Für alles offen und nicht ganz dicht – der Antipode zur Erklärung 2018

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Von Gastautor Roger Letsch

Da gibt es nun diese „Erklärung 2018“, die eine Sorge zum Ausdruck bringt und die Einhaltung geltenden Rechts fordert. Frech, oder? Man muss diese Sorge natürlich nicht teilen und manche Menschen tun dies auch nicht – zum Beispiel dadurch, dass sie die „Erklärung 2018“ ignorieren. Bei 90.000 Unterzeichnern sind wir von einer Mehrheit noch weit entfernt. Doch nun formiert sich Widerstand gegen unser freches Postulat, Gesetze seien einzuhalten und friedliche Demonstranten nicht zu verprügeln. Es gibt eine bonbonrosa-kuschelige Gegenpetition, die meines Erachtens nach jedoch etwas über das Ziel hinausschießt. In „Unsere Antwort für Demokratie und Menschenrechte“, die von einer Gruppe Berliner Literaten ins Leben gerufen wurde, heißt es edel und knapp:

„Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen, und wenden uns gegen jede Ausgrenzung.“

Das klingt wirklich toll und den ersten Satz würde ich sofort unterschreiben – auch wenn es seltsamerweise immer das Fehlen von Menschenrechten ist, das Menschen überhaupt erst über Grenzen treibt. Auch der Titel ist konsensfähig, denn wer ist schon gegen Demokratie und Menschenrechte! Gut, einige Ausnahmen müsste man da schon machen, ist doch eine wachsende Anzahl unserer Mitbürger der Meinung, dass die Scharia eine noch viel bessere Idee als die Demokratie ist und die Menschenrechte im Koran bereits ausreichend definiert seien, aber komm…wir wollen mal nicht kleinlich sein. Das soll sich ja angeblich mit den Generationen „verwachsen“ und der reinen Lehre von der Demokratie Platz machen. Unser Vorbild gelebter Nächstenliebe ist doch seit Jahren in aller Welt ein Exportschlager!

Und dann ist da ja noch die Solidarität! Die soll man ja immer üben und mit wem, wenn nicht mit den Menschen, denen es dreckig geht. Aber dürfte ich für den zweiten Satz vielleicht eine winzige Änderung der Formulierung vorschlagen? Ich erkläre auch gleich, warum:

„Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht gesucht haben, und wenden uns gegen jede unberechtigte Ausgrenzung.“

Wie sie bemerken, würde ich gern das Perfekt „gesucht haben“ anstelle der Verlaufsform verwenden. Denn dass unsere Gesetze fordern, alle Menschen, die es aufgrund welcher Rechtsbrüche, Kontingente, humanitären Vereinbarungen, legalen Wegen oder wie auch immer in unser Land geschafft haben, anständig und mit Würde zu behandeln, versteht sich ja wohl von selbst! Dazu gehört auch, dass jeder Mensch, der in Deutschland Asyl erhält, hier bleiben darf – was wir bei geringen Anerkennungsquote auch schaffen. Dazu gehört natürlich auch, dass jeder Gast, der hier nur subsidiären Schutz genießt, freundlich aufgefordert wird, in seine Heimat zurückzukehren, sobald die Schutzgründe wegfallen – wir übernehmen sogar die Reisekosten. Ebenso selbstverständlich sollte es sein, dass unser Land allen offen steht, die hier von ihrer Hände Arbeit leben können, sofern diese Arbeit legal ist und sie sich wie alle anderen Bürger an die Gesetze halten. Für andere Gäste muss die Justiz angemessene aber würdevolle Angebote schaffen, die von der Exekutive würdevoll aber mit Nachdruck durchgesetzt werden. Aber ich vermische hier Kontext – derlei rechtsstaatliche und humanitäre Petitessen fordern ja implizit die bösen Beelzebuben und Satansbräute der „Erklärung 2018“. Die „Antwort für Demokratie“ (Darf man das eigentlich AfD abkürzen? AfDuM klingt aber auch nicht besser…) geht gern noch ein paar Schritte weiter.

Die Formulierung nämlich, die in der „Antwort für Demokratie und Menschenrechte“ gewählt wurde, spricht in der Verlaufsform von „Zuflucht suchen“, was in letzter Konsequenz nichts anderes bedeutet, als dass jeder Mensch auf dieser Erde, der vor was auch immer flieht (ihr habt übrigens die „Klimaflüchtlinge“ vergessen, die ja all überall unterwegs sein sollen und die „Feinstaubflüchtlinge“ müssen ja auch bald irgendwo hin), in Deutschland Anspruch auf mindestens das haben sollen, was man „Grundsicherung nach Hartz IV“ nennt. Das scheint mir doch etwas zu ambitioniert zu sein! Bei geschätzt 60 Millionen Flüchtlingen (ohne Klima- und Steuerflüchtlinge) auf der Welt könnte es eng werden bei uns und auf unseren Konten. Falls die Millionen übrigens nicht zu uns finden, sollte man wohl über die Übernahme der Reisekosten ernsthaft nachdenken!

Vielleicht sollte man das aber erst mal im Kleinen versuchen. Deshalb mein Vorschlag: gebt den Unterzeichnern der Petition das Saarland und lasst sie mal machen. Ich würde jedoch darauf bestehen, vorher einen möglichst hohen Zaun drumherum zu ziehen. Was meinen Sie? Ich kann nicht schon wieder das Saarland für eines meiner schrägen Experimente verschenken? Da haben Sie natürlich Recht. Aber vielleicht lässt sich die Petition dennoch umsetzen, nur eben noch kleiner: Jeder der Unterzeichner möge bitte die Zahl der Zuflucht suchenden nennen, die er persönlich bei sich aufnehmen und versorgen möchte – aber bitte menschenwürdig, wir kontrollieren das! Ein Anfang wäre gemacht, Verantwortung wäre übernommen, Gutes wäre geleistet. Am Ende könnten die Unterzeichner beider Petitionen mit dem Ergebnis leben: die einen dürfen in Zukunft demonstrieren, ohne verprügelt zu werden und genießen Rechtssicherheit, während die anderen unbegrenzte Solidarität üben können – solange Kräfte eben reichen. Und nur wenn das Experiment gelingt, skalieren wir das auf’s Land hoch. Deal?

Sie haben es bemerkt, oder? Ich habe noch eine weitere kleine Textänderung vorgenommen und das Wörtchen „unberechtigt“ vor Ausgrenzung gesetzt. Das ist meine Rückversicherung, darauf muss ich bestehen. Denn wir wissen ja, wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht und wer sich gegen „jede Ausgrenzung“ wendet, hat dabei leider meist nicht zuerst sein eigenes Haus als Ziel der Entgrenzung im Sinn, sondern möchte zunächst die Häuser anderer öffnen. Doch die Wohnung des Nachbarn zu requirieren, weil die eigene für die eingeladenen Partygäste zu klein wird, ist mit mir nicht zu machen. Nennen sie es einfach „polnisches Prinzip“. Aber das sollte niemanden daran hindern, große Partys in den eigenen vier Wänden zu feiern und die halbe Welt dazu einzuladen. Ich bereite aber weder die Häppchen zu noch werde ich für den Stromverbrauch aufkommen.

Der Deal gilt doch noch, oder?

Zuerst erschienen in: unbesorgt



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