Virginia Woolf aus Sicht von Ivan Alboresi / Wenn es Zeit ist

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Der Abend des 14. Februar war wieder eine Gelegenheit, dem Schicksal dafür zu danken, dass die Ballettkompanie des Theaters Nordhausen nicht aufgelöst wurde. Seit neun Jahren überrascht und erfreut Ballettdirektor Alboresi das Publikum immer wieder mit neuen Inszenierungen. Sein Ballett „Virginia Woolf“ ist zweifellos der vorläufige Höhepunkt seines Schaffens.

Wie nähert man sich tänzerisch einer Ikone der Literatur? Alboresi lässt seine Erzählung mit dem Ende von Woolf beginnen. Virginia steht vor den aufgewühlten Wassern des Flusses Ouse. Das Wasser schäumt nicht nur auf der Filmleinwand, sondern auch in den Bewegungen der Tänzer um sie herum. Als diese sich zurückziehen, bleibt Virginia (Rachele Cortopassi) einsam am Ufer mit ihrem bereits gefassten Beschluss zurück. Sie lässt noch einmal ihr Leben an sich vorüberziehen. Da ist Leonard (Nathaniel Nilsson), der mittellose Autor und Verleger, den sie mit dreißig Jahren geheiratet hat. Symbolisch teilen sich die beiden Tänzer Virginias Mantel. Ihre Ehe war glücklich, Leonard war ihre größte Stütze, selbst wenn die Dämonen ihrer manischen Depression Virginia heimsuchten.

„Eine Frau braucht Geld und ein eigenes Zimmer, um schreiben zu können“, schrieb Woolf. Virginia brauchte auch Leonard, was sie in ihrem Abschiedsbrief bekräftigt.

Sie konnte aus ihrer manisch-depressiven Disposition große Literatur machen. Sie entwickelte eine speziell weibliche Form des Erzählens – das unterscheidet sie von den Brontë-Schwestern, die ihre literarische Karriere unter männlichen Pseudonymen begannen. Woolf war die Erfinderin ihrer Bücher.

In den künstlerischen Kreisen, in denen Woolf sich bewegte, hielt man eheliche Treue für überschätzt. Als sie nach zehn Jahren ihre leidenschaftliche Liebesbeziehung mit Vita Sackville-West (Otylia Gony) begann, die nach acht Jahren in eine lebenslange Freundschaft mündete, nahm ihre Ehe keinen Schaden. Die tänzerische Beziehung von Virginia, Leonard und Vita ist voller Harmonie. Woolf zählte die ästhetische Gestaltung des Lebens auch zur Kunst. Also macht Alboresi die gesamte Performance zum ästhetischen Genuss.

Vor Politikern wie Winston Churchill empfand Virginia tiefe Abneigung: „Ich schreibe nicht, um dem Britischen Empire einen Dienst zu erweisen.“

Virginia sieht eine Blume und denkt an ihre Romanfigur Mrs. Dalloway, die Frau eines Parlamentsabgeordneten, die morgens heiter gestimmt aus dem Haus tritt, um Blumen für den abendlichen Empfang ihres Gatten zu besorgen. Am Abend ist sie wegen Begegnungen, die sie an diesem Tag hatte, in ernsthafte Zweifel über ihr Leben geraten.

In Alboresis Interpretation tritt Mrs. Dalloway (Rina Hayashi) mit einem ihren Kopf umwuchernden Blumenbukett auf. Dieser Roman von Woolf hat es auf die Liste der hundert wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts geschafft.

Orlando (Hamilton Blomquist), der Schlüsselroman über Virginias Beziehung zu Vita, tritt bei Alboresi mit einer großen Party auf. In Woolfs Buch wird Orlando, der drei Jahrhunderte durchlebt, zur Frau. Das ist Woolfs Wunsch, Vita und Orlando zu einer Figur zu verschmelzen.

„Das Schicksal der Welt, die so bald untergehen wird, hat zwei Seiten, eine des Lachens, eine des Schmerzes, der das Herz zerreißt.“ Dieser Satz von Woolf wird am Beginn des Stückes eingesprochen. Zum Schluss, als ihre Dämonen sich wieder melden und sie den Schmerz nicht mehr aushält, zieht sich Virginia ihren Mantel wieder an, sammelt Steine auf, mit denen sie ihre Taschen beschwert, und geht in die Ouse.

 



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