Deutschlands Balken im eigenen Auge

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Die Inhaftierung des früheren taz- und heutigen Welt-Journalisten Deniz Yücel in der Türkei hat einen wahren Sturm entfacht. Medien und Politiker überbieten sich im Bekenntnis zur Meinungs- und Pressefreiheit – in der Türkei.

An der Spitze Kanzlerin Merkel, die in ihrer Aschermittwochrede Respekt vor der Meinung des Anderen einforderte und die behauptete, „wir“ seien stolz darauf, dass wir streiten könnten.

Für die Medien nenne ich stellvertretend einen Kommentar von Georg Restle vom WDR in den Tagesthemen vom 2. März. Nach der Anrede: „Liebe Türken in Deutschland“ (sic!) verurteilte Restle die Abschaffung der Pressefreiheit und die Verfolgung von Andersdenkenden in der Türkei. Er kenne viele Türken und Kurden, in Deutschland und in der Türkei, die sich nicht mehr trauten, offen auszusprechen, was sie dächten. In der Türkei könne man den Job verlieren, wenn man sich frei äußerte.

„Freiheit nur für die Anhänger einer Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei sei keine Freiheit, Freiheit sei immer die Freiheit der Andersdenkenden.“ Dieser Satz von Rosa Luxemburg gelte universell. Restle hat Glück, dass heute praktisch niemand mehr weiß, dass dieser zu Lebzeiten Luxemburgs nicht veröffentlichte Satz nur die Freiheit innerhalb der eigenen kommunistischen Klientel meinte. Allerdings hat der Satz, seit Stefan Krawczyk ihn 1988 für die DDR-Opposition entdeckte, sich von seiner Autorin emanzipiert und ein Eigenleben entfaltet.

Was mich verblüfft, ist, wie sehr die Kritiker der Türkei die Missstände im eigenen Land übersehen. Sie sehen den Splitter im Auge des Anderen, übersehen aber den Balken im eigenen Auge.

Bei den diesjährigen Karnevalsumzügen sind die Motivwagen gegen den islamistischen Terror völlig verschwunden. Statt dessen wurden demokratisch gewählte Politiker durch den Karnevalskakao gezogen. Allen voran Donald Trump, der in Düsseldorf zwei Wagen gewidmet bekam. Auf einem vergewaltigt er die Freiheitsstatue, auf dem zweiten hält die Freiheitsstatue seinen abgeschlagenen Kopf in der Hand. Die Amerikanische Botschaft blieb entspannt und wünschte den Karnevalisten viel Spaß.

Wenig Spaß hatte der Schöpfer eines Themenwagens in Bad Bergzabern, der Merkel als „Volksverräterin“ zeigte. Da eilte sofort der Bürgermeister des Kurortes vor die Kamera, um zu betonen, dass Bergzabern ein weltoffener Kurort sei und keine braune Enklave. Es gab auch Beschwerden von einigen Bürgern und eine Anzeige. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. Für die Freiheit von Andersdenkenden spricht das nicht. Zwar kann man die Bezeichnung „Volksverräterin“ geschmacklos finden, sie ist aber sicher nicht geschmackloser als die Trump-Darstellungen von Düsseldorf, gegen die kein Bürgermeister protestierte. Es gilt nicht mehr der gleiche Maßstab für alle.

Zum Karneval in Deutschland gehörte, dass ein Hamburger Gericht entschied, die Bezeichnung von Deutschen als „Köterrasse“ sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Gilt das dann nicht auch für die Bezeichnung „Köterrassen-Verräterin“?

Ebenfalls in der Karnevalszeit entschied ein Berliner Gericht, dass ein irakischer Offizier, jetzt Asylsuchender, der sich lächelnd mit zwei frisch abgeschlagenen Köpfen der Kamera präsentierte, nur eine milde Bewährungsstrafe zu bekommen hätte. Der arme Mann, dem man glaubte, dass er die Köpfe, die er wie Trophäen präsentierte, nicht selbst abgeschlagen hätte und zum Foto gezwungen worden sei, gestanden die Berliner Richter wegen des angeblich ausgestandenen „Gruppendrucks“ mildernde Umstände zu.

Angeblich soll es auch in Deutschland gefährlich für Journalisten sein, sich brav zum informellen Regierungssprecher zu machen. „Publizieren wird zur Mutprobe“, behauptet eine Studie der Uni Bielefeld.

“Die Journalisten werden angegriffen, weil sie Journalisten sind. Der Hass richtet sich gegen den Berufsstand“. Wie aussagekräftig 400 von 1300 verteilten Fragebogen sind, ist zumindest zweifelhaft. Die absolute Mehrheit der angefragten Journalisten hat nicht geantwortet, fühlt sich also offensichtlich nicht bedroht.

Man hat in den überregionalen Medien jedenfalls noch nichts gehört von angezündeten Journalistenautos, zerstörten Journalistenbüros, auf offener Straße attackierten Reportern, beschmierten Wohnhäusern von Journalisten oder politisch motivierten Wohnungseinbrüchen bei Presseangehörigen.

Solche Erfahrungen bleiben den Mitgliedern der AfD vorbehalten. Die müssen sogar damit leben, dass Linksradikale das Personal von Gaststätten oder Hotels bedrohen, die es noch wagen, ihnen Versammlungsmöglichkeiten zu bieten. Sie müssen es ertragen, dass ihre Nachbarschaft von linksradikalen “Aktivisten“ per Handzettel im Briefkasten oder Poster im Flur darüber „aufgeklärt“ wird, neben einem Mitglied der AfD zu wohnen, mit der Aufforderung, sich zu „wehren“? Wie? Indem der gerechte Bevölkerungs-Zorn dafür sorgt, dass die Angeprangerten aus ihren Wohnungen geworfen werden? Indem man dafür sorgt, dass sie nicht mehr in Hotels unterkommen oder privat Restaurants besuchen? Wenn Lehrer erfahren, dass Eltern von Schülern bei der AfD sind, kommt es schon mal zu Aufforderungen, sich für seine Eltern zu schämen. Das ist Realität in Deutschland. Protest dagegen gibt es selten. Kein Journalist ist bisher auf die Idee gekommen, von Rassismus gegenüber der AfD zu sprechen oder wenigstens daran zu erinnern, dass die gegen die AfD praktizierten Methoden zum Handwerk der düstersten Zeit in unserer Geschichte gehören.

Den Mut, sich für die Freiheit der Andersdenkenden in Deutschland einzusetzen, vermisse ich bei den meisten Politikern und Meinungsmachern unseres Landes.

Wer mit einem Finger auf die Türkei zeigt, auf den weisen drei Finger zurück.

Anmerkung: Dies ist eine korrigierte Fassung des Artikels. Meine in der ursprünglichen Fassung enthaltene Annahme, der Begriff “Rassismus gegen Journalisten” wäre von Studienleiter Spick verwendet worden, trifft nicht zu. In der Studie „Publizieren wird zur Mutprobe“ wird der Begriff „Rassismus gegen Journalisten nicht verwendet. Er fiel in einer Diskussion bei der Vorstellung der Studie, von einem Diskussionsteilnehmer. Meine Schlussfolgerung: Seine wissenschaftlich daherkommende „Studie“ wirft alle Begriffe durcheinander. Dass Journalisten eine „Rasse“ seien, wäre eine ganz neue Erkenntnis. Nein, hier herrscht gesinnungsethische Sprachvergewaltigung”, trifft also nicht zu.



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