Warum die Carolabrücke einstürzte – eine technische Erklärung

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Von Peter Schewe

Während derzeit viel über politisch verursachte Versäumnisse bei der Sanierung oder Instandhaltung der Brücke gemutmaßt wird, möchte ich hier auf die technischen Aspekte des Brückeneinsturzes eingehen.

Die Brücke wurde errichtet während ich an der TU Dresden von 1968 – 1972 Bauingenieurwesen studierte. Im nahe der Baustelle befindlichen Studentenklub Bärenzwinger tat ich Dienst hinter der Theke. Oft kamen die Bauarbeiter von der Brückenbaustelle, um sich aufzuwärmen oder ein Bier zu trinken und erzählten über die Probleme der Brücke. So hatten sich die Hüllrohre für die Spannglieder beim Einbringen des Betons zusammengedrückt. In Nachtschichten musste der Beton aufgestemmt werden, um die Hüllrohre wieder frei zu bekommen. Dass dabei das Betongefüge empfindlich gestört wurde, mag auch für einen Laien vorstellbar sein.

Während die im Krieg gesprengte Vorgängerbrücke noch 2 Strompfeiler besaß, bestand jetzt die Herausforderung, die Brücke ohne Zwischenpfeiler über 120 m frei zu spannen und trotzdem ein schlankes Bauwerk ohne Bogen herzustellen. Warum diese Forderung bestand, bleibt unklar, da die beiden Nachbarbrücken immer noch über Strompfeiler und somit über nur begrenzte Durchfahrtsbreiten für die Schifffahrt verfügen.

Als Lösung für diese Herausforderung wurde eine Gerbergelenkträgerkonstruktion aus Spannbeton gewählt. So konnte der Mittelteil der Brücke an Land vorgefertigt, dann eingeschwommen und zwischen die auskragenden Brückenarme eingehängt werden, so dass im Flussbereich keine Lehrgerüste und Schalungen erforderlich wurden (siehe Skizze). Dieses statisch bestimmte Tragsystem verfügt anders als statisch unbestimmte Systeme über keinerlei Tragreserven (Renundanz) durch Kraftumlagerungen innerhalb der Konstruktion, versagt diese an einer Stelle kommt es unweigerlich zum Gesamtversagen.

Erkauft wurde der o.g. Vorteil mit einem sehr schlanken und weit auskragenden Brückenarm über dem einzigen Strompfeiler auf Neustädter Seite. Die dort eingebauten, oben liegenden Spannglieder (Bündel aus etwa fingerdicken, unter ständiger Zugbeanspruchung stehender Stahlstäbe) standen unter extrem hohem Zug. Bedingt durch die sommerliche Erwärmung dehnten sich diese ‚Drahtbündel‘ aus, so dass sich das Ende des Kragarmes, dort wo sich das Gelenk zum eingehängten Mittelträger befindet, deutlich absenkte und die Brücke einen sichtbaren Knick bekam. Durch diese jahreszeitlich bedingten Verformungen gab es auch immer Probleme mit den direkt auf dem Brückenüberbau befestigten Gleisen an dieser Stelle und es durften angeblich sich nie mehr als zwei Straßenbahnen gleichzeitig auf der Brücke befinden.

Da sich Beton bekanntermaßen nicht so ausdehnen kann wie hochelastischer Stahl, entstehen im Beton zwangsläufig Risse wenn der Stahl sich dehnt. Und diese Risse entstehen über den Pfeilern an der Oberseite. Fehlt dort eine entsprechende, hochdehnbare und reißfeste Abdichtung oder ist diese wegen unterlassener Kontrolle und Instandhaltung nicht immer funktionstüchtig, dringt unweigerlich Wasser in die Konstruktion ein, welches ggf. noch mit Tausalzen (Chloriden) belastet ist. Gerät dieses an die Spannstähle, kommt es zur Korrosion derselben. Da diese unter hoher Zugbeanspruchung stehen, ist dieser Vorgang nicht nur ein einfaches Verrosten, sondern man spricht dann von einer wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion, die früher oder später ohne Vorankündigung zum plötzlichen Reißen der Drähte führt.

Schaut man sich das Bruchbild der Brücke an, erkennt man unschwer, wo dieser Bruch erfolgt sein muss, nämlich über dem Strompfeiler (siehe Skizze + Bild).

Als Ursache des Einsturzes kann man somit die gewählte, über keine Tragreserven verfügende, statisch bestimmte Konstruktion mit dem eingehängten Mittelteil in Verbindung mit einer nicht funktionsfähigen oberen Abdichtung im oben zugbeanspruchten Teil des Brückenüberbaues betrachten. Während die Straßenbrücken durch den Fahrbahnbelag (Asphalt) abgedichtet sind, ist im Gleisbereich der Straßenbahn eine solche nicht vorhanden. Inwieweit dort alternative Abdichtungen aus Kunststoffbeschichtungen vorhanden waren und ob diese ggf. in der Lage waren, die Dehnungsrisse zu überbrücken, entzieht sich meiner Kenntnis.

Immer wieder wird uns suggeriert, dass durch die turnusmäßigen Brückenprüfungen Einstürze auszuschließen sind. Dieses Beispiel zeigt uns, das solche Prüfungen die im Beton verdeckten Mängel an den Hauptraggliedern einer Spannbetonkonstruktion nicht erkennen können. Was bleibt, ist ein mulmiges Gefühl beim Überfahren solcher Brücken.



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