Das wird man wohl noch sagen dürfen – Diesmal im Theater Nordhausen

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Die Idee zu dieser Gesprächsreihe vom PEN Berlin war einfach großartig. Nach mehreren Veranstaltungen in sächsischen und thüringischen Städten kann man schon sagen, dass sie auch funktioniert. Dafür war der Abend im Nordhäuser Theater am 27. August ein weiterer Beweis. Nicht, weil, wie die FAZ behauptete, „intellektuelle oder politische Prominenz welcher Art auch immer in die Provinz einfällt, um dort den Hauch der großen weiten Welt zu versprühen“. In Frankfurt/Main hat man immer noch nicht den Hochmut gegenüber dem Osten abgelegt. Nein, funktioniert hat es, weil jeder im Publikum zu Wort kam und angehört wurde, egal, ob es der Mehrheit passte oder nicht. Das wurde erreicht, indem der Moderator Aaron vom PEN zu Beginn die Atmosphäre lockerte, indem er Fragen stellte, die mit Handheben (Ja) oder Hand unten lassen beantwortet werden mussten. „Wer sagt heute noch Kaufhalle?“ oder „Wer vermisst Angela Merkel?“.

Tatsächlich gab es in den hinteren Reihen ein paar erhobene Hände. Ob jemand schon mal „Compact“ gekauft hätte? Den meisten wird dieses Magazin erst nach Nancy Faesers gescheitertem Verbot bekannt geworden sein. Mir ist Jürgen Elsässer vor vielen Jahren aufgefallen, als er mit ein paar Gesinnungsgenossen bei den iranischen Mullahs zu Gast war. In meinen Augen hat er sich damit disqualifiziert, egal, ob er damals noch zu den Linksextremisten oder schon zu den Rechtsextremisten zählte. Nach dem heiteren Start begann die Podiumsdiskussion. Leider war entgegen der Ankündigung im Theaterprogramm anstelle von Anna Schneider Nikolaus Blome erschienen. Das führte später auch zur einzigen Friktion in der Veranstaltung. Neben Blome saß Stephan Anpalagan, von dem die Welt am 5. August 2023 schrieb, dass er mit „extremer Schärfe… gegen Unionsparteien, bürgerliche Medien und Polizei“ polemisiert, „obwohl er selbst an der Polizeihochschule arbeitet“. Anpalagan hat sich auf dem Podium dann nicht mit „extremer Schärfe“ geäußert, sondern interessante Geschichten über seine Aktionen in Bezug auf Heimat und wie man sie besser machen könnte, erzählt. Blome sprach ziemlich ausführlich über das verunglückte Heizungsgesetz.

Als die Diskussion für das Publikum geöffnet wurde, stellte sich heraus, dass für fast alle Diskutanten die Corona-Politik ein Problem war. Auch die Autorin sprach davon, dass durch die Corona-Politik ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat abhandengekommen sei. Wiederholt wurde eine Aufarbeitung der Corona-Politik gefordert. Danach meldeten sich Stimmen, die diese Politik ohne Wenn und Aber verteidigten und bekamen Beifall von der Mehrheit. Im aktuellen Wahlkampf würde das an den Ständen der SPD keine Rolle spielen, da gäbe es vor allem Fragen nach dem öffentlichen Nahverkehr und den gestiegenen Energiepreisen.

Blome auf dem Podium erteilte dem Wunsch nach Aufarbeitung der Corona-Politik eine Absage. Die, die das forderten, sollten sagen, welches Ziel sie damit verfolgten. Die Mehrheit hätte die Corona-Maßnahmen unterstützt. Mit diesem Argument könnte man jede Aufarbeitung verhindern, denn z. B. hat sich die Mehrheit der DDR-Bevölkerung nicht gegen den SED-Staat aufgelehnt, trotzdem gab es eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung des SED-Unrechts. Anpalagan ergänzte, im Erzgebirge hätten sich die Leichen gestapelt. Dem wurde aus dem Publikum widersprochen. Das sei passiert, weil die Grenze zu Tschechien zeitweise geschlossen war und die Bestatter nicht wie üblich in die tschechischen Krematorien fahren konnten. Tatsächlich gab es laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 keine Übersterblichkeit. Die setzte erst 2021 nach Beginn der Impfungen ein. Als Anpalagan dann sagte, mit den heutigen Erkenntnissen würden einige Entscheidungen anders getroffen, wurde erwidert, dass sich aus den RKI-Protokollen keine wirklich neuen Erkenntnisse ergeben hätten. Alle Zweifel und Einwände seien bereits im späten Frühjahr/frühen Sommer von Leuten wie Wolfgang Wodarg (man könnte jetzt ein Dutzend Namen anfügen) geäußert worden. Diese Kritiker seien aber mundtot gemacht worden. An dieser Stelle griff Blome ein und warf der Autorin vor, von Diktatur geredet zu haben. Hatte sie aber nicht. Sie hat die erste Hälfte ihres Lebens in einer Diktatur verbracht und würde diesen Vergleich nicht benutzen, hält ihn sogar für kontraproduktiv. Aber Blome hat mit diesem Anwurf vorgeführt, was in der gegenwärtigen Diskussion usus ist. Andersdenkende werden mit falschen Attributen belegt, gegen die sie sich dann zur Wehr setzen müssen. Dass dies vom Podium kam, war der einzige Missklang einer ansonsten sehr gelungenen Veranstaltung. Ich würde es begrüßen, wenn das Theater Nordhausen dem Beispiel vom Theater Görlitz folgt und eine ähnliche Diskussionsreihe auflegt.



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