Retour aus Prag

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Von Christoph Ernst

Gerade war ich in Prag, anlässlich der Ehrung einer tschechischen Exilantin, die in Hamburg verstarb. Meine erste Reise seit ungefähr 34 Jahren. Ein krasser Kontrast zu deutschen Städten ähnlicher Größe. Prag wirkt sauber und gepflegt. Auch in Wohnvierteln außerhalb des Zentrums findet sich trotz vieler Vierbeiner kaum Hundedreck, so dass sich man auf den breiten und oft liebevoll bunt gepflasterten Gehwegen ungetrübt bewegen kann. Obwohl es deutlich weniger öffentlicher Papierkörbe gibt, liegt kein Müll auf der Straße. Die Graffitischmierereien sind überschaubar. Selbst zu Stoßzeiten bleiben die Leute in Straßenbahnen und der Metro entspannt. Er herrschte eine Atmosphäre, wie hierzulande schon seit Jahren nicht mehr. Zugleich wird einem beim Schlendern durch die Straßen der Altstadt schmerzlich bewusst, wie ‚deutsch‘ es hier einst zuging. Im guten Sinne. Bis 1939. Prag ist die Stadt von Kafka, Brod, Kisch und Werfel. Vor dem NS-Einmarsch gab es hier zig deutsche Verlage, in denen durch die Nazis vertriebene Autoren noch veröffentlichen konnten. Hier schlug das Herz unzensierter, freier Literatur.

Im heutigen Prag mag man Vaclav Havel. Junge Leute zeigen auf T-Shirts Parodien kommunistischer Embleme. Bei uns huldigt man Angela Merkel, und Gregor Gysi, der letzte amtierende Chef der DDR-SED, der als Anwalt oppositionelle Mandanten an die Stasi verraten haben soll, schwingt in der Rolle des Alterspräsidenten im Bundestag große Reden.

Havel erlebte als Kind noch die Nazi-Besatzung. Er war Zeuge des kommunistischen Putschs und der judenfeindlichen Exzesse des Slansky-Prozesses. Wegen seiner bürgerlichen Herkunft verweigerte man ihm den Zugang zur höheren Schule. Merkel durfte als Tochter eines sozialistischen Pfarrers in der DDR Abitur machen und sogar studieren. Sie fiel nie auf, eckte nie an und machte Karriere. Havel entwarf und unterzeichnete die ‚Charta 77‘, wurde mehrmals verhaftet und saß insgesamt fünf Jahre in Haft. Merkel blieb stets angepasst. Sie stieg sogar zum West-Reisekader auf. Noch als promovierte Physikerin machte sie Agitprop für die Einheitspartei.
1969 hatte sich Jan Palach im Protest gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts auf dem Wenzelsplatz verbrannt. Als Havel 20 Jahre später im Gedenken an ihn sprechen wollte, wurde er arretiert, eingesperrt und wegen ‚Rowdytums‘ zu verschärfter Haft vergattert. Den Friedenspreis des deutschen Buchhandels, der man ihm verliehen hatte, durfte er nicht persönlich annehmen. Also trug Maximilian Schell seine Rede für ihn vor. Dann änderte die ‚samtene Revolution‘ alles. Aus dem verfolgten Regimegegner wurde der letzte Staatspräsident der Tschechoslowakei.

Angela Merkel saß in einer Ostberliner Sauna, als die Mauer fiel. Ihre kometenhafte Karriere nach der ‚Wende‘ verdankte sie den Herren Wolfgang Schnur und Lothar de Maiziere, langjährigen inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi, wie sich dann herausstellte.

Havel und Merkel sind ‚Kinder von 1989‘. Er kämpfte hartnäckig um bürgerliche Freiheiten. Ihr fielen sie in den Schoß. Beide haben jeweils über Jahrzehnte hinweg das Gesicht ihrer Länder geprägt. Doch ihr Umgang mit der Vergangenheit könnte unterschiedlicher kaum sein. Das spiegelt sich in der Optik ihrer jeweiligen Hauptstädte.

Prag besticht durch angenehme Stimmung und feine Architektur, ist aufgeräumt und kultiviert, und selbst zu Stoßzeiten bevölkert von höflichen Menschen. Kopftücher sieht man bloß bei arabischen Touristinnen. Juden können hier Peies und Kippa tragen ohne Gefahr zu laufen, von sozialstaatlich subventionierten muslimischen Jungmännern angegangen, bespuckt und verprügelt zu werden, und obwohl es selbst in Prag garstige pro-Hamas Demonstrationen gibt, so sind sie klein und stoßen auf wenig Gegenliebe. Passanten rufen den Eiferern sogar das eine oder andere Schimpfwort zu. Denn so weltoffen und kosmopolitisch die Stadt ist, so selbstbewusst europäisch ist sie auch. Prag bekennt sich zu seinen tschechischen, jüdischen und deutschen Wurzeln.

Früher atmete mein Land eine ähnliche ‚Leichtigkeit des Seins‘, und ich denke häufiger daran, wie ein englisch-kanadischer Freund sich bei einer gemeinsamen Polenreise darüber mokierte, dass ich ja Frieden gemacht zu haben scheine mit meinen deutschen Wurzeln. Doch er hatte Recht. Damals, im Angesicht der Spuren des Grauens von Maidanek, Belzec und Auschwitz, empfand ich Dankbarkeit und fast so etwas wie Stolz für das, was meine Landsleute trotz der Schrecken des Weltkriegs aus ihrem Land gemacht hatten. Das war 2005. Dann, im Herbst desselben Jahres, wurde Angela Merkel zum ersten Mal zur Kanzlerin gewählt.

Inzwischen verlassen jährlich mehr als eine Viertelmillion Deutsche ihre Heimat. Meist sind sie jung und gut ausgebildet. Theoretisch bräuchte ihr Land sie dringend. Aber sie sehen hier keine Zukunft mehr für sich. Zu hohe Steuern, steigende Sozialausgaben, überbordende Bürokratie und sinkende Lebensqualität dürften die Ursachen sein. Doch all diese Faktoren sind willkürlich herbeigeführt und die unmittelbare Folge ökosozialistischer Selbstgerechtigkeit: Die Welt soll wieder am deutschen Wesen genesen. Dazu darf die Bevölkerung nicht nur auf Kosten ihres Wohlstands das globale Klima retten, sie soll auch unbegrenzt Fremde aus aller Welt aufzunehmen. Die grenzenlose Offenheit geht mit dem Austreiben der eigenen Kultur einher. Denn die grenzenlose Empathie ist suizidal, aber politisch so gewollt. Die längst abgewählte grüne Außenministerin lässt weiterhin zahllose Afghanen aus Pakistan einfliegen, die niemals deutsche Ortskräfte waren, und die Regierung sponsert noch immer zahllose Pseudo-NGOs, die als humanitär getarnte Schlepperorganisationen vermeintliche ‚Flüchtlinge‘ ins Land holen und sie den kollabierenden Sozialsystemen aufs Auge drücken. Zugleich schlägt die staatlich verordnete Fremdenliebe auch juristisch immer groteskere Volten. Jeder, der dagegen opponiert, wird als ‚Rassist‘, ‚völkisch’ oder ‚Nazi‘ denunziert.

Dabei ist eigentlich nur bemerkenswert, welchen Kolonisierungsfuror sich die Deutschen von ihren Oberen oktroyieren lassen. Tschechen würde derlei vermutlich nicht passieren. Denn die haben jahrzehntelang fremdbestimmt gelebt und von totalitären Regimes die Nase voll. Sie wissen, wie kostbar ihre persönliche Freiheit ist. Für Tschechen ist die eigene Kultur eine Kraftquelle, ein ihnen für künftige Generationen anvertrauter Schatz. Sie empfinden das Eigene als wertvoll und erachten es als erhaltenswert. Postmodernen Deutschen sind solche Gefühle systematisch aberzogen worden und meist völlig fremd. Die eigene Lebensweise zu schätzen und sie zu pflegen, ihre Schönheit wahrzunehmen, sie zu goutieren und zu erhalten, um sie weiterzugeben, erscheint ihnen vorgestrig, reaktionär und zutiefst verwerflich.

Vor nicht allzu langer Zeit lief die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei einer Demonstration hinter einem Banner, auf dem ‚Deutschland, du mieses Stück Scheiße!‘ stand. Auf einem anderen war zu lesen: ‘Deutschland verrecke!‘.
Deutschland verreckt tatsächlich. Das spürt man, sobald man das Land verlässt. Der Unterschied springt einem im Straßenbild an. Man sieht ihn im Umgang der Prager mit einander, der Liebe zur Eleganz früherer Architektur, dem Respekt vor den Leistungen ihrer Altvorderen, der Sauberkeit der zum Flanieren einladenden Gehsteige.
Aber das ist eben auch der Unterschied zwischen Vaclav Havel und Angela Merkel, Demokratie und Brandmauermentalität, befreitem und gelenktem Denken, aufrechtem Gang und Untertanenhaltung, gesundem Selbstbewusstsein und arroganter Tugendheuchelei.



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