Perlen der deutschen Kultur – Thietmar von Merseburg schreibt Geschichte

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Angeblich soll es jenseits der Sprache keine deutsche Kultur geben. Das hat die ehemalige Integrationsbeauftragte der dritten Regierung Merkel, Aydan Özoguz, regierungsamtlich ex cathedra verkündet und damit kaum Widerspruch unserer selbsternannten Eliten erfahren.

Nachdem ich mich lange genug über diese dumme Bemerkung geärgert hatte, beschloss ich eine lose Serie über die zahlreichen bewundernswerten Spuren zu verfassen, die unsere Kultur hinterlassen hat. Dass ich mit Thietmar von Merseburg beginne, ist dem Zufall zu verdanken, dass ich von MDR Kultur auf die Ausstellung anlässlich seines 1000. Todestags aufmerksam gemacht wurde.

Sachsen-Anhalt ist eines der jüngsten Bundesländer Deutschlands. Es wurde 1947 im Wesentlichen aus preußischen und anhaltinischen Gebieten gebildet, 1952 wieder aufgelöst und 1990 wiedererweckt.

Vor 1000 Jahren wurde in diesem Teil Deutschlands internationale Politik und Geschichte gemacht. Hier kämpfte die christliche mit der slawischen Religion, zerfiel das fränkische Großreich der Karolinger, nahm die Herrschaft der Staufer ein Ende. Aber besonders im 10. Jahrhundert, als die sächsischen Herzöge der Liudolfinger bzw. der Ottonen von ihrem Stammland aus als Kaiser und Könige das deutsche Reich einigten, lag hier das Zentrum der Macht.

Merseburg, mitten in Sachsen-Anhalt, ist eine der geschichtsträchtigen Städte, die zu DDR-Zeiten im Dreck des Halle-Bitterfelder Chemiedreiecks untergingen und nach der Vereinigung aus Ruinen auferstanden. Schaut man heute von der anderen Seite der Saale auf das gegenüberliegende Hochufer, hat man ein atemberaubendes Panorama vor Augen: Den Dom mit seinen Kirchtürmen und die benachbarte Residenz mit ihrem Staffelgiebel aus der Renaissance. Wer über die alte Steinbrücke die Stufen des Dombergs hochgeht, taucht in eine mittelalterliche Welt ein, deren wiedererstandene Pracht jeden in ihren Bann zieht.

Auf dem Schlosshof findet sich ein Gehege für ein Rabenpaar. Der Sage nach ließ im 15. Jahrhundert der Bischof Thilo von Trotha seinen treuen Diener hinrichten, weil er seinem Herren einen wertvollen Ring gestohlen haben sollte. Später wurde bei Dacharbeiten am Merseburger Schloss der Ring in einem Rabennest entdeckt.

Zur Mahnung an seinen verhängnisvollen Irrtum ließ Thilo von Trotha einen Raben in Gefangenschaft nehmen. Aus Reue änderte er sein Familienwappen, das nun einen Raben mit einem goldenen Ring im Schnabel zeigt.

In der Stiftsbibliothek werden so berühmte Werke wie die Merseburger Zaubersprüche aufbewahrt, aber auch die Chronik des Bischofs Thietmar, die nicht ganz so bekannt, aber bis heute eine wertvolle Quelle für Historiker ist. Sie ist eines der bedeutendsten Geschichtswerke des Mittelalters.

Thietmar, der den Grundstein für den Merseburger Dom legte, entstammte der Familie der Grafen von Walbeck. Er wurde im Quedlinburger Stift und in der Magdeburger Domschule ausgebildet, suchte erfolgreich die Nähe zu Heinrich II und wurde 1009 zum Bischof geweiht.

Damit hatte Thietmar nie gerechnet. Wenige Monate vorher hatte er einen merkwürdigen Traum, in dem die Zahl fünf eine entscheidende Rolle für einen eintretenden Tod spielte. Thietmar wusste aber nicht, ob fünf Tage, fünf Wochen, Monate oder Jahre gemeint waren. Er zog sich auf eines seiner Güter zurück, um sich auf seinen Tod vorzubereiten. Nach fünf Monaten starb aber sein Vorgänger im Amt und er wurde zum Bischof berufen. Es blieben ihm noch zwei Mal fünf Jahre zu leben. Zu Beginn des letzten Jahrfünfts startete er seine Chronik.

Das besondere an diesem Werk ist, das es nicht nur die Entstehung des christlichen Europas nachzeichnet, sondern das es auch meteorologische und astronomische Ereignisse beschreibt. Häufig schildert er politische Konflikte und deren Beilegung, zu denen er seine Meinung beisteuert, was ungewöhnlich für das Mittelalter ist. Er schreibt auch reflektierend über sich selbst:

„Mein Wille ist wohl zuweilen gut, aber weil ich nicht bemüht bin, ihn mit der nötigen Kraft zu versehen, so nützt er allzu wenig.“

Eine bemerkenswerte Selbstkritik. Über sein Äußeres sagt er: „Besieh Dir, lieber Leser, jetzt den feinen Herren, da wirst Du ein kleines Männchen finden, ungestaltet an der linken Kinnlade und Seite, weil mir hier einst eine schwellende Fistel ausgebrochen ist. Ein Bruch des Nasenknorpels, den ich in der Kindheit erlitten habe, gibt mir ein lächerliches Aussehen.“

Das ist die plastische Beschreibung eines eigenwilligen, leidenschaftlichen, aber auch jähzornigen Menschen, dessen Urteile oft scharf bis vernichtend sind. Eine äußerst lebendig wirkende Plastik, die nach dieser Beschreibung angefertigt wurde, ist im Garten des Kreuzganges zu sehen.

Besonders interessant sind Thietmars Beschreibungen des alltäglichen Lebens, der Gefahren durch Tiere, durch Wetterunbilden, Hungersnöte, Kriege, Reisen, aber auch der Sitten, Gebräuche und des Volksglaubens.

„Die heutigen Zeiten sind schlechter als alle früheren, sie nehmen einem mehr, als sie einbringen. Durch schwere Schuld und schrecklichen Mangel verliert ererbter wie erworbener Stand seinen Wert“. Kaum zu glauben, dass dies vor 1000 Jahren geschrieben wurde.

In der Ausstellung „Thietmars Welt“, die leider nur noch bis zum 4. November zu sehen ist, sind die Texte der Chronik mit Ausstellungsstücken aus ganz Europa kombiniert, darunter sehr prachtvolle, wie der Goldschmuck von Hiddensee, eine Pyxis mit Jagddarstellung, die Tamdrup-Tafel mit der Taufe von Harald Blauzahn oder die Situala zum Einzug Ottos II in Mailand. Aber auch die slawischen Götterfiguren vom Tollensesee sind zu sehen. Der Besucher kann eine regelrechte Reise ins Mittelalter unternehmen.

Aber auch ohne die Ausstellung ist Merseburg jederzeit eine Reise wert. Denn der Dom an sich ist ein regelrechtes Schatzkästlein. Den Merseburger Zaubersprüchen ist ein eigener Raum gewidmet, wo man hören kann, wie sie geklungen haben mögen, als sie noch aktive Beschwörungen waren.

Thietmar von Merseburg arbeitete fünf Jahre an seiner Chronik. Kurz vor seinem Tod war er so weit, dass er nur noch die laufenden Ereignisse einzutragen brauchte. Dazu kam es aber nicht mehr. Als ob die Chronik seinen Lebenssaft aufgebraucht hätte, starb Thietmar am 1. Dezember 1018, fast genau zweimal fünf Jahre nach seinem Traum, der so entscheidend für sein Leben war.

„Wer sich andern brauchbar zu machen bestrebt ist, hat immer die Absicht, nicht nur gegenwärtig, sondern auch in der Zukunft zu nützen, die ihm anbefohlenen Verrichtungen mit aller nur möglichen Treue und Geschicklichkeit auch der Nachwelt bekannt werden zu lassen, und bei den Lebendigen aller Zeiten sich im Andenken zu erhalten.“

Das ist Thietmar über 1000 Jahre lang geglückt. Er wird noch da sein, wenn die Özogusse dieser Welt längst vergessen sind.



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