Passiert man, von Zagreb kommend, die kroatisch-slowenische Grenze, hat man das Gefühl, in Österreich eingereist zu sein. Die gepflegten Dörfer machen einen wohlhabenden Eindruck. Slowenien ist der wirtschaftlich erfolgreichste Staat Ex-Jugoslawiens. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass es hier in den 80er Jahren eine sehr aktive Opposition gegen das kommunistische Regime in Jugoslawien gegeben hat. Ein prominentes Mitglied dieser Opposition war Janez Janša, der später nach den demokratischen Wahlen im April 1990 Verteidigungsminister und ab 2004 für vier Jahre Ministerpräsident wurde. In diesen Jahren trat Slowenien der EU bei und wurde eines der erfolgreichsten Mitglieder. Die Regierung Janša hatte, ähnlich wie die Regierung Schröder, durch umfangreiche wirtschaftliche und soziale Reformen den Grundstein für hohe Wachstumsraten, niedrige Arbeitslosigkeit und steigenden Wohlstand gelegt. Wie Schröder wurde es Janša bei den Wahlen nicht gedankt. Seine Slowenische Demokratische Union (SDZ) musste den Sozialdemokraten die Regierung überlassen.
Ab 2012 war Janša noch einmal Ministerpräsident, im Augenblick ist er Oppositionsführer im Parlament.
Anders als andere europäische Politiker kann Janša auf eine erfolgreiche berufliche Karriere als Publizist zurückblicken. Die startete schon zu sozialistischen Zeiten, als er eine Studetenzeitung leitete, die mit der Publikation regimekritischer Artikel begann. Als sich dann auch die Jugendzeitung Mladina für seine Beiträge öffnete, wurde Janša endgültig zur Gefahr für die Kommunisten. Er wurde im Mai 1988 gemeinsam mit drei anderen Journalisten verhaftet. Der Prozess gegen die Vier wurde zum Symbol des Widerstandes gegen die Nomenklatura, denn die Proteste der slowenischen Öffentlichkeit waren so stark, dass sie nicht unterdrückt werden konnten. Die Massendemonstrationen in Ljubljana und Umgebung und der Beitritt von Zehntausenden zum Komitee für den Schutz der Menschenrechte wurden 1989 zum Slowenischen Frühling.
Anders als die Bürgerrechtsbewegung der DDR war die slowenische Opposition auf einen Machtwechsel vorbereitet. Janša und seine Mitstreiter hatten schon im Frühling 1988 einen Verfassungsentwurf für ein freies Slowenien veröffentlicht, der heute die Grundlage der slowenischen Verfassung bildet.
In Ljubljana ist der Erfolg Sloweniens auf Schritt und Tritt sichtbar. Im Zentrum der Stadt, das vom Fluss Ljubljanka malerisch durchschnitten wird, sind die prachtvollen Häuser komplett restauriert. Sie könnten als Kulisse für einen Mozart-Film dienen, ohne dass etwas verändert werden müsste. Die wunderschöne Dreierbrücke, die beide Teile verbindet, den Fluss aber sichtbar bleiben lässt, ist der Mittelpunkt. Von hier sieht man das Schloss, das auf einem Berg über der Stadt thront, am besten. Mehr als 60 000 Studenten, die an Ljubljanas Universität und Hochschulen studieren, erhalten die Hauptstadt Sloweniens jung. Die vielen Restaurants und Cafés am Flussufer und in den Straßen sind voll besetzt. Die Geschäfte sind elegant, Billigläden nicht zu sehen.
Ein Land der Seligen, ohne große Probleme? Nicht ganz. Die Schatten der Vergangenheit trüben das Bild. Das ehemalige Jugoslawien, den Westdeutschen bekannt als attraktive, aber billige Alternative zu den Sommerfrischen in Italien, Spanien oder Frankreich, hat eine grauenhafte Geschichte, die mit der von Timothy Snyders Bloodlands in der Ukraine und dem Baltikum vergleichbar ist. Der Massenmord, den die Kommunisten während und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg an Männern, Frauen und Kindern verübten, ist in Europa fast unbekannt.
Erst als im Jahre 2009 in einem ehemaligen Bergwerk tausende Leichen von Ermordeten entdeckt wurden, kamen die Verbrechen an die Öffentlichkeit. Allerdings nur in Südosteuropa. In Westeuropa wurde, mit Ausnahme von Österreich, kaum darüber berichtet.
Die Ermittler brauchten mehr als ein halbes Jahr, um in das Massengrab vorzustoßen. Es mussten zunächst Tonnen an Geröll aus dem Bergwerk mit dem bezeichnenden Namen “Huda Jama” (“Schlimme Grube”) beseitigt werden. Die Täter hatten sich sehr viel Mühe gegeben, ihre Gräueltaten vor der Nachwelt zu verbergen. Insgesamt sechs Sperren – aus Beton, Geröll, Lehm und schließlich Holz – mussten bis zum Massengrab durchstoßen werden. In vierhundert Meter Tiefe befinden sich zwei vertikale Schächte, die randvoll mit Leichen waren. Die ersten Opfer sind wohl lebend in die Grube geworfen worden.
Als wir Ljubljana besuchten, waren in der Woche zuvor die Überreste der Ermordeten exhumiert und in einem Gedenkpark bestattet worden. In der lieblichen Landschaft Sloweniens befinden sich 600 weitere Massengräber. Im Land wird leidenschaftlich diskutiert, wie man mit diesem schaurigen Erbe angemessen umgehen soll. Europa beteiligt sich daran nicht, obwohl sich unter den Opfern tausende Menschen befinden, die sich in die britische Besatzungszone geflüchtet hatten, von den Briten aber an die Kommunisten ausgeliefert worden waren.
Dieses Beispiel zeigt, dass es sich nicht um eine isolierte slowenische, auch keine jugoslawische Geschichte, sondern um unsere gemeinsame europäische Geschichte handelt. Nur wenn Europa (West) endlich auch die Geschichte der kommunistischen Verbrechen der Nachkriegszeit aufarbeitet, wird die europäische Vereinigung gelingen.
Es ist kein Zufall, dass Janez Janša auch in dieser Frage seine Stimme erhebt. Menschen wie er sind die wahren Architekten des neuen Europas.