Hieronymus Bosch – ein Maler für uns

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Darf man in einer Zeit, die von Terror und Angst geprägt ist, noch schöne Erlebnisse haben? Man darf nicht nur, man muss sie sogar suchen, damit die Angst vor dem Terror nicht übermächtig wird.

Mein schönstes Weihnachtserlebnis war die Entdeckung des Kirchleins im Grünen in Alt Placht, das jetzt zu Templin gehört.

Dieses Kirchlein, gebaut von hugenottischen Flüchtlingen, war bereits dem Untergang geweiht. In den 70er Jahren sollte der „Schandfleck“ abgerissen werden. Im Jahr 1989 drohte das von Gestrüpp überwucherte Gebäude einzustürzen. Statt dessen fiel die Mauer und Kenner aus West und Ost machten sich daran, die Kirche zu retten. Mit Erfolg. Heute ist das von 500-jährigen Linden umgebene Kirchlein ein wunderschöner, geradezu magischer Ort. Perfekt für die innere Einkehr, besonders zur Weihnachtszeit.

Wir hatten das große Glück, dass der Gottesdienst am 1. Weihnachtsfeiertag vom Templiner Pastor Schein gehalten wurde, der traditionell damit eine Bildbetrachtung verbindet. In diesem Jahr hatte er „Die Anbetung der Könige“ von Hieronymus Bosch ausgewählt.

In einer Hütte, die so baufällig ist, wie das Kirchlein in den 70er Jahren war, sitzt Maria mit dem nackten Jesuskind auf dem Schoß. Der Menschensohn ist schutzlos und verletzlich, während Zerfall und Kriegsgeschrei im Hintergrund die Szene beherrschen. Dort greift ein türkisches Heer, der IS des Mittelalters, wie Pfarrer Schein es nennt, an.

 

Aus dem Inneren der Hütte heraus beobachten dubiose Gestalten die Anbetung der Könige. Die Hirten liegen auf dem Strohdach, das sie mit ihrem Gewicht fast zum Einsturz bringen und schauen unbeteiligt in die Ferne. Es ist eine unheimliche, ja feindliche Welt, in die das Kind geboren wurde. Die einzige Hoffnung ist die Frohe Botschaft. Die Kraft dieser Botschaft hat durch mehr als zwei Jahrtausende getragen, durch alle Irrungen und Wirrungen hinweg. Marias Mann Joseph greift nicht zur Waffe, sondern beschäftigt sich, ganz emanzipierter Mann, mit Jesu Windeln, die er über einem Feuer trocknet. Von Maria, dem Kind und den Königen geht ein Friede aus, der stärker ist, als die feindliche Welt. Wie hat Hieronymus Bosch das geschafft?

 

Meine Neugier war geweckt. Zurück in Berlin habe ich sofort die Ausstellung „Hieronymus Bosch: Visions Alive“ besucht, die noch bis Ende Januar in der Alten Münze am Molkenmarkt zu sehen ist.

Es geht sehr spektakulär los: Im ersten Raum werden Bilder und viele Details daraus in HD-Projektionen gezeigt. Der Besucher kann sich setzen und Boschs Phantasiewelt auf sich wirken lassen.

Im Mittelpunkt steht das Triptychon „Garten der Lüste“, dessen reiche Bildsprache für die Zeitgenossen des Malers zu lesen gewesen sein muss, die wir aber kaum verstehen. Das geschlossene Werk zeigt die Erde am dritten Tag der Schöpfung, in einer Kugel ruhend. Gott hat Erde und Wasser voneinander getrennt und die Pflanzen geschaffen.

 

Aufgeklappt zeigt der linke Flügel die Erschaffung Evas, die Adam in ungläubiges Staunen versetzt. Gott hat bei Bosch die Gestalt Jesu angenommen. Die Schlange ist an den rechten Bildrand verbannt, dafür ist die Szene umgeben von allen möglichen Tieren, Kreaturen und Missgeburten, manche der realen, die meisten der Phantasiewelt entstammend.

