Von Orwells Engsoz in 1984 wissen wir, dass er nicht vollständig in den untergegangenen sozialistischen Ländern verwirklicht wurde. Es blieb in allen, selbst in der Sowjetunion, noch genügend Luft für die erfolgreiche Entwicklung von Dissidenten, selbst in Leningrad oder in geringerem Umfang, Moskau. Vor allem aber in Sibirien und in den mittelasiatischen Republiken. In Polen und Ungarn konnte die Ideologie nie vollständig Fuß fassen und in der DDR flüchtete die Bevölkerung, sogar viele Genossen von der SED-Nomenklatura, per Fernsehen abends in den Westen.
Das Scheitern des Kommunismus hielt aber keineswegs die Schwabs & Co davon ab, weiter von einer weltumspannenden Herrschaft zu träumen. Nur sind jetzt weniger Staaten die Akteure, sondern Privatunternehmen, wie die Internetkonzerne, die ihre Milliarden Kunden sanft in diese Richtung „nudgen“ wollen, wie es in Neudeutsch heißt. Also, mit unwiderstehlichen Angeboten, die Sicherheit und ein betreutes Leben versprechen, zum Wohlverhalten erziehen.
Der dunklen Seite dieser verlockenden Utopie geht Dave Eggers in seinem neuen Roman „Every“ nach. Es ist die Fortsetzung seines Weltbestsellers „The Circle“ von 2013, der 2017 verfilmt wurde.
Kaum hatte ich die letzte Seite von „Every“ gelesen, schaute ich mir den Film an, an dem Eggers als Drehbuchautor mitgewirkt hat, der also nicht weit vom Original entfernt sein kann. Im „Circle“ handelt es sich um die Geschichte von Mae Holland, die durch eine Freundin eine Anstellung in dem prestigeträchtigen Unternehmen vermittelt bekommt. Für sie ist vom ersten Tag die Beschäftigung auf dem Campus auf Treasure Island, einer künstlich angelegten Insel in der San Francisco Bay, der Traumjob. Sie würde nie wieder wo anders arbeiten wollen. Dafür nimmt sie die Zumutung in Kauf, dass sie vom Unternehmen lückenlos überwacht wird und sich rechtfertigen muss, warum sie, statt an den – natürlich freiwilligen- Wochenend-Aktivitäten auf dem Campus teilzunehmen, ihre Eltern besucht hat und erst am Montag zurückgekehrt ist. „Every – nur eine Dystopie oder schon mehr?“ weiterlesen