Von Gastautor Hans-Jürgen Wünschel
Die Monate, die seit der Bundestagswahl vom 24.9.2017 vergangen sind, bieten ein anschauliches Bild über das Verhalten von Menschen, Politikern. Meinungsänderungen kommen täglich vor. Politische Überzeugungsänderungen aber nicht allzu oft, wie die Fälle Herbert Wehner oder Ernst Reuther gezeigt haben, die sich von strammen Kommunisten zu Demokraten mutierten, oder Winston Churchill, der sich vom Liberalen zum Konservativen drehte. Auch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sieht solche Veränderungen etwa bei dem ehemaligen Bundespräsident Gustav Heineman, der von der CDU zur SPD wechselte, oder des FDP Vorsitzenden Erich Mende, der CDU-Mitglied wurde.
Alle mögen ehrenwerte Motive für ihre Verhaltensänderung angegeben haben, wer kann schon ermessen, was ehrlich oder opportunistisch im Hinblick auf eine erfolgreichere Karriere getan wurde? Was heißt dabei aber ehrlich? Wurden wir in den letzten Monaten nicht Zeuge von Aussagen, die von der Zuhörerin oder dem Zuhörer ehrlich aufgefasst wurden? Manche haben dann noch ihre „tiefste Überzeugung“ ausgedrückt und gaben ihren „festen Willen“ kund. Dazu befragt, war man empört und verteidigte sich noch mit dem Hinweis auf den eigenen Mut, den die jetzt getroffene Entscheidung gezeigt habe.
Wir wurden am Abend des 24.9.2017 Zeuge der Aussage des Vorsitzenden der SPD, dass die Partei nach diesem katastrophalen Wahlergebnis eine weiter Große Koalition aus „tiefster Überzeugung“ ablehnte und mit „festem Willen“ in die Opposition ginge. Diese Mitteilung wurde von den umstehenden Mitgliedern des Bundesvorstandes quasi wie eine Erlösung von einer Fessel begeistert beklatscht. Selbst am nächsten Tag vollzog sich dieses „ehrliche“ Schauspiel einmütig. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles fühlte sich sogar von der Kabinettsdisziplin befreit, dass sie äußerte, „jetzt endlich den anderen eine in die Fresse geben zu können“.
Wenig Wochen später beschwören die selben Männer und Frauen mit den selben Vokabeln: ehrlich, fester Wille, tiefste Überzeugung und Mut, dass sie jetzt die Beteiligung an einer Großen Koalition als das non plus ultra der Sozialdemokraten ersehnen, um angeblich „Deutschland und Europa zu dienen“. Diejenigen, die am Abend des 24. 9. 2017 noch gemeinsam die Opposition favorisierten, werden nun „Seit an Seit“ in Richtung Koalition marschieren. Der Zeuge reibt sich verdutzt die Augen. Wie können angeblich glaubwürdige Politiker, die im März 2017 ihren Vorsitzenden Martin Schulz mit 100% Zustimmung gewählt hatten, seine hundertprozentige Wende seiner politischen Grundüberzeugung beklatschen? Wie glaubwürdig sind diese führenden Sozialdemokraten? Wenn diese schon mit ihrem politischen Credo so leichtfertig umgehen können, wie leicht werden sie politische Sachentscheidungen von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Die SPD- Vorstandsmitglieder haben sich ins Abseits der Glaubwürdigkeit gestellt.
1990 wurde die Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland als Wende beschrieben. Einige, die zuvor zu 100% Sozialisten und Kommunisten gewesen sind, beeilten sich schnell zu betonen, dass sie schon immer Demokraten gewesen seien. Sie erhielten deshalb den spöttische Zusatznamen „Wendehals“. Solche Systemwendehälse hatte die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert schon zweimal zu verzeichnen. Nach ihrer Machtübernahme sah sich Partei des Nationalen Sozialismus im März 1933 vor die fast unlösbaren Aufgabe gestellt, Arbeiter und Angestellte als Parteimitglieder aufzunehmen. Sie wurden von Jürgen Falter in seiner Antrittsvorlesung als „Märzgefallene“ bezeichnet, da sie sich bisher politisch zum Liberalismus, Kommunismus oder zum Sozialismus bekannt hatten. Die begehrte Partei musste deshalb im Mai einen Aufnahmestop für neue Mitglieder verhängen. Die „Märzgefallenen“ mögen ehrenwerte Motive für ihre Gesinnungsänderung angegeben haben, wer kann schon ermessen, was ehrlich oder opportunistisch im Hinblick auf Lohn und Brot getan wurde, eben wie die jetzigen Sozialisten vielleicht im Hinblick auf eine noch einträglichere Karriere..
Dann kam der 8. Mai 1945 heran, die bejubelte Zeit des Nationalen Sozialismus war vorbei, und viele nationalsozialistische Mitglieder und Mitläufer mussten sich erneut „wenden“, was sich in den Mitgliederkarteien, besonders der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei zeigte. Nach ihrer Wiedergründung in den Jahren 1945 und 1946 erlebten diese nämlich einen gewaltigen Ansturm von Personen, die mit der neuen Mitgliedschaft eine „weißen Weste“ erwerben wollten. Sie waren bis zum 8. Mai 1945 braun gewesen. Nun ergatterten sie einen „Persilschein“, der sie weiß waschen sollte. Der Ansturm auf diese Parteibücher ließ erst 1947/1948 nach, als die Amnestie für Mitläufer und Minderbelastete des Systems des Nationalen Sozialismus ausgesprochen wurde.
Von nun an ging‘s wenigsten in den westlichen Besatzungszonen bergab, d.h. die Mitgliederzahlen dieser Parteien sanken beträchtlich, da eine frühere NS-Mitgliedschaft für einen normalen Beruf nicht mehr belastete, und man das Bekenntnis zu einer zugelassenen Partei – den „Persilschein“ nicht mehr nötig hatte.
Märzgefallene, Persilschein, Wendehälse. Welchen Begriff könnte sich die deutsche Bevölkerung jetzt für diese Sozialisten ausdenken, die so überraschend schnell ihre Grundüberzeugungen aus opportunistischen Gründen aufgegeben haben. Verantwortung für Deutsche zu übernehmen war und ist den Sozialisten fremd.