschland und Europa von Unkenntnis geprägt ist. Den jüdischen Siedlern ist es nach den Festlegungen des Völkerbundes, die 1947 von der UN übernommen wurden, im gesamten ehemaligen britischen Mandatsgebiet gestattet, sich niederzulassen, mit Ausnahme des Landes, das nachweislich Privateigentum von Arabern ist. Wenn auf solchem Land gebaut wurde, mussten die Siedler weichen, wiederholt wurden illegale Siedlungen von der israelischen Polizei geräumt. An allen andern Orten sind die Siedlungen nach geltendem Völkerrecht legal.

Auf dem Rückweg von Jerusalem führt uns das Navi auf einen anderen Weg. Ich dachte mir erst nichts dabei und schob es auf das Einbahnstraßen-System. Dann wurde aber klar, dass wir  komplett anders fuhren. Zuerst sah ich den berühmten Zaun, dann fielen hohe Wälle auf, die offenbar die Schnellstraße vor Steinwurf schützen sollten. Schließlich passierten wir zwei, allerdings unbesetzte, Kontrollpunkte. Wir befanden uns nun im Gebiet der Palästinensischen Autonomie. Für die nächsten rund hundert Kilometer. Mir war nicht ganz wohl bei dem Gedanken an mögliche Komplikationen. Aber vor uns und hinter uns fuhren viele Autos mit gelbem, israelischen Kennzeichen. Die palästinensischen Autos haben weiße oder grüne Nummernschilder. Die Landschaft änderte sich. Die Dörfer sahen ungeordnet und ziemlich vermüllt aus. Aber nicht arm! Die Häuser sind zum Teil sehr groß und wohlhabend, die Autos deutsche Mittelklasse und Oberklassewagen, besonders viel Audis und BMWs. Den Palästinensern geht es weit besser als ihren arabischen Nachbarn in Syrien, Ägypten oder Jordanien. Die meisten, die er kennt, versicherte mir Chaim, würden lieber heute als morgen israelische Staatsbürger werden wie ihre Cousins, die israelischen Beduinen, wegen der Sozialhilfe, der Krankenversorgung und sonstigen Leistungen des Staates.
Wir passierten eines von über hundert joint venture Gewerbegebieten mit israelischen und palästinensischen Firmen, die dokumentieren, wie groß die wirtschaftlichen Verflechtungen inzwischen sind.
Was das Wasser betrifft, das die Israelis angeblich den Palästinensern stehlen sollen, kann ich nicht bestätigen, dass es knapp sei. Ich sah einen palästinensischen Pflanzenmarkt, der großzügig per Schlauchspritze bewässert wurde – und das an einem der wenigen Regentage, die es hier gibt. Chaim fängt sogar das Wasser aus seiner Waschmaschine auf, um seinen Garten damit zu gießen. In Palästina würde man das niemals tun. Wassersparen, wie es die Israelis kultiviert haben – vor allem durch ein entwickeltes Recycling-System – ist ihnen fremd. Der Verbrauch pro Kopf liegt höher als in Israel.

Die Palästinenser erhalten viel Geld, ohne etwas dafür tun zu müssen – von der EU, der UNO, von den reichen sunnitischen Golf-Staaten, aus anderen Quellen. Mir kam der Gedanke, dass sie sich verhalten, wie die Ostdeutschen, die nach der Vereinigung mit Westgeld zugeschüttet wurden und deren Politiker bald lernten, immer neue Forderungen zu stellen und mit Jammern zu unterstreichen, damit weiter Geld fließt. Deshalb gibt es nach 27 Jahren immer noch keine selbsttragende wirtschaftliche Basis in Ostdeutschland und ist auch Palästina alles andere als selbstständig lebensfähig. Kein Wunder, dass die Zweistaatenlösung zwar lautstark propagiert, tatsächlich aber torpediert wird. Einen eigenen Staat müssten die Palästinenser zunächst mit einem Wohlstandsverlust bezahlen, weil dann der „Flüchtlingsstatus“ und die damit verbundenen Zahlungen wegfielen. Dazu ist offenbar niemand bereit.
Wenigstens wirtschaftlich scheinen die verhassten Siedler ein Gewinn zu sein, denn es ist keine Rede mehr davon, dass sie die Gebiete wieder verlassen sollten. Das wäre auch kaum vorstellbar bei mittlerweile rund 700 000 Juden, die in der Westbank und Ost-Jerusalem leben. Es ist nur noch von einem „Siedlungsstopp“ die Rede. Doch auch dieser erweist sich angesichts der stark wachsenden jüdischen Bevölkerung in den „Gebieten“ (die Geburtenrate liegt bei fünf Kindern pro Ehepaar) nicht mehr als realistische Option.

Es wäre höchste Zeit für Deutschland und Europa, die Scheuklappen abzulegen und sich die Realität in Israel und Palästina anzusehen. So lange das nicht geschieht, ist eine Lösung nicht in Sicht.



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