von Gastautorin Marion Titze
Ausgerechnet der Zeitung mit der Welt im Namen, Deutschlands 1948 gegründeter Welt am Sonntag, ihr wird mit der Ausgabe vom 10. September 2017 und -Doppelschlag – der Ausgabe von Welt am Sonntag / kompakt, gegründet 2010, der traurige Ruf zufallen, die dritte deutsche Republik zum Gebrauch der Denunziation freigegeben zu haben.
Wer immer es war, der eine private E-Mail – gefälscht oder nicht gefälscht – zu Zwecken der Bloßstellung an die Redaktion gegeben hat, er darf sich jetzt Denunziant nennen.
Was ist ein Denunziant? Der Denunziant ist ein Mensch, der sich gebraucht fühlt.
Um ihn in diesem guten Gefühl zu bestärken, durfte er sich in der kleinen deutschen Nebenrepublik Informant nennen. Nichts sollte ihn an der Redlichkeit seiner Mission zweifeln lassen.
Nach der Wende und in den auf sie folgenden neunziger Jahren gab es neben der ungeteilten IM-Entrüstung auch Leute im Westen, die sich bange fragten: Was wäre wenn? Wenn ich nicht auf der richtigen Seite geboren wäre?
Und nun? Wo wir auf der richtigen Seite sind? Was sollte uns jetzt durch den Kopf gehen?
Mir geht durch den Kopf, dass eines immer gilt: Man muss den Informanten vor sich selber schützen.
Ich kenne Menschen, deren Leben zerstört war, nachdem sie erkannt hatten, wozu sie sich hatten verleiten lassen. Man wird nie mehr ruhigen Gewissens schlafen. Denn ein geleakter Privatbrief ist nichts, was einen zu einem geadelten Whistleblower machen kann. Es ist kein ziviler Ungehorsam, wenn man einen Freund verrät und ans Messer liefert. Man ist noch nicht mal ein Verräter. Man ist lediglich das Instrument einer Macht, die einen benutzt hat. Einer Medienmacht in unserem Fall. Ja, es ist unser Fall. Weil es unsere Welt ist. Nie und nimmer sollte eine Redaktion der Versuchung nachgeben, den Schutz des privaten Raums für aufgehoben zu erklären. Selbst wenn man die AfD für den Gottseibeiuns hält, gilt das Briefgeheimnis.
Wenn die Auffassung, dass der Zweck die Mittel heiligt, Fuß fasst, was wird dann aus dem Rechtsstaat?
Ich bin nicht unter denen, die das Wort ständig verwenden. Ich bin froh, wenn ich keinen Anwalt brauche und froh, dass ich einen bekäme, wenn ich in der Bredouille sein sollte.
Ich weiß auch nicht, warum ich mir zur “Welt kompakt” an dem Sonntag auch die Zeitschrift “konkret” kaufte. Vielleicht wegen Jutta Ditfurth, für die der Staat porentief repressiv ist. Wir sind gleichaltrig; mein repressiver Staat ist von der Bildfläche verschwunden. Während für sie die Hamburger Polizisten dieselben gewaltgeilen Bullen sind, wie die damals auf Benno Ohnesorg einknüppelnden. Und geht das gefühlte Recht junger Radikaler auf Vermummung vielleicht auf jene Papiermasken zurück, mit denen die gegen den Schah protestierenden persischen Studenten sich vor ihrem Geheimdienst schützten? Ist das nicht alles sehr lange her?
Es gibt keine spezifisch deutsche Kultur außerhalb der Sprache. – Alle Welt meint, das sei der Meinungsbeitrag einer Staatsministerin gewesen, nein, nicht für Kultur, aber das hätte auch schon niemanden mehr gewundert, dass die Kulturministerin nicht widerspricht, wenn die Integrationsministerin so etwas als Regierungsvorlage in ein Positionspapier schreibt und publiziert. Bleibt das gänzlich unwidersprochen, muss man doch annehmen, daß die Sicht von der Regierung geteilt wird. Wenn ich jetzt böse wäre, würde ich sagen, da ist allerhand entsorgt worden.
Zum Beispiel Jutta Ditfurth und ich, zwei Frauen, von denen eine vor und eine hinter der Mauer gelebt hat. Man wird es vielleicht nicht glauben, und es ist vielleicht auch nicht mehr von allzu großem Interesse, aber spezifisch deutsch ist es schon. Es ging auch um Integration, und es gab selbstverständlich Stigmatisierung, nur hat das damals noch niemand Rassismus genannt und es gab keine Diskriminierungsneurose. Wenn jemand zu mir gesagt hätte: Hau ab nach Sachsen! dann hätte ich gelacht, weil ich in Berlin lebe und die Berliner verstehe, wenn sie die Sachsen schmähen wegen ihrer Vielzahl. Der Sachse kommt einzeln einfach besser an, er wird dann unsicher und besinnt sich auf seinen eingeborenen Humor. Zur deutschen Kultur hat der sächsische Humor wenig beigetragen, was über den Ruhm der Provinz hinausginge. Aber das zum Beispiel ist auch spezifisch deutsch: das Leiden an der Provinz.
Falls nun alles wieder so kommt nach den Wahlen: dieselbe Kulturstaatsministerin, dieselbe Frau Özoğuz, dieselbe Kanzlerin sowieso, dann möchte ich einen Vorschlag machen. Hin und wieder begibt sich jemand auf die Suche nach der – zugegebenermaßen schon ziemlich verschollenen – deutschen Kultur.
Ich zum Beispiel würde einen Vers aus Rilkes Gegenstrophen beisteuern.
Wir, von uns selber gekränkt,
Und Kränkende gern und gern
Wiedergekränkte aus Not.
Wir wie Waffen, dem Zorn
Neben den Schlaf gelegt.
Für Männer, die mehr aus der Ehre leben als die nicht so ehrpusseligen Deutschen, könnte das doch eine Brücke sein, herauszufinden aus Rachekulturgedanken.
Aber vielleicht ist das meine östliche Naivität, wir waren ja sehr kulturpusselig da drüben.