 

Auch die Welt, in die Adam und Eva hineingestellt wurden, ist trotz ihrer Schönheit keineswegs eine friedliche. Das Paradies, wie es im Mittelflügel zu sehen ist, trägt bereits den Keim von Verderbnis, Zwietracht und Tod in sich. Einerseits ist die Szene voll von Früchten, exotischen und heimischen, Blumen und prachtvollem Getier, andererseits wimmelt es von unbegreiflichen Gestalten. Die nackten Menschen sind ihnen wehrlos ausgeliefert.

 

Wer lange genug verharrt, kann sich viele Details näher ansehen, die in der Fülle schwer wahrzunehmen sind. Die Männerkörper sind eher zart, mit kaum ausgeprägten Muskeln, die Frauen tragen Wallehaar, haben alle Apfelbrüste, gebärfreudige Becken und sinnliche Oberschenkel. Die Figuren strahlen eine unschuldige, unbezähmbare Sexualität aus.

 

Der rechte Flügel bildet die Schrecken der Hölle ab. Die brennenden Städte und Dörfer sollen auf ein Erlebnis des 13-jährigen Bosch zurückgehen, der seine Vaterstadt, die er kaum verlassen haben dürfte, in einem Großbrand untergehen sah. Abgesehen von dem Höllenfeuer, sind alle möglichen und undenkbaren Martern abgebildet. Ein Vogelmensch verspeist eine menschliche Figur, während er Menschen ausscheidet. Ein unheimlicher Baummensch scheint die Sünder zu hypnotisieren. Die Welt des Hieronymus Bosch war eine gewaltsame, in der ein Mensch mehr Gefahren als Freuden kannte. Schönheit und Albtraum waren ineinander verwoben.

 

Was das für eine Zeit war, ist an der hinteren Wand des letzten Raumes der Ausstellung abgebildet. Für jedes Lebensjahr Boschs wird ein bedeutendes Ereignis erwähnt.

 

Kolumbus entdeckte Amerika, auch wenn ihm das noch nicht bewusst war. Leonardo da Vinci entwarf Flugzeuge und malte die Mona Lisa. Martin Luther schlug seine Thesen an die Wittenberger Universitätskirche an und entwickelte Menschen- und Bürgerrechte in seiner Schrift „Von der Freiheit des Christenmenschen“. Zwei deutsche Mönche veröffentlichten den „Hexenhammer“, der die Anklageverfahren und die Hinrichtung von Hexen verbindlich festlegte. Die Türken bedrängten Europa vor Wien. In Deutschland legten aufständische Bauern Klöster und Schlösser in Schutt und Asche und endeten selbst gewaltsam. Erasmus von Rotterdam und Philipp Melanchthon predigten Humanismus. Thomas Morus schrieb seine „Utopia“ und endete auf dem Schafott. Albrecht Dürer stellte den goldenen Schnitt dar, während auf öffentlichen Plätzen Verbrecher gevierteilt wurden. Ein Jahrhundert des Aufbruchs und der Gewalt, das in die Geburt der westlichen Welt mündete.

 

Wir sehen uns heute einem ähnlichen Mix aus wissenschaftlichem Fortschritt und Terror gegenüber, aber es sind keine Geburtswehen, denen wir beiwohnen, sondern Symptome des Ablebens des Westens, wie er vor 500 Jahren entstand. Vielleicht sehen wir deshalb die Bilder von Hieronymus Bosch mit einer gewissen wachsenden Beklemmung.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Beim Weihnachtsgottesdienst im Kirchlein stammte eines der Lieder, die wir sangen, von Friedrich Spee, einem deutschen Mönch, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, den Hexenwahn zu besiegen und den Verbrennungen ein Ende zu setzen. Er hat es geschafft. Die Stärke des Westens war immer, dass er fähig war, seine Fehler und Irrtümer aus eigener Kraft zu korrigieren. Vielleicht trifft das ja bis heute zu.



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