Rom liegt im Latium, das an die Toskana und Umbrien grenzt, aber etwas abseits des touristischen Interesses liegt. Schon die Reisenden der berühmten Grand Tour ließen es eher links liegen, auch heute sind die Besucher aus aller Welt längst nicht so zahlreich, wie in anderen Landesteilen. Wer Rom besucht macht, wenn er genügend Zeit hat, einen Abstecher in die Albaner Berge, vorzugsweise zum Castel Gandolfo, aber das wars dann auch schon.
Das hat durchaus sein Gutes. Hier ist vieles erhalten geblieben, was anderenorts überbaut oder überformt wurde. Hier kann man auf den Spuren der Etrusker wandeln, die so viel zur römischen Zivilisation beigetragen haben, in der sie schließlich aufgelöst wurden. Hier findet man noch Relikte aus der Zeit der Herniker, von denen wir wenig wissen, weil sie nichts Schriftliches hinterlassen haben. Hier kann man Fresken aus dem 11. und 12. Jahrhundert bewundern, die nie übermalt worden sind, weil die Gegend ins weltgeschichtliche Abseits geriet. Außerdem gibt es atemberaubende Ausblicke auf Vulkanseen, das Thyrrhenische Meer, die Berge mit ihren Schwalbennester genannten Dörfern. Dazu ein berühmtes, nur hier zu findendes Licht, das weiche Konturen zeichnet und immer wieder Maler angezogen hat. Grund genug, uns dorthin aufzumachen.
Aber der Reihe nach.
Unsere Reise startete in Berlin mit Ryanair nach Rom. Maske trug nur noch, wer wollte, was nach zwei Jahren Zwang als befreiend empfunden wurde. Wie gut, dass es die Bilder aus dem maskenlosen Regierungsflieger gab! Leider mussten wir auf dem Rollfeld länger als eine halbe Stunde warten, ehe wir abheben duften, weshalb wir in den Feierabendverkehr nach Rom gerieten.
Zum Glück kannte unser Fahrer Ausweichstrecken, so dass wir sogar die berühmte Via Appia Antica überquerten, die nicht im Programm war. Heute sieht sie sehr idyllisch aus. Man kann die nicht überbauten Abschnitte auf dem alten römischen Pflaster erwandern. Die Straße und ihre nähere Umgebung sind als Regionalpark vor weiterer suburbaner Bebauung geschützt. Aber ich musste an die 71 v. Chr. nach der Niederlage des von Spartacus geleiteten Skalvenaufstands gekreuzigten 6.000 seiner Anhänger, die die Schlacht überlebten, denken. Eine Tat, mit der sich der siegreiche Feldherr Marcus Crassus Macht und Einfluss in Rom sichern konnte, seinen Namen aber auf ewig mit Grauen befleckt hat. Crassus endete wenigstens nicht friedlich. Nach der verlorenen Schlacht gegen die Parther im Juli 53 v. Chr. Wurde er während der Kapitulationsverhandlungen getötet. Nach Plutarchs Darstellung soll sein abgeschlagener Kopf im Rahmen einer Feier von einem griechischen Schauspieler während der Aufführung eines Stücks von Euripides präsentiert worden sein:
Unsere erste Station ist Castel Gandolfo, herrlich gelegen über dem Albaner See. Im Palast dieser Stadt residierten seit dem 17. Jahrhundert die Päpste im Sommer, wenn es in Rom brütend heiß war, hier aber vom See immer ein kühlendes Lüftchen aufstieg. Papst Franziskus hat die Residenz aufgegeben. Sie dient seit dem 21. Oktober 2016 als Museum.
Hier war 1767 auch Goethe, der von Rom eine dreiwöchige Auszeit im Haus eines englischen Kunsthändlers nahm. Ihn interessierte weniger die Nähe des Papstes, als eine schöne Mailänderin, mit der er in ein heftiges achttägiges Techtelmechtel verfiel. Aber ach, Maddalena Riggi war verlobt, was Goethe ernüchterte und in Gedanken zur unerreichbaren Charlotte in Weimar zurückbrachte. Als er später Maddalena noch einmal in Rom begegnete, war sie zwar entlobt, aber seine Abreise stand kurz bevor und ohnehin gehörte sein Herz inzwischen einer geheimnisvollen Römerin.
Zum Albanersee gibt es auch eine interessante Geschichte. Er füllte sich im Altertum immer mehr mit Wasser, so dass die höher gelegenen Siedlungen mit Überschwemmung bedroht wurden. In ihrer Not wandten sich die Bewohner an das Orakel von Delphi, das riet, dem abflusslosen See einen künstlichen Ausgang zu verschaffen. Das geschah in Form eines Tunnels. Seit einiger Zeit sinkt der Wasserspiegel. Offiziell heißt es, der Klimawandel sei die Ursache dafür. Der wirkliche Grund sind eher die illegalen Wasserentnahmen, die anscheinend immer noch nicht beendet wurden. Immerhin sind durch den Rückgang des Wassers am Ufer Sandstrände entstanden, wo man baden und einen Drink an den flugs gebauten Strandbars genießen kann. Der See ist noch 170m tief, man kann also hoffen, dass vor seinem endgültigen Verschwinden noch rechtzeitig Schutzmaßnahmen getroffen werden.
Quartier nehmen wir im Hotel Terme in Fiuggi, das ich wegen der wunderbaren Massagen, die man dort bekommt, wärmstens empfehlen kann. Von der Stadt, die auch über ein altes jüdisches Viertel verfügt, habe ich leider nichts gesehen, denn es standen interessantere Orte auf dem Programm.
Unser Ziel am nächsten Tag war Anagni, eine Stadt, die malerisch ein Berg hinabfließt. In Vorzeiten galt der Ort wegen seiner vielen heidnischen Tempel als Hauptstadt der Herniker, eines der untergegangenen Völker der Gegend. Im frühen Christentum errichteten die Bewohner von Anagni über 70 Kirchen. Es diente im Mittelalter als Residenz von Päpsten und Ort von Konklaven. Hier residierten vier Päpste, von denen einer, Bonifatius VIII Berühmtheit erlangte, als er am 7. September 1303 in seiner Residenz von einer Bande bewaffneter in französischen Diensten überfallen und von deren Hauptmann Colonna geohrfeigt wurde. Dann versuchten die Häscher den 68-jährigen Pontifex zu entführen, wurden aber ihrerseits von den beherzten Bürgern attackiert und mussten Bonifatius nach drei Tagen wieder freilassen. Der Vorfall ging als Attentat von Anagni in die Geschichte ein. Bonifaz VIII zog sich nach Rom zurück, wo er nach einem Monat starb. Der Überfall auf ihn wurde Anlass zur Verlegung der Papstresidenz nach Avignon.
Als ob das nicht schon genug Historie wäre, exkommunizierte Gregor IX. Friedrich II, den Kulturförderer und Islamversteher auf dem Thron, gleich zweimal (1227 und 1239) an diesem Ort.
Danach wandte sich die Geschichte von der kleinen Stadt ab, was dazu führte, dass die herrlichen Malereien in ihrer Krypta in zum Teil staunenswertem Erhaltungszustand zu bewundern sind. Unsere Führung durch diese Malereien dauerte zwei Stunden und konnte uns nur einen Teil der Schätze näherbringen. Nicht umsonst wird die Krypta als Sixtinische Kapelle von Latium bezeichnet.
Absolut sehenswert sind auch die Fußbodenmosaiken aus römischer
Zeit, die in ungewöhnlicher Feinheit ausgeführt sind.
Man müsste wenigstens einen Tag in Anagni verbringen, aber die heutigen Reisen sind auf Tempo angelegt. Wir besuchen deshalb Altari, das für seine zyklopischen Mauern berühmt ist. Sie sind auf der Akropolis der Stadt perfekt erhalten geblieben. Der erstaunte Zeitgenosse fragt sich, wie das Volk der Herniker es ohne die modernen Hilfsmittel fertiggebracht hat, diese Riesenblöcke aufeinanderzuschichten. Wir wissen nichts von ihnen, außer dass sie existierten und auf ihren Mauern die römische Zivilisation aufgebaut wurde. Sie haben keine Aufzeichnungen, keine Bilder hinterlassen, nur diese jahrtausendealten Zeugnisse ihrer Baukunst. So viele Völker haben bereits auf der Erde gelebt und sind verschwunden. Ich frage mich, welches Bauwerk des 20. Jahrhungerts solche Zeiträume überdauern könnte. Was hinterlassen wir den künftigen Generationen? Wieso glauben wir, wir seien vor dem Verschwinden gefeit?
Zum Abschluss des Tages besuchen wir die älteste Zisterzinserabtei im Latium in Casamari. Das Kloster wurde wiederum auf den Ruinen der Römerstadt Cereatae errichtet. Es hat seinen Namen (Casa Marii = Haus des Marius) von dem dort geborenen römischen Konsul Gaius Marius. Es war zunächst seit 1009 Kollegialstift des Bistums Veroli und wurde um 1030/1035 in eine Benediktinerabtei umgewandelt. Trotz seiner wechselvollen Geschichte mit Zerstörungen und Plünderungen ist es gelungen, das Kloster als lebendigen Ort bis heute aufrecht zu erhalten. 1929 bildete Casamari eine eigene Zisterzinserkongregation, die einige Klöster errichtete oder wiederbesetzte, speziell in Äthopien, wo das Christentum noch lebendiger ist, als in Europa. Vielleicht kommen ja die Impulse, die für sein Überleben wichtig sind, aus Afrika.