Am vergangenen Dienstag ist relativ unbeachtet von der Öffentlichkeit das Berliner Schloss für den Publikumsverkehr geöffnet worden. Dass dieses architektonische Kleinod heute wieder Berlins Mitte ziert, ist der Hartnäckigkeit von Bürgern zu verdanken, die entschlossen waren, eine von Krieg und Zerstörung durch die SED gerissene Wunde im Stadtbild zu heilen.
Das Schloss war besonders in den Tagen des sinnlosen Endkampfs um Berlin stark in Mitleidenschaft gezogen worden, stand aber noch und wurde bis 1950 teilweise genutzt, vor allem für Kunstausstellungen. Damit wurde eine in der Weimarer Republik begonnene Tradition fortgesetzt, den von den Hohenzollern nach der Abdankung des Kaisers verlassenen Palast für das Kunstgewerbemuseum und zahlreiche Vereine und Künstlerinitiativen zur Verfügung zu stellen. Aber SED- und Staatschef Walter Ulbricht wollte einen Aufmarschlatz für Demonstrationen und gab den Befehl, das Gebäude abzureißen. Angeblich soll staatlicherseits der Auftrag erteilt worden sein, das Gebäude vorher zu dokumentieren. Das ist die Lesart, der sich die Leitung des Humboldt-Forums angeschlossen hat, auch wenn sie einräumen muss, dass die Zeit bis zum Abriss viel zu kurz dafür war. Die andere Lesart ist, dass die Dokumentation und die Rettung etlicher Kunstwerke vor der Zerstörung die Initiative eines Berliner Kunstdozenten und seiner Studenten gewesen ist. Dazu passt auch die nicht ausreichende Zeit besser.
Das Schloss wurde gesprengt, obwohl sich eine Bürgerinitiative, der sich auch Bertold Brecht und der Regisseur Erwin Piscator angeschlossen hatten, mit guten Gründen dagegen aussprach. Aus dem in Marx-Engels-Platz umbenannten Schlossareal wurde eine öde, zugige Freifläche, ein Riesenloch mitten in Berlin.
Das dies auf die Dauer nicht so bleiben konnte, war dem Nachfolger von Walter Ulbricht, Erich Honecker klar. Im Jahre 1973 begannen die Bauarbeiten zum „Palast der Republik“, der angeblich ein Palast des Volkes sein sollte, aber nie geworden ist.
Damit die Bauarbeiten schnell vorangingen, wurden Bauarbeiter aus der ganzen Republik nach Berlin abgezogen. wichtige Bauvorhaben in den Bezirken bleiben dafür liegen, darunter Krankenhäuser, Wohnungsbauten und Forschungseinrichtungen.
Neben Asbest wurden wertvolle Baumaterialien eingesetzt, zum Beispiel Carrara-Marmor für die Fassadenverkleidung. Deshalb verschwand regelmäßig Material von der Baustelle. Als ich 1976 zu einer Künstlerparty in einem Hinterhaus im Prenzlauer Berg eingeladen wurde, leuchteten die Wände der Küche und des Aborts auf dem Treppenabsatz marmorn. Es handelte sich tatsächlich um Palast-Marmor, der auf dunklen Pfaden in den Prenzlauer Berg gefunden hatte.
Auch die Sanitär-Keramik und die Armaturen aus dem Westen mussten immer wieder nachgekauft werden. Im Land, wo Plastewasserhähne eine begehrte Bückware waren, galten Chromarmaturen als Luxus. Als der Palast fertig gestellt wurde, nannten ihn die Berliner „Palazzo prozzo“ oder „Erichs Lampenladen“, beides keine Spitznamen, die auf Beleibtheit schließen lassen.
Aber prächtig war das Innere wirklich, vor allem das Foyer, mit seiner Kunst und Blumenkübeln mit Hyazinthen und anderen Blumen, die im DDR-Handel nicht zu haben waren. Es gab zahlreiche Restaurants und Cafés, aber nicht alle waren für Leute ohne Devisen zugänglich. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem holländischen Freund alleiniger Gast in einem Restaurant war und wir auf der leeren Fläche Rock´n Roll tanzten, wofür wir in einer normalen Gaststätte sofort rausgeschmissen worden wären. Aber für die harte DM war vieles möglich. Eine Bowlingbahn gab es auch – nie gehört in der DDR. Allerdings musste man zwei Jahre warten, ehe man dort eine Kugel schieben konnte.
Mehrere Wochen im Jahr war der Palast für die Öffentlichkeit geschlossen, weil Partei, FDJ oder Gewerkschaft ihre Partys feierten. Die Volkskammer, die in einer Ecke untergebracht war, tagte ab und zu. Auch Fernsehsendungen wurden dort gedreht. Die meisten DDR-Bewohner werden den Palast nur durch „Ein Kessel Buntes“ gekannt haben.
Nach den ersten freien Wahlen wurde der Palast für wenige Monate wirklich einer des Volkes. Unter größter Anteilnahme tagte die frei gewählte Volkskammer fast ununterbrochen, immer bis tief in die Nacht. Wenige Tage vor der Vereinigung mussten die Abgeordneten den Palast verlassen, wegen der frisch entdeckten Asbest-Gefahr. Die letzten Sitzungen fanden im ebenfalls asbestbelasteten ZK-Gebäude statt.
Mit der Vereinigung begann der Kampf um die Zukunft des Palastes. Die SED-PDS wollte ihr Prestigeobjekt unbedingt erhalten und setzte eine „Erzählung“ in die Welt, der Palast wäre tatsächlich einer des Volkes gewesen und untrennbar mit der DDR-Identität, ebenfalls eine Erfindung der SED-PDS nach dem Verschwinden des SED-Staates, verbunden.
Aber schon bald wurden andere Stimmen laut. Die erfolgreichste war die von Wilhelm von Boddien, ein Hamburger Unternehmer und exzellenter Kenner der Preußischen Geschichte. Er gründete 1992 den Förderverein Berliner Schloss e. V. und wurde dessen ehrenamtlicher Erster Vorsitzender. Die spektakulärste Aktion des Vereins war die Errichtung einer Schloss-Simulation im Sommer 1993 auf dem ursprünglichen Standort im Maßstab 1:1. Das brachte den Stimmungsumschwung. Jeder Passant, Auto – oder Radfahrer der Unter den Linden auf die Schlossbrücke zufuhr, sah die prachtvolle Fassade. Sie stand bis Herbst 1994.
Aber man musste nicht nur die Stimmung hinter sich haben, sondern auch den Bundestag. Entscheidend dabei war, ob die Unionsfraktion sich den Schlossbau zu eigen machen würde. Die SED-PDS hatte, um das zu verhindern, einen einflussreichen Verbündeten in der CDU – den ehemaligen Ministerpräsidenten der DDR Lothar de Maiziére. Der hatte die SED-PDS-Legende, der Palast müsse bleiben, weil die DDR-Bürger ihn so liebten, schon ziemlich erfolgreich in der Unions-Fraktion verbreitet. Ich kam mit meinem Übertritt zur Unionsfraktion Ende 1996 gerade noch rechtzeitig, um dagegenzuhalten. Damals hatte ich ein hohes Prestige in der Fraktion und es gelang mir, sie auf den Wiederaufbau des Schlosses einzuschwören.
Das war nur ein Etappensieg, der in den kommenden Jahren immer wieder verteidigt werden musste. Das kann hier nur angerissen, nicht ausgeführt werden.
Der Förderverein verpflichtete sich, 110 Millionen Euro an Spenden einzusammeln. Er übertraf sich selbst, indem er 120 Millionen einwarb. Aktuell läuft eine Verlängerung der Spendenaktion, um noch einmal 12 Millionen für die Wiederherstellung von Innenraumskulpturen zu sammeln. Davon sind schon 8 Millionen geschafft.
Das Schloss ist vor allem den Bürgern zu verdanken, die sich mit Energie und Geld dafür eingesetzt haben. Allen voran muss natürlich Wilhelm von Boddien genannt werden, aber es gibt zahlreiche Spender, die Millionen gegeben haben, zum Beispiel für die ursprünglich nicht vorgesehene Rekonstruktion der Kuppel mit dem goldenen Kuppelkreuz.
Man sollte meinen, dass so viel Engagement bei der Eröffnung gewürdigt werden müsste. Irrtum. Die feierliche Eröffnung fand im Stillen statt, als Politikerveranstaltung. Unter den zweihundert geladenen Gästen befanden sich nur 6 Fördervereinsmitglieder, die aber nicht reden durften. Auch der Architekt Stella, der eine geradezu geniale Verschmelzung von historischen und modernen Architektur-Elementen hinbekommen hat, durfte nicht das Wort ergreifen. Es gab kein Kartenkontingent für die Spender bei der Eröffnung der Ausstellungen für den Publikumsverkehr.
Deutlicher konnte die Politik nicht demonstrieren, dass ihr Bürgerengagement nicht in den Kram passt.
Trotzdem die Eröffnung in den Medien kaum thematisiert wurde, fanden sich hunderte Berliner ein.
Man sollte meinen, dass damit die Sache entschieden ist und das Schloss seinen angestammten Platz nun behalten wird. Da meldeten sich „Aktivisten“, die ein Bronzerelief des Palastes der Republik vor dem Schlossportal aufstellen wollen, verbunden mit der Ankündigung, dass das Schloss spätestens 2050 dem Palast weichen müsste. Der Kulturkampf geht also weiter, verbunden mit der indirekten Drohung einer neuen Sprengung. Deutlicher kann die geistige und moralische Verwahrlosung dieses Milieus nicht gemacht werden. Die Schlossfreunde können gelassen bleiben. Die Palastfreunde werden nicht durchkommen.