Mozarts selten gespielte Jugendoper „Idomeneo“, von Kennern für sein genialstes Werk gehalten, gibt es zurzeit an zwei deutschen Bühnen. In der Staatsoper Unter den Linden, wo die Inszenierung von David McVicar mit großen Namen aufwarten kann: Sir Simon Rattle als Dirigent und Rolando Villazón als Idomeneo. Während die Kunst von Rattle von den Kritikern hoch gelobt wird – Simon Rattles Mozartwunder – löst seine Inszenierung nur gedämpfte Begeisterung aus. Das Setting der Szene von David McVicar gliche mehr „einer anspruchsvollen Samurai-Revue als einer durch ihre Handlungsdringlichkeit faszinierenden Oper“.
Wer diese „Handlungsdringlichkeit“ erleben will, sollte sich nach Nordhausen aufmachen, wo Regisseur Benjamin Prins genau diese herausarbeitet. Prins entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Schritt: Er ersetzt die Rezitative durch einen Erzähler (Thomas Kohl), der durch das Geschehen führt, was zur Folge hat, dass die großartigen Arien wie auf einer Perlenkette genossen werden können. Große Namen hat Nordhausen noch nicht zu bieten, aber große Stimmen. Die Damen Yuval Oren als Ilia und Julia Ermakowa als Elektra entwickeln auf der Bühne Starqualitäten. Man denkt unwillkürlich, so müssten Elisabeth (Ilia) und Dorothea (Elektra) Wendling bei der Uraufführung geklungen haben, während der von Mozart verehrte Tenor Anton Raaf als Idomeneo seine beste Zeit schon hinter sich hatte. Das kann man von Kuyounhan Seo in Nordhausen nicht sagen. Er ist auf der Höhe seines Könnens, was er als Idomeneo wieder eindrucksvoll bestätigt.
Wieviel Mozart steckt in dieser Oper? Noch ist es mehr Sturm und Drang, der in der Musik zum Ausdruck kommt, als die Eleganz, die seine späteren Opern auszeichnet. Trotzdem klingt viel Charakteristisches von Mozart hier schon an: Vergleichen Sie die Arie der Elektra, in der sie die Furien der Unterwelt beschwört, mit der Arie der Königin der Nacht! Oder Idomeneos „Furor del mar“, wo er seinen Herrschaftsanspruch bekräftigt, mit Don Giovannis Herausforderung des Komturs in der Friedhofsszene! Aber auch Mozarts, wie man heute auf Neudeutsch sagt, soft spot für liebende Frauen hört man in der Arie der Elektra, in der sie ihrer Hoffnung Ausdruck gibt, dass Idamante sie eines Tages auch lieben würde. Nicht zuletzt deutet sich hier schon Mozarts absolute Meisterschaft der Quartette an, die kaum jemand nach ihm erreicht. Mozart führt Idomeneo, Idamante, Ilia und Elektra am Ufer des Meeres zusammen, wo sie ihrer Verzweiflung und Ratlosigkeit Ausdruck geben, aber ihre Unterschiedlichkeit deutlich wird.
Dabei sind wir beim Hauptdarsteller der Oper: das Meer. Es tobt und wütet, als Idomeneo nach Ende des Trojanischen Krieges in seine Heimat Kreta zurückkehrt. Um dem Untergang zu entgehen, gelobt er dem Meeresgott Neptun, ihm das Erste zu opfern, das ihm am Strand begegnet. Er ahnt nicht, dass es sein Sohn Idamante (auch bemerkenswert: Annika Westlund) sein wird, der am Ufer schon auf ihn wartet. Was uns lehrt, dass es immer ein Fehler ist, den Königen zu eifrig entgegenzukommen. Idomeneo denkt nicht daran, sein Versprechen gegenüber Neptun einzulösen, und befiehlt Idamante, mit Elektra, die auf Kreta Asyl bekommen hat, nachdem er sie geheiratet hat, in deren Heimat zurückzukehren. Aber Idamante hat sich inzwischen in eine Gefangene, die Tochter des Königs Priamos, verliebt. Er macht sich daran, die Suppe auszulöffeln, die ihm sein Vater eingebrockt hat. Erst besiegt er das Meeresungeheuer, das Neptun ausschickt, um Idomeneos Wortbruch zu bestrafen, dann will er sich selbst opfern, um den Meeresgott zu versöhnen, wird aber von Ilia daran gehindert, die sich wiederum opfern will, um Idamante das Weiterleben zu ermöglichen. Das stimmt Neptun gnädig, der sie alle am Leben lässt, aber verfügt, dass Idomeneo seine Macht an Idamante und seine künftige Gattin abgeben muss. Nur Elektra geht leer aus.
In Nordhausen spielt nicht die vielgelobte Staatskapelle, aber das Loh-Orchester Sondershausen, das übrigens älter ist, muss sein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Ich bin sicher, Sir Simon Rattle würde das, wenn er es dirigierte, bestätigen.
Nächste Vorstellungen:
22.2. 19:30, 9.3. 18:00, 29.3. 19:30
Tickets von Di bis Sa 10:00 bis 18:30:
03631 6260-555