Von Gastautor Steffen Meltzer
Eines schönen Tages erreichte mich der Anruf einer Lehrerin, ob ich organisieren könnte, dass polizeiliche Drogenspürhunde vor den versammelten Schülern und Lehrern auf dem Schulhof einige Ausbildungselemente vorführen. „Kann ich absprechen, machen die bestimmt gern“, so meine zustimmende Antwort am Telefon. Wir unterhielten uns noch eine kleine Weile über den möglichen Ablauf, bis die Pädagogin plötzlich stockte und mit hoher Stimme fragte: Was machen wir eigentlich, wenn einer der Hunde bei einem der Schüler Drogen feststellt? Meine Antwort war: Die Polizei ist dann von Amtswegen verpflichtet, alle strafprozessualen Maßnahmen einzuleiten. Kurzum, das Gespräch fand ein schnelles Ende, sie hat sich nie mehr bezüglich der Suchtmittelspürhunde gemeldet. Nicht nur in Brandenburg pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es an vielen Schulen mehr oder minder geduldete Treffpunkte gibt, an denen die Schüler in den Pausen ihre Tüten rauchen.
Dem will jetzt die Ampel-Koalition mit einer Legalisierungsinitiative Abhilfe schaffen. Raus aus dem ambivalenten Drogen-Schlamassel. Nur das könne den Kinder- und Jugendschutz betreffend Cannabis-“Konsum“ garantieren.
Ich bin kein Mediziner, und mir persönlich ist es egal, ob ein gesunder und stabiler Erwachsener zum Beispiel zweimal in der Woche irgendwo seinen Joint raucht, wenn es denn erlaubt ist. Bei der Einnahme von legalen und illegalen Drogen trifft man auf eine merkwürdige Moral: Die Kettenraucher schauen abschätzig auf die Alkoholiker und diese wiederum auf die Personen, die sich illegale Drogen antun. Dabei kann jede Art von Sucht lebensgefährlich sein und sich vorzüglich dazu eignen, sein Leben zu ruinieren oder gar einen Suizid auf Raten zu begehen. Das gelingt jedoch beispielsweise auch durch Medikamentenmissbrauch, regelmäßiges Schnüffeln von Lacken oder den Verzehr von Teilen einheimischer Wildgewächse, die ganz legal in unseren Breitengraden gedeihen. Verbotsverfügungen wären hier sinnlos, da sich zum Beispiel die Tollkirsche oder der Stechapfel nicht daran halten würden. Da wir aber in Deutschland sind, weiß man nie, wie sich die Lage noch entwickelt.
Ahnungslose Lehrer
Mit Drogen ist es im Prinzip einfach. Was erlaubt ist, darf konsumiert werden, die Menge ist individuell eigenverantwortlich festzulegen. Das ist wie mit scharfen Schusswaffen oder schnellen Autos: In den richtigen Händen richten sie keine Schäden an, in den falschen sind sie tödlich.
Eine gewisse Sehnsucht nach dem Rausch scheint dem Homo sapiens seit vielen tausend Jahren als Grundbedürfnis immanent zu sein, wie die Geschichte uns lehrt. Völlige Alkoholabstinenz soll dagegen lebensverkürzend sein. Viele Erwachsene kennen sich bestens mit den verbotenen Früchten vom Baum der psychedelischen Erkenntnis und deren kunterbunter Farbwelt aus.
Illegale Drogen werden in allen Gesellschaftsschichten eingenommen, vom Herrn Staatssekretär und seinem Polizeiführer angefangen (die sich auch noch erwischen lassen), bis hin zu denen, die schon länger hier leben und/oder dazugekommen sind und ihr Wissen gleich mitgebracht haben. Nicht nur im Görlitzer Park von Berlin.
Immer wieder war mir selbst aufgefallen: Auch in den Schulen hat man spätestens ab dem sechsten Schuljahr mindestens einen Schüler in jeder Klasse sitzen, der als „anerkannter Experte“ Ansprechpartner für die anderen Schüler ist. Die Ahnungslosen sind hier eher die Lehrer.
Hungern oder Kiffen für die „neue Freiheit“?
Wenn in Zeiten strengster Corona-Repressionen, die bekanntermaßen mit massiven Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten verbunden sind, plötzlich von einer geplanten Cannabis-Legalisierung die Rede ist, muss zu Recht aufgehorcht werden. In anderen Bereichen ist man nicht mehr so freiheitsliebend. Die Hessische Landesregierung – mit grüner Beteiligung! – hat bereits die optionale 2G-Regel für die Lebensmittelmärkte ermöglicht. Keine Sorge! Es soll Drogen geben, die auch den Hunger gut zügeln können. „Abnehmen mit Ecstasy!“ klärte mich einst auf einer Veranstaltung eine junge Frau aus dem Hintergrund auf. Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen! Prävention soll keine Animation sein.
Bündnis90/Grüne führen folgende Gründe für eine Cannabislegalisierung ins Feld:
Durch ein „Cannabiskontrollgesetz“ will man den Verkauf der psychoaktiven Substanz in geordnete Bahnen lenken. In lizenzierten Fachgeschäften sollen an „mündige Erwachsene“ ab 18 Jahren durch geschultes Personal Mengen bis zu 30 Gramm Cannabis für den Eigenbedarf abgegeben werden. Alternativ wird es Einzelpersonen erlaubt, drei Cannabispflanzen zu besitzen. Dadurch soll die bisherige Kriminalisierung entfallen, die Polizei müsste nicht die gesamte Klaviatur der Strafprozessordnung abarbeiten. Auch die Staatsanwaltschaft erhielte damit zusätzliche freie Ressourcen. Weil die Erwachsenen ab sofort alle brav im Cannabisshop einkaufen würden, gelänge es endlich, den Kinder- und Jugendschutz zu garantieren. Der Schwarzmarkt und die Organisierte Kriminalität (OK) für illegale Drogen wären beseitigt. Die Jugendlichen hätten keine Gelegenheit, sich illegale Drogen zu verschaffen – soweit der grüne Plan. Außerdem würde auf diese Weise verhindert, dass der THC-Gehalt durch Beimischungen von Blei, Glas oder Mehl verfälscht wird.
Es ist nicht alles schlecht, es wird trotzdem nicht funktionieren
Katharina Schulze geht im BR noch einen Schritt weiter. Über die Frage der Fernseh-Moderatorin, „Wenn der 18-Jährige für die ganze minderjährige Partytruppe Cannabis einkauft, wer kontrolliert das?“ geht sie locker im Schnellsprech hinweg und verweist auf die notwendige Drogenprävention. (Die gab es aber schon immer an den Schulen, und dort wo es sie bisher nicht gegeben hat, wird es sie auch dann nicht geben.) Außerdem will sie die Polizei stärken. Bitte was? Die Grüne Jugend würde diese am liebsten entwaffnen oder gleich ganz abschaffen. Man traut seinen Ohren kaum: Eine Grüne verlangt in Deutschland gut ausgestattete Sicherheitsbehörden, die bei der Organisierten Kriminalität genau hinschauen und die international eng zusammenarbeiten. Das wäre jetzt die To-do-Liste, sagt sie.
Persönlich stehe ich einer Legalisierung gelassen gegenüber. Wir haben es mit einer Parallelwelt zu tun, die nicht einmal mehr im Verborgenen existiert. Sie ist vorhanden, ob erlaubt oder nicht. Rein praktisch gesehen, haben wir heute schon eine faktische Straffreiheit, wenn die Polizei „geringe Mengen zum Eigenbedarf“ feststellt, die von Bundesland zu Bundesland variieren. Man kann sogar „konsumieren“, ohne im Besitz eines Joints zu sein. Eher eine Spielwiese für wendige Advokaten. Drogendelikte sind in der Mehrzahl typische Kontrolldelikte. Die Polizei ist verpflichtet, die gesetzlichen Vorgaben umfangreich abzuarbeiten, die Staatsanwaltschaft hat die Möglichkeit, das Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ einzustellen. Davon macht sie oft Gebrauch.
Wer einen Joint gut verträgt, warum soll der keinen rauchen? Ob verboten oder nicht, das Leben hat die Gesetzgebung längst überholt. Ob das gut ist oder nicht, will ich nicht bewerten. Die Ärzte in den Krankenhäusern, die suchtkranke Menschen, darunter auch Opfer von Cannabismissbrauch behandeln, lasse ich hier aus Umfangsgründen nicht zu Wort kommen. Dennoch: Die möglichen Gefahren – zum Beispiel einer Psychose – zur Kenntnis zu nehmen, kann nicht schaden. Drei Bier in der Woche zu trinken, ist auch kein Problem, fünf große täglich ganz bestimmt. Außer Betracht muss leider auch die medizinische Anwendung von Cannabis bleiben, deren Erforschung noch in den Kinderschuhen steckt. Eine ärztliche Verschreibung wäre ohnehin legal.
Es ist allerdings naiv, von den Grünen anzunehmen, mit einer Legalisierung könne man den Schwarzmarkt und die OK trockenlegen. Die Niederlande, in denen Cannabisprodukte seit vielen Jahren an Einheimische verkauft werden, beweisen punktgenau das Gegenteil. Die Legalisierung zieht viele Touristen an. Da wird nicht nur der bekannte Kriminalreporter Peter de Vries erschossen, sondern auch der Anwalt eines Belastungszeugen. „Schusswaffen, Handgranaten oder Folter“ sind an der Tagesordnung. Wo sich das Drogenmilieu breit macht, blühen auch Geldwäsche sowie Waffen- und Menschenhandel. Antwerpen, Rotterdam, aber auch Hamburg sind schon jetzt in Europa herausragende Drogenumschlagsplätze. Die antiquierten Zuschreibungen von „harten“ oder „weichen“ Drogen haben sich schon seit vielen Jahren erledigt. Ebenso die Annahme, Cannabis wäre eine Einstiegsdroge. Diverse legale und illegale Drogen ziehen immer andere Drogen und Drogendealer an.
„Kaum kontrollierbares Monster“
Gerrit van de Kamp, der Vorsitzende der (niederländischen) Polizeigewerkschaft, nennt das organisierte Verbrechen in seiner Heimat ein „Monster, das kaum noch kontrolliert werden kann“.
Warum soll das ausgerechnet in Deutschland als klassischem Transitland für die OK anders werden? Zwar könnte man durch Legalisierung Ressourcen freischaufeln, die für die Bekämpfung schwerer Banden- und Drogenkriminalität nötig wäre. Nur wäre das nicht einmal der Tropfen auf den heißen Stein.
Als es Polizeibehörden in den Niederlanden und Frankreich gelang, ein Netzwerk organisierter Drogenbanden mit dem Namen „EnchroChat“ zu knacken, hatte das erhebliche Auswirkungen auf Deutschland. Eine Anfrage von Springers „Welt“ an die Justizministerien der Länder ergab: Allein in Berlin rechnet die Justizverwaltung aktuell mit 650 neuen Verfahren, die in den kommenden Jahren bearbeitet werden müssen. In Hamburg sind es 200 Ermittlungsverfahren mit insgesamt 300 Beschuldigten, in Bremen 143. Auf Schleswig-Holstein kommen 116 Ermittlungsverfahren zu, auf Bayern 38, auf Rheinland-Pfalz 77 und auf Sachsen etwa 70. In Berlin müssen die Behörden 1,6 Millionen Datensätze zusätzlich auswerten.
Aus welchem Land, meinen die Grünen, wird der illegale Cannabis-Bedarf für Deutschland abgedeckt? Zu einem sehr großen Teil aus den Niederlanden. Dorther also, wo man diese Droge legal erwerben kann. Na dann liebe Grüne, rüstet mal die Polizei für die Zukunft auf! Ich bin gespannt.
Kommen wir zur vielgepriesenen „Drogenprävention“. Wer tatsächlich verhindern will, dass Kinder und Jugendliche nicht nur aus Neugierde, sondern zur Frustbewältigung Drogen nehmen, muss deren Gegenwart wieder lebenswert gestalten. Stundenlanges braves Sitzen mit einer behindernden Gesichtsmaske in der Schule, regelmäßige Corona-Tests, monatelange Isolierung von Schule, Freunden und Sportkameraden haben zu einem hohen Anstieg an psychischen Störungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen geführt. Die einzigen tatsächlichen Triagen gab es in den Krankenhäusern der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Cannabiserfahrung hatten im Jahr 2019 bei den 12- bis 17-jährige Jungen: 11 Prozent, bei den 18- bis 25-jährigen Mädchen 18,5 Prozent und bei den 18- bis 25-jährigen Jungs 29 Prozent. Tendenz stark steigend.
Dein Körper gehört Dir!
Jahrelang habe ich beruflich und in meiner Freizeit in Kinder- und Jugendschutzorganisationen den Heranwachsenden beigebracht: „Nur du bestimmst über deinen Körper“. Als die Corona-Krise kam, war mit einem Schlag alles dahin. Kindern musste gesagt werden, sie wären eine Gefahr für ihre Großeltern, diese könnten an Corona sterben, falls sie nicht den Anweisungen der Erwachsenen, der Schule und des Staates Folge leisteten. Kinder sollten und sollen sich impfen lassen, damit sie Erwachsene nicht gefährden, und andere Ungereimtheiten. Eine angstmachende Sau nach der anderen wurde hysterisch in pädagogisch völlig unverantwortlicher Art und Weise durchs Dorf getrieben. So wurden selbst Kinder und Jugendliche bereits sehr frühzeitig motiviert und konditioniert, ihren dysfunktionalen Stress, ihre Ängste und Depressionen auch durch Cannabis o.a. illegale Drogen zu „kompensieren“. Nach einem Bericht des UNO-Kinderhilfswerkes UNICEF, sind Suizide die zweithäufigste Todesursache unter den jungen Menschen in Europa. 19 Prozent der Befragten zwischen 15 und 25 Jahren fühlen sich häufig deprimiert und antriebslos. Die derzeit beste Drogenprävention wäre, die dauerhaft erzeugte Panikwelle zu beenden.
Ausgerechnet in Zeiten der zermürbenden Corona-Repressionen will man den Erwerb von Cannabis ins offizielle gesellschaftliche Leben einführen. Dieses Anliegen wurde seit Wochen in der öffentlichen Wahrnehmung systematisch in den Vordergrund geschoben. Wenn die Verbots- und Bevormundungsakteure plötzlich die Cannabis-Legalisierung populistisch mit der „Selbstverantwortung mündiger Erwachsener“ sowie dem „Kinder- und Jugendschutz“ begründen, muss man die Ehrlichkeit der Argumentation und die abzuarbeitende Rangfolge politischer Schwerpunkte in den Koalitionsverhandlungen hinterfragen.
Steffen Meltzer ist Herausgeber und Mitautor und der Buchneuerscheing „Die hysterische Republik“.