Die schöne Apothekerin

Veröffentlicht am

Michael Klonovsky, dessen Acta Diurna von seinen Lesern vor allem wegen seiner geschliffenen Formulierungen geschätzt wird, hat auf seinem alten PC, bevor er ihn „in den Computer-Himmel schickte“, sechs Erzählungen entdeckt, die er gegen Ende des ersten Jahrzehnts geschrieben und dann vergessen hatte. Zum Glück sind sie wiederentdeckt und bei Manuscriptum publiziert worden, denn es handelt sich um literarische Juwelen.

Diese Feststellung ändert nichts an der Tatsache, dass diese Erzählungen wohl eher von Herren als von Damen goutiert werden. (Mir fiel bei der Lektüre immer wieder das so genannte Herrengedeck ein). Das hängt mit Klonovskys Frauenbild zusammen, das man auch in seinen Romanen findet.

Eine Frau muss so etwas von makellos sein, dass alle, die nicht sicher sind, den perfekten Körper zu besitzen, je nach Veranlagung bei der Lektüre depressiv oder wütend werden könnten. Oder erheitert konstatieren, dass die Feministinnen, die behaupten, Männer sähen in Frauen nur Sexobjekte, keine Menschen, doch Recht haben.

Aber Klonovsky liefert auch die Kehrseite mit: Der Bankangestellte, der sich nach der himmlischen Apothekerin verzehrt und sein Verlangen so wenig im Griff hat, dass er sie stalkt, leidet gleichzeitig darunter ihr nicht adäquat zu sein. Dieses Leiden beschreibt Klonovsky ausführlich mit viel Selbstironie.

Als der Bankangestellte das Objekt seines Begehrens endlich zu einem Abendessen einladen darf, kühlt die Schöne sein Verlangen ab, indem sie ihm offenbart, dass ihre Schenkel durch Verbrühungen in der Kindheit mit einer Art Schlangenhaut bedeckt seien. Später erfährt er aus der E-Mail eines Bekannten, der die Apothekerin am Strand der Adria beobachten konnte, dass ihre Schenkel ebenso perfekt sind wie der Rest ihres Götterkörpers.

Merkwürdigerweise hat Simon Sebag Montefiore in „One Night in Winter“ seine ebenso perfekte Heldin Serafima mit einem ähnlichen verdeckten Schlangenhaut-Defekt ausgestattet. Sebags Roman erschien 2013, als Klonovskys Erzählung im PC schlummerte. Es muss damals etwas in der Luft gelegen haben…

In „Faustina“ geht es um eine Wette zwischen Gott und Satan, ob die mit göttlichem Aussehen gesegnete Gottes „Knechtin“ Anna Simon, die geistig etwas einfach gestrickt ist (sic!) und an die Liebe glaubt, die im Spiel sein muss, wenn sie sich einem Mann hingibt, sich mit Reichtum verführen lässt. Die Charakterstudie des Multimilliardärs, der sich mit allen Mitteln um Anna Simon bemüht, aber nicht mehr erreicht, als einmal ihre nackten, natürlich perfekten Brüste küssen zu dürfen, ist meisterhaft. Am Ende muss der Arme zu den professionellen Liebesdienerinnen zurückkehren und Satan hat die Wette „so was von verloren“.

Gruselig und an Houellebecq erinnernd ist die Erzählung „Wie sterben“.

Eine Handvoll Lifestyle-Yuppies sitzt wie häufig bei einem exklusiven Abendessen beisammen, als die Stimmung kippt, weil eine Teilnehmerin an den fehlenden Freund erinnert, der in seinen 40ern von einem Schlaganfall gefällt und für immer an die Intensivpflegestation gefesselt wurde. Die Runde hatte ihn in der ersten Woche nach seinem Unfall noch besucht, danach aber so gut wie vergessen. Während das köstliche Essen kalt wird, unterhalten sich die verhinderten Schlemmer, wie sie gern sterben würden. Klonovsky gelingt es mit wenigen Sätzen, das jeweilige Elend des leeren Lebens dieser überwiegend kinderlosen Gourmets vor Augen zu führen. Fast allen bescheidet er einen baldigen Tod, der sich sehr von dem unterscheidet, den sie in der Theorie bevorzugt haben.

In „Unordnung und frühe Freud“ zeigt sich Klonovskys Talent zur Satire. Wie ein Verleger zeitweilig durch einen Kommafehler zu der irrigen Annahme verleitet wird, eine seiner ebenso zahlreichen, wie belanglosen Frauenzeitschriften hätte als einziges seiner Produkte einen Auflagenzuwachs, während alle anderen an Lesern verlören, ist reines Lesevergnügen.

In „Eine Unterhaltung im Zug“ führt ein vierfacher Vater und zweifacher Opa zwei kinderlosen Soziologinnen, die der Meinung sind, „Verantwortungsgemeinschaften“, die nach dem Willen der Gesellschaftstransformierer die traditionelle Familie