Von Gastautor Dr. Wolfgang Hintze
Nach jahrelangen ermüdenden Debatten ist es also nun amtlich: der Brexit, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, für den 2016 eine Mehrheit der Briten gestimmt hatte, wird am 31. Januar 2020 um 23 Uhr vollzogen. Das Europäische Parlament hat zugestimmt.
Es gab hochemotionale Redebeiträge mit Jubel auf der einen und vielen Tränen und tröstenden Umarmungen auf der anderen Seite.
Auftritt von „Mr. Brexit“
Hauptredner der Veranstaltung war natürlich der Chef der Brexit-Partei, Nigel Farage, der seinen Triumph ungeschminkt auslebte und dessen Auftritt mit einem Eklat endete, als die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Mairead McGuiness, ihm mitten im Satz das Mikrophon abstellte.
Im folgenden zitieren wir ausführlich aus Farages Rede, die in Kürze seine Geschichte und seine Gründe für den Brexit darstellt, für diejenigen, die der Rede nicht im Video folgen können.
Nigel Farage hat allen Grund zu triumphieren
„Das ist es nun also, das Ende des Weges, eines 47 Jahre dauernden poltischen Experiments, das die Briten, offen gesagt, nicht besonders mochten. Meine Eltern haben einem gemeinsamen Markt zugestimmt, aber nicht einer politischen Union, nicht Flaggen, Hynmen und Präsidenten, oder jetzt sogar noch einer eigene Armee.
Und es klingt beinahe trotzig wenn er ausruft
„Wir gehen, wir sind weg, und wenn wir einmal weg sind, kommen wir nie mehr wieder. Alles andere sind, offen gesagt, Details.“
Sein zweifelsohne außergewöhnliches persönliches Engagement für den Brexit beschreibt er
„Für mich war das eine 27 Jahre andauende Kampagne und es waren über 20 Jahre hier in diesem Parlament. Und das ist der Höhepunkt meiner eigenen poltischen Ziele. Ich kam hier ins Parlament, und wie ich zuvor sagte, alle hier fanden das furchtbar spaßig; nun, 2016 haben Sie aufgehört zu lachen …“
Prominente Mitstreiter für den Brexit
Er lobt Boris Johnson, den er wagemutig (bold) nennt, und dem er
„von Herzen allen nur denkbaren Erfolg in der nächsten Runde der Verhandlungen“.
wünscht.
Und er hatte früher schon im EU-Parlament ausdrücklichen der anwesenden Angela Merkel gedankt.
„Frau Merkel, viele meiner EU-skeptischen Kollegen hier haben Sie heute ausgebuht, aber das hätten sie eigentlich nicht tun sollen; die Briten sollten Ihnen vielmehr applaudieren. Denn ohne Sie hätten wir nie den BREXIT bekommen; und dafür möchte ich Ihnen herzlich danken.“
Motivation und Triebfedern
Was trieb diesen Mann an, was hatte er gegen die EU? Viele werden sich kaum noch erinnern, aber es waren gravierende Gründe:
„Mein Blick auf Europa hat sich gewandelt seit ich in dieses Parlament kam. 2005 ging es um die Verfassung, die von Giscard und anderen entworfen worden war, ich erlebte, dass sie von den Franzosen in einem Referendum abgelehnt worden war, auch die Holländer haben sie in einem Referendum abgelehnt. Ich habe erlebt, dass diese Institutionen die Entscheidungen ignoriert haben. Sie brachten die Verfassung erneut vor – in Gestalt des Lissabon-Vertrages – und prahlten damit, dass sie sie durchboxen wollten, diesmal ohne Referendum. Aber die Iren durften wählen. Sie sagten „Nein“ und wurden gezwungen , erneut zu wählen.
Sie sind sehr gut darin, Leute erneut wählen zu lassen, aber wir haben bewiesen: Großbritannien ist zu groß um schikaniert zu werden.
Den Blick auf Größeres gerichtet: Brexit-Debatte in ganz Europa
So wurde ich zum ausgepochenen Gegener des gesamten europäischen Projekts. Ich möchte, dass der Brexit eine Debatte im gesamten Rest Europas auslöst. Was wollen wir von Europa? Wollen wir Handel, Freundschaft, Zusammenarbeit und Austausch? Nun, dafür brauchen wir keine Europäische Kommission, wir brauchen keinen Europäischen Gerichtshof, wir brauchen diese Institutionen und all die Macht nicht. Und ich kann Ihnen für die UKIP und auch die Brexit Partei versprechen: wir lieben Europa, aber wir hassen die Europäische Union. So einfach ist das!
Ein schlechtes Projekt, nicht nur undemokratisch, sondern anti-demokratisch
So hoffe ich also, dass das der Anfang vom Ende dieses Projektes ist. Es ist ein schlechtes Projekt. Es nicht einfach nur undemokratisch, es ist anti-demokratisch, und es stellt diese Leute an die Spitze, es gibt Leuten Macht ohne Verantwortlichkeit. Leute, die vom Wähler nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Und das ist eine inakzeptable Struktur.
Eine historische Schlacht durchzieht den Westen
In der Tat findet gegenwärtig eine historische Schlacht im gesamten Westen statt, in Europa, in Amerika, und anderswo: Globalismus gegen Populismus. Und wenn Sie auch Populismus verabscheuen mögen, ich kann Ihnen sagen, er wird immer populärer. (Lacher bei den britischen Abgeordneten). Und er hat viele Vorteile: keine finanziellen Abgaben mehr, keinen Europäischen Gerichtshof, keine gemeinsame Fischereipolitik, keine herablassende Behandlung, keine Schikanen …
Stakkato und abruptes Ende
… kein Guy Verhofstadt mehr. (zu ihm gewandt) Ich weiß, Sie werden uns vermissen. Ich weiß, Sie wollen unsere Nationalflaggen verbieten (brit. EUPs halten britische Fähnchen in der Hand). Wir winken Ihnen jetzt zum Abschied zu. Wir freuen uns darauf, in Zukunft mit Ihnen zusammenzuarbeiten, als souveräne … (unverständlich, da Vizepräsidentin das Mikrophon abstellt)
Was könnte passender sein, als dass ausgerechnet das Wort „souverän“ nicht mehr gesagt werden durfte?
Die Fahnenwinkzszenen und die scharfe Worte der Vizepräsidentin muss man sich natürlich im Video ansehen.
Epilog mit Gschmäckle
Abschließend meint die Vizepräsidentin, den mit ihren Flaggen abziehenden Brexetiers noch etwas hinterher rufen zu müssen:
„Ich möchte nur noch sagen, wenn Sie erlauben, dass im letzten Beitrag das Wort „Hass“ verwendet wurde. Und ich glaube wirklich, dass wir eingedenk dessen, was wir davor gehört haben, keinen Menschen hassen sollten, keine Nation und kein Volk.“
Zwei Anmerkungen
Erstens hatte Farage das Wort „Hass“ ganz offensichtlich nicht auf Menschen, Nationen oder Völker angewandt, sondern ausdrücklich auf die Institution EU. Sie hat also vor aller Augen und Ohren eine Falschmeldung verbreitet.
Zweitens nimmt sie Bezug auf „etwas, das wir davor gehört haben“. Damit ist die Gedenkveranstaltung für den 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz gemeint. Sie schämt sich also nicht, Auschwitz für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vizepräsidentin mit diesen Äußerungen unfreiwillig in kompakter Form überzeugende Argumente gegen Ideologie und Methode der EU geliefert hat.