Sainte Chapelle und Conciergerie – Die Schöne und das Biest

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Es ist kaum ein größerer Gegensatz denkbar, als der, den man in Paris auf der Île de la Cité in einer Entfernung von höchstens 100 Metern findet: Die wohl schönste gotische Kathedrale der Welt, ein Schrein mit bezauberndem farbigen Licht, und die Conciergerie, eines der größten Gefängnisse der Welt, wo die Opfer des Terrors der Französischen Revolution auf ihre Hinrichtung mit der Guillotine warten mussten.

Wenn man die Chapelle betritt, stockt einem der Atem. Farbiges Glas und Stein umschließen das in allen Farben leuchtende Tageslicht. Dieses Meisterwerk der Hochgotik ist ein Zeugnis der Kunst der Pariser Werkstätten und gab schon den Zeitgenossen den Eindruck, eine „der schönsten Kammern des Himmels“ zu betreten. Das schützte den von Ludwig IX., dem „Heiligen“, geschaffenen Aufbewahrungsort für Passionsreliquien nicht vor der Zerstörungswut der Revolutions-Terroristen von 1791-1794, die in ganz Frankreich verheerende Verwüstungen an Burgen, Schlössern, Kirchen und Klöstern anrichteten. Als die Restaurierungsarbeiten 1840 begannen, beseitigten die Restauratoren nicht nur die Revolutions-Schäden, sondern stellten auf Anraten von Eugène Viollet-le-Duc den Zustand des 13. Jahrhunderts stilgetreu wieder her. Dafür wurden gründliche archäologische Forschungen angestellt und alle später hinzugekommenen Elemente entfernt.

Die Sainte Chapelle ist die gotische Umsetzung der karolingischen Pfalzkapellen, deren berühmtestes Beispiel der Aachener Dom ist. Der Name des Baumeisters wird in keiner Urkunde erwähnt, sodass dem königlichen Auftraggeber der alleinige Ruhm zufällt. Aber die Glasfenster, die das zauberhafte Licht erzeugen, das bis heute alle Besucher fasziniert, kann man sich nicht vorher ausgedacht haben. Es muss durch Versuch und Irrtum während der Bauphase entstanden sein. Jedenfalls ist es ein Dokument des kompromisslosen Strebens nach Schönheit des viel und zu Unrecht geschmähten Mittelalters.

In der Conciergerie manifestiert sich dagegen dessen dunkle Seite, obwohl auch hier schön gebaut wurde, was man am Kreuzgewölbe des Aufenthaltssaals für zweihundert Wachleute sieht. Selbst hier findet man Kunst am Bau, wovon Wandreliefs zeugen.

Foto: Sven Lingreen

In der Küche mit vier Herden wurde täglich für 2000 Leute gekocht. Das Elend dokumentiert sich in den Zellen, wo tausende Gefangene auf ihren Tod warten mussten. In der Conciergerie wurde nicht hingerichtet, sondern die Opfer der Revolution wurden auf Karren zur Hinrichtung auf dem „Platz der Revolution“, heute Place de la Concorde, gefahren. Die berühmteste Gefangene war Marie Antoinette, die nicht in einer normalen Zelle, sondern in einer Kapelle eingesperrt wurde. Als sie noch Königin war, hat sie sich gern mit den Künstlern und Philosophen umgeben, die geistig den Sturz der Monarchie vorbereiteten. Wenn ich mich nicht täusche, hat Lion Feuchtwanger in „Die Füchse im Weinberg“ beschrieben, wie Marie Antoinette Louis XVI. überredete, die amerikanischen Rebellen finanziell zu unterstützen. Das hat sie nicht vor einer Anklage wegen „Hochverrats“ geschützt. Sie musste, wie Monate vorher ihr Gemahl, die Guillotine besteigen. Zur bitteren Ironie der Geschichte gehört, dass Louis XVI. an der Verbesserung der Mordmaschine mitgewirkt hat. Als ihm der Erfinder sein Werk vorstellte, mit glattem Messer, griff der König zur Feder und malte ein schräges Messer, welches dann so gebaut wurde.

Maximilien Robespierre, der Chefankläger des Revolutionstribunals, der tausende Menschen aufs Schafott schickte, war, solange die Monarchie bestand, ein lauter Gegner der Todesstrafe. In der Conciergerie sieht man einen Kupferstich, wie er, elegant gekleidet und mit abgewandtem Kopf, das Mordinstrument selbst bedient. Am Ende musste auch er die Guillotine besteigen, weil die Mitglieder des Tribunals keine andere Möglichkeit sahen, dem Tod zu entkommen. Damals entstand das Wort: Die Revolution frisst ihre Kinder. Die Französische Revolution hat nicht nur Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern auch den revolutionären Terror in die Welt gebracht. An den Folgen leiden wir noch heute.

Foto: Sven Lingreen



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