Harald Martenstein auf Schloss Ettersburg

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Schloss Ettersburg ist immer eine Reise wert. Nachdem der Musenhof Anna Amalias nach wechselvoller Geschichte: Schaffensort der Dichter und Denker von Goethe und Schiller bis Friedrich Hebbel, Reformgymnasium, Offiziersschule, Bildungsstätte der DDR-Justiz, schließlich Altersheim Ende der 70er Jahre dem Verfall preisgegeben wurde, auferstand er Dank der Bürgerinitiative „Kuratorium Schloss Ettersburg“, die vom legendären Kirchenretter Wulf Bennert mitgegründet wurde und des Bildungswerkes Bau Hessen-Thüringen aus Ruinen und ist heute wieder ein besonderer Ort. Das ist nicht nur der herrlichen barocken Anlage und dem wunderbaren Schlosspark mit dem „Pücklerschlag“, initiiert vom berühmten Fürsten zu verdanken, sondern dem außerordentlich interessanten Programm, das die Ettersburg-Stiftung anbietet. Für letzteres ist Dr. Peter Krause zuständig, dessen Ernennung zum Direktor des Ettersburger Schlosses sich als Glücksfall erwies. Ihm ist es zu verdanken, dass die besten Schauspieler, Musiker und Autoren gern nach Ettersburg kommen. Wegen der interessanten Veranstaltungen reist das Publikum nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern auch aus Leipzig, Berlin und Frankfurt am Main an.

Anfang Mai war Harald Martenstein zu Gast. Zum fünften Mal, wie er dem Publikum mitteilte. Damit hätte er sich eine Bronzemedaille verdient. Gold bekäme er dann nach dem 25. Mal. Von da an war en die Zuhörer, die den Gewehrsaal bis auf den letzten Platz füllten, auf einen heiteren Abend eingestimmt. Dabei ging es unter dem launigen Titel: „Es wird Nacht Señorita“ um die ernsten Probleme unserer von Humorlosigkeit und Intoleranz geprägten Zeit. Das Gespräch mit Martenstein führte Bernd Hilder, zuletzt aus nichtigen Gründen geschasster Chefredakteur der Thüringer Landeszeitung, seitdem weiterbezahlter Freischaffender. Schon die Eingangsfrage Hillers legte den Finger auf die Zeitgeist-Wunde: Wieso Martenstein trotz seiner aufmüpfigen Kolumnen, deren eine, die von „Tagesspiegel“ zensiert wurde, Martenstein mit seinem Stammblatt brechen ließen, immer noch in den „Qualitätsmedien“ präsent sein könnte? Martenstein antwortete, dass er als Anfänger heute keinerlei Chancen hätte, seine Kolumnen zu veröffentlichen. Aber er sei eben schon sehr lange dabei. Tatsächlich ist der Mann eine Instanz, deren Ruf nicht so leicht zu erschüttern ist. Vor allem inszeniert er sich nie als Opfer, sondern pariert Angriffe mit beneidenswertem Witz. Das entmachtet seine Gegner. In der Ankündigung der Veranstaltung wurde seien Angstfreiheit hervorgehoben. Das ist nicht falsch, aber seine stärkste Seite ist sein Humor. Wie er es gefunden hätte, als Mario Barth für Zeit-Leser bezeichnet worden zu sein? Phantastisch war die Antwort, allerdings wäre die Zeit dem Vorschlag, sein Honorar auf Barth-Niveau abzuheben leider nicht gefolgt. Den Anwurf (Bild) Wagner für Bildungsbürger zu sein, lässt er zum Glück für Wagner, unkommentiert.

Nach einer halben Stunde Gespräch, das trotz der ernsten Themen immer wieder vom befreienden Lachen der Zuhörer aufgelockert wurde, schob Martenstein eine Lesung aus seiner nächsten, im Herbst erscheinenden Kolumnensammlung ein. Ob es um die beim Zähneputzen auf einem Bein stehende und zahlreiche Pillen schluckende Nina Ruge ging, den auch im Privatgespräch außerhalb der Hörweite anderer Personen verbissen gendernden Theaterregisseur, oder den von schwärzestem Humor geprägten Vorschlag für Karrierefrauen, ihre Kinder bis zum Erreichen des Pensionsalters immer wieder einzufrieren, nachdem man „quality time“ mit ihnen verbracht hat – der Gewehrsaal dröhnte vor Lachen. Mir fiel dazu ein Satz ein, den ich im vergangenen Sommer bei den Thüringer Schlossfestspielen auf der Bühne gehört hatte: „Und sind wir auch regiert von Nieten, wir lassen uns das Lachen nicht verbieten“.

Im Herbst kauft jeder, der diesen Abend erlebt hat, das neue Buch von Martenstein, da bin ich sicher. Solange es alte weiße Männer wie ihn gibt, ist Deutschland nicht verloren.



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