Père Lachaise

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Der Friedhof Père-Lachaise ist heute der größte innerstädtische Friedhof von Paris und einer der größten und bekanntesten der Welt. Ursprünglich 1804 außerhalb der Stadt auf hügeligem Gelände angelegt, weil eine Verordnung die Weiterbenutzung der städtischen Friedhöfe verbot, ist er längst wieder von der Stadt umschlossen. Auf dem Père Lachaise sind mehr als 500 prominente Persönlichkeiten begraben, und es kommen immer noch welche hinzu, denn Père-Lachaise ist nach wie vor ein aktiver Friedhof. Das zieht Besucher aus aller Welt an. Mehr als dreieinhalb Millionen Besucher sind es jedes Jahr. Damit ist er der meistbesuchte Friedhof der Welt.

Jetzt sind wir da. Wir betreten das Gelände durch einen Seiteneingang, gemeinsam mit etwa einem Dutzend Menschen aus aller Welt. An einer Hinweistafel kann man den Lageplan und die Prominentenliste scannen und seinen Besuch planen. Auf unserer Liste stehen so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Honoré de Balzac, Victor Hugo, Frédéric Chopin, Victor Noir und Jim Morrison. Das führt uns kreuz und quer über das Gelände.

Der erste Eindruck ist der von Vergänglichkeit. Hier gibt es kaum einfache Grabsteine, sondern Grabkapellen mit schönen schmiedeeisernen Türen und Fenstervergitterungen. Stein und Eisen befinden sich in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls. Die Türen sind teils geöffnet, hängen nur noch an einer Angel oder sind rostzerfressen ins Innere gefallen. Auch ganz zusammengesackte Kapellen sind zu sehen. Dazwischen immer wieder neue Gräber der Nouveaux Riches, nicht mehr mit Kapellen, sondern mit überlebensgroßen Statuen oder mit dem bebaut, was als moderne Grabkunst angesehen wird. Ursprünglich war das Ganze als Friedhofpark geplant, inzwischen stehen die Gräber dicht an dicht. Nur rund um das Krematorium und die Trauerhalle gibt es noch etwas Raum. Zwischen und auf den Gräbern haben sich Pflanzen aller Art angesiedelt: Zimbelkraut, Ruprechtskraut, einjähriges Silberblatt, Farne, Moose sorgen für die nötige Romantik. Viele Gräber haben steinerne Urnen mit Dauerbepflanzung. Tiefblaue Schwertlilien scheinen dafür am beliebtesten zu sein. Sie haben sich aus den Urnen heraus auf die Zwischenräume verbreitet. Wir haben das Glück, alle genannten Pflanzen in voller Blüte zu erleben. Besonders das Blau zwischen dem zarten Frühlingsgrün der ausschlagenden Büsche und Bäume setzt tolle Akzente.

Nur wenige Gräber sind frisch geschmückt. Zu den Ausnahmen gehört das Grab von Balzac, das von Blumen umgeben ist. Der Dichter ist unvergessen. Nicht weit vom Grab des Literaten befindet sich das von Victor Noir, dem sein früher Tod Ruhm gebracht hat. Noir sollte im zarten Alter von 21 als Sekundant für seinen Verleger die Bedingungen für dessen Duell mit einem Großneffen von Napoleon Bonaparte aushandeln. Noir und der Großneffe gerieten in Streit, worauf der seine Pistole zog und Noir erschoss. Der Fall erregte großes Aufsehen, an die 100.000 Menschen kamen zu Noirs Beerdigung. Im Jahr 1891 wurde der Leichnam Victor Noirs auf den Père Lachaise umgebettet. Das Grabmal, das nun mit einer Statue des Bildhauers Jules Dalou geschmückt wurde, avancierte wegen der deutlich sichtbaren Schwellung im Lendenbereich der Statue zum Wallfahrtsort für Paare mit Kinderwunsch. Die Berührung der Schwellung soll fruchtbar machen. Wegen des Andrangs hatte die Friedhofsverwaltung versucht, das Grab mit einem Zaun zu schützen. Der musste auf Druck einer Fraueninitiative wieder abgebaut werden.

Foto: Sven Lingreen

Dagegen steht der Zaun um Jim Morrisons Grab noch. Sein Grabstein ist zwischen mehrere alte Gräber wie ein Fremdkörper gezwängt und mit Fotos des Idols geschmückt. Die Friedhofsverwaltung hat es hier mit einem anderen Phänomen zu tun. Ein in der Nähe des Grabes stehender Baum musste mit einer Schilfmatte umwickelt werden, weil die Besucher begonnen hatten, ihre Kaugummis an seine Rinde zu kleben. Morrison, der einen elenden Tod auf der Toilette einer Pariser Kneipe starb, liefert Stoff für Verschwörungstheoretiker, wird diesem Ritual kaum gerecht.
Mich hat am meisten das Grab von Fernand Arbelot bewegt. Über Arbelot weiß ich nichts, außer dass er ein glücklicher Mann war. Die von Adolphe Wansart geschaffene Statue von Arbelot liegt auf dem Rücken und schaut in das Gesicht seiner Frau, das er in den Händen hält. Das Symbol für die über den Tod hinauswährende Liebe. Das Epitaph auf dem Grab lautet: „Sie waren erstaunt über die schöne Reise, die sie bis ans Ende ihres Lebens geführt hat“.

Gegenüber von Frédéric Chopin stieß ich zufällig auf das Grab eines anderen Liebespaares, das durch die Liebesgedichte des Expressionisten Ivan Goll an seine Frau Claire berühmt wurde. An dieser Liebe bekam ich Zweifel, als ich das Buch von Claire Goll las, das sie kurz vor ihrem Tod veröffentlichte. „Ich verzeihe keinem“ lautet der unversöhnliche Titel, der vom Verlag als „eine Chronique scandaleuse, die nichts verschweigt“ beworben wird. So verschweigt Claire auch nicht, dass sie erst im Alter von 80 Jahren mit Hilfe eines ihrer Studenten einen Orgasmus bekam. Armer Ivan Goll. Dichtung vermag offensichtlich nicht alles. Claire überlebte Ivan um 27 Jahre und folgte ihm ins selbe Grab.

Neben den zahllosen Familien und Einzelpersonen wird auch an Gruppen gedacht. Es gibt eine Gedenkstätte für die Kämpfer in der Légion Étrangère, die für französische Interessen starben, eine Mauer, an der den Revolutionären der Pariser Kommune gedacht wird. Das ergreifendste Memorial befindet sich allerdings an der Außenwand des Friedhofs. Hier sind hunderttausende Namen der gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges eingeritzt, als ständiges Mahnmal gegen Kriege. Gerade heute sind sie wichtig, wo nicht nur die Politiker Frankreichs, sondern auch Deutschlands und anderer europäischer Staaten wieder mit dem Gedanken an Krieg spielen.



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