Dieses Buch des ehemaligen Bild-Parlamentskorrespondenten Ralf Schuler sollten vor allem diejenigen lesen, die sich fragen, wie es zu den Zuständen kommen konnte, die von einer Mehrheit der Bevölkerung Tag für Tag als bedrückender empfunden werden.
Nach der Friedlichen Revolution 1989/90, die ein bis an die Zähne atomar bewaffnetes totalitäres System friedlich zum Einsturz brachte, glaubten wir, dass dies der Todesstoß für alle totalitären Bestrebungen sei. Man musste nicht der Meinung sein, dass dies das Ende der Geschichte ist, vor allem, weil Demokratie nicht etwas ein für alle Mal Gegebenes ist, sondern täglich verteidigt werden muss. Aber dass eine totalitäre Minderheit der Mehrheit ihre Ideologie diktiert, dachten wir, sollte zukünftig ausgeschlossen sein.
Welch ein Irrtum! Spätestens nach der Corona-Krise fragten sich auch ausgewiesene Linke, in was für einer Gesellschaft wir inzwischen leben. Szenen wie aus einem Horrorfilm: Sterbende werden von ihren Familien isoliert und müssen dem Tod allein erleiden. Kinder werden im Kindergarten maskiert allein in aufgemalte Kreise gesetzt, es wird ihnen verboten, Kontakt mit ihren Freunden zu haben, Nachbarn denunzieren Familien, die mehr als die politisch erlaubten Personen zum Weihnachtsessen empfangen, FFP2-Masken, die als Arbeitsschutzmasken streng ärztlich kontrolliert werden müssen und nicht länger als eine Dreiviertelstunde getragen werden dürfen, werden nicht nur in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln, sondern auch im Freien verordnet. Willkürlich werden Geschäfte, Restaurants, Schulen, Kindergärten und kulturelle Einrichtungen geschlossen. Polizisten hindern Kinder am Rodeln und verfolgen Jugendliche, die sich in Parks treffen, man darf nicht einmal allein auf einer Bank sitzen. Szenen aus einem Horrorfilm, die aber Realität waren. Die Freiheitsrechte suspendiert, der Nächste ist kein Mitmensch, sondern ein Gefährder.
All das war von einem wahren Propaganda-Trommelfeuer begleitet. Jeder Widerspruch wurde brutal unterdrückt. Kaum war das Corona-Narrativ im Begriff, in sich zusammenzufallen, folgte die Ukraine-Krise, in der alle, die meinen, dass es eine Verhandlungslösung geben müsse, zu Friedensschwurblern oder Lumpenpazifisten erklärt werden.
Statt Meinungsvielfalt und Debatten soll es nur noch eine Meinung geben. Wie ist das möglich in einer Demokratie, die eine offene Gesellschaft ist?
Anders als in den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts wird diese Einheitsmeinung nicht durch offenen staatlichen Druck, sondern von einflussreichen Minderheiten erzeugt, im Falle der Transsexuellen-Ideologie sogar von einer Mikro-Minderheit von unter 1% der Bevölkerung. Wie kann das geschehen? Schuler untersucht die verschiedenen Akteure dieses Prozesses: Medien, Kulturschaffende, Institutionen, Unternehmen, Verbände, Politiker, die anstreben oder dazu beitragen, dass der Meinungskorridor immer enger wird.
Die Aktivisten, die diese Gesellschaftsveränderung vorantreiben, können das nur, weil sie breite Unterstützung erfahren, statt gestoppt zu werden.
Eine immer größere Mehrheit der Bevölkerung lehnt Gendern ab, gleichzeitig wird aber in Medien, im Kulturbereich, in der Politik und in der Verwaltung immer mehr gegendert, zum Teil bis zur Unleserlichkeit der Texte, wofür Schuler zahlreiche Beispiele anführt.
Die Sprache war schon immer ein Mittel, mit die Mächtigen ihre Macht gefestigt haben. Die Gedanken sind an Sprache gebunden, wird die Sprache verändert, verändern sich auch die Gedanken, verschwinden Wörter, können sie bald nicht mehr gedacht werden. Was gegenwärtig abläuft, ist als Sprachpanschrei nur unzureichend beschrieben. Es ist der Versuch, tief ins Denken der Menschen einzudringen.
Diktatoren strebten stets kollektivistische Gesellschaften an. Der Einzelne sollte voll und ganz im Kollektiv aufgehen. Dass individuelle Bindungen, Familien und Freundschaften aufgelöst werden sollten, ist in der Geschichte schon häufiger vorgekommen. Aber selbst in einer Diktatur wie der Maos waren es unter der Einheitskleidung immer noch Männer und Frauen. Dass die Geschlechtszughörigkeit auch aufgelöst werden soll, ist bisher nur in dystopischen Romanen vorgekommen. Wenn ein Mensch nicht einmal mehr weiß, ob er Männlein oder Weibelin ist, wird er zur ultimativ formbaren Masse. Wer das für übertrieben hält, dem rate ich, genau hinzusehen, wie weit dieser Prozess bereits gediehen ist.
Während ich diese Zeilen schreibe, nähert sich der 8. März, der Frauentag, eine kommunistische Erfindung, seinem Ende. Während den ganzen Tag über beklagt wurde, dass es angeblich immer noch nicht genug Gleichberechtigung gibt, haben sich Männer in Frauenkleidung längst Positionen in Politik und Medaillen im Sport erobert, die sie als Mann nicht erreicht hätten. Nach dem von der Ampel beschlossenen Gesetz soll jeder jährlich sein Geschlecht auf bloßen Zuruf ändern können. Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor – im Namen von mehr Gerechtigkeit.
Das Drama des letzten Jahrhunderts war, dass totalitäre Bestrebungen nicht rechtzeitig gestoppt wurden. So auch heute. Die Aufarbeitung totalitärer Diktaturen hat es weitgehend versäumt zu untersuchen, was wirksame Gegenmittel sind. In allen Diktaturen gab es Opposition. Es waren immer diejenigen, die sich ihre Individualität und ihr selbstständiges Denken bewahrt haben. Im Grunde hat Immanuel Kant alles Nötige gesagt: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Das ist das einfache, das, wie Bertold Brecht richtig bemerkte, so schwer zu machen ist. Mit der Diktatur oder der Einheitsmeinung ist es vorbei, wenn die schweigende Mehrheit entdeckt, dass sie ihre Stimme einsetzen kann.
Es passiert in dieser Hinsicht schon sehr viel: Es gibt immer mehr freie Medien, Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände, die sich dem herrschenden Zeitgeist entgegenstellen. Es müssen noch mehr werden. Niemand muss gendern, niemand muss glauben, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und dass man sie jährlich wechseln kann. Jeder kann seinen Realitätssinn den immer absurder werden ideologischen Konstrukten entgegenhalten. Die Geschichte lehrt, dass keine totalitäre Bestrebung auf Dauer stärker ist als die Realität.
Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft und wir müssen fordern, dass die demokratischen Spielregeln eingehalten werden. Der Raum, der durch Schweigen und Zurückweichen verloren wurde, kann und muss zurückerobert werden. Schulers Buch ist dafür eine Ermutigung und zugleich ein Leitfaden.
Ralf Schuler: Generation Gleichschritt – Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde