Es gibt wenig idyllischere und gleichzeitig repräsentativere Orte in Berlin, als das berühmt-berüchtigte Haus am Wannsee. Die luxuriöse Villa, einst gebaut, um den Reichtum und die Kultiviertheit eines Berliner Unternehmers zu demonstrieren, ist darauf angelegt, Besucher zu beeindrucken. Man kann sich ihr nicht direkt nähern, sondern muss ein Rondell umrunden, das Einblicke in die exquisite Gartenanlage eröffnet. Betritt man das Gebäude, hat man im Empfangsraum über eine dreistufige Terrasse hinweg einen wunderbaren Blick über den Wannsee.
Hierher kamen am 20.Januar 1942, inzwischen war das Gebäude ein Gästehaus der SS, fünfzehn Männer, um auf Einladung des Chefs des Reichsicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich, eine der folgenschwersten Besprechungen der Menschheitsgeschichte abzuhalten.
Peter Longerich, der langjährige wissenschaftliche Mentor der Gedenkstätte, die sich heute im Haus am Wannsee befindet, hat zu diesem Ereignis ein Buch vorgelegt: „Wannseekonferenz – Der Weg zur Endlösung“.
Zum Zeitpunkt der Konferenz hatten die Massenmorde bereits begonnen. Die Konferenz wurde abgehalten, um „den längst in Gang gekommenen Mordprozess unter der Führung des Reichsicherheitshauptamtes wieder in eine einheitliche Organisation zu bringen.“
Das einzig erhaltene Protokoll dieser Konferenz ist ein herausragendes Dokument, weil es den „Entscheidungsprozess, der zur Ermordung der europäischen Juden führte“ offenlegt.
Die Täter versuchten von Anfang an, ihre Spuren zu verwischen. Entscheidende Anordnungen und Verabredungen gab es nur mündlich, Dokumente wurden vernichtet.
Das Protokoll der Wannseekonferenz enthüllt, welche Stellen beteiligt waren: Sicherheitspolizei, Reichskanzlei, Justiz, Innenministerium, Auswärtiges Amt, zivile Besatzungsbehörden, Rüstungsindustrie und Partei. Es ist „wie eine Momentaufnahme eines im Wesentlichen im verborgenen ablaufenden“ Prozesses, den der Historiker Hans Mommsen als „kumulativen Radikalisierungsprozess“ beschreibt, der eine sich ständig beschleunigende Eigendynamik entwickelte.
Die „Entfernung der Juden aus Deutschland“ war ein zentraler Programmpunkt der Nationalsozialisten, den sie mit ihrer Machtübernahme systematisch zu verwirklichen begannen.
Nach Longerich gab es dabei drei Phasen: Die „ territoriale Lösung“ sah vor, Juden an die Randgebiete in „Reservate“ zu verbannen, wobei mal das noch französische Madagaskar, mal die ebenfalls erst zu erobernden Eismeergebiete der Sowjetunion ins Auge gefasst wurden. In diesen Reservaten sollten die Juden dem langsamen Sterben durch Hunger und Krankheiten ausgeliefert werden.
Der Madagaskar-Plan wurde entwickelt mit dem Hintergedanken, ein „Faustpfand“ in deutscher Hand zu haben, für den Fall, dass die USA in den Krieg eintreten sollten. Damit sollte das „Wohlverhalten“ der amerikanischen Juden sichergestellt werden.
Es folgte der Plan, Juden ins „Generalgouvernement“ und die anschließenden zu besetzenden sowjetischen Gebiete zu deportieren. Die Arbeitsfähigen sollten in der Rüstungsindustrie und beim Straßenbau bis zum Ausfall „durch natürliche Verminderung“ schuften. Nicht-Arbeitsfähige sollten „behandelt“ werden. Damit waren die Voraussetzungen für die Massendeportationen festgelegt. Ursprünglich sollten sie nach Kriegsende erfolgen, mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion gab es jedoch einen erheblichen Radikalisierungsschub. Was mit Erschießungen von „Angehörigen einer vage beschriebenen jüdisch-kommunistischen Führungsschicht“ begann, entwickelte sich sehr schnell zu Massenmord an allen Juden.
Um den Anschein eines Arbeitseinsatzes im Osten aufrechtzuerhalten, wurde ein „Altersghetto“ Theresienstadt geschaffen, ein Lager für Alte, Arbeitsunfähige und Juden mit „besonderen Verdiensten“.
Bei der Wannseekonferenz wurde über das Schicksal von insgesamt 11 Millionen Juden verhandelt, auch aus Ländern, die noch nicht von den Nazis erobert worden waren. Dabei gab es durchaus unterschiedliche Meinungen bei den Teilnehmern, vor allem darüber, wie die „Mischlinge“ zu behandeln seien. Das Innenministerium wollte eine einheitliche Vorgehensweise für alle festlegen, die Besatzungsbehörden wollten eigene Festlegungen treffen. Niemand stellte das Gesamtprojekt, die Vernichtung von 11 Millionen Menschen infrage.
Nach der Niederlage der Nazis setzte die Amnesie ein.
„Die meisten Teilnehmer der Wannseekonferenz, die nach dem Krieg befragt werden konnten, wussten sich angeblich kaum noch an die Besprechung zu erinnern oder meinten, gar nicht anwesend gewesen zu sein.“
Einer der Teilnehmer behauptete auf dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess sogar, es sei darum gegangen, „dass die Umsiedlung der Juden…um des Rufes und des Ansehens des deutschen Volkes willen, in humanitärer Weise vor sich gehen würde“.
Da war das Protokoll noch nicht entdeckt worden. Danach wollte man von einer „Endlösung“ nichts gehört haben. Einer ging sogar so weit zu behaupten, er hätte versucht, sich von „diesem Wahnsinn zu distanzieren“.
Das Protokoll beweist „die Haltlosigkeit der Ausflüchte und die Unverfrorenheit der Lügen“. Das Faksimile des Protokolls ist in der Mitte des Buches abgedruckt und kommentiert. Jeder Leser kann sich so ein eigenes Bild machen.
Der Massenmord wurde Teil der Kriegsstrategie.
Die „besetzten und verbündeten Staaten sollten in die rassistische „Neuordnungspolitik“ einbezogen und durch Beteiligung an einem Verbrechen ohne Beispiel auf Gedeih und Verderb an die deutsche Führungsmacht gebunden werden. Nicht zuletzt sollte auch der deutschen Bevölkerung durch eine Politik des „offenen Geheimnisses“ signalisiert werden, dass man…nun vor der Alternative Sieg oder Vernichtung durch den „jüdischen Weltfeind“ stand. Der Mord an den Juden wurde so zur Klammer der deutschen Kriegs-, Besatzungs- und Bündnispolitik“.
Dafür erfolgte die Weichenstellung auf der Konferenz am Wannsee. Nach Ende der mörderischen Besprechung genossen die beteiligten Herren das versprochene Frühstück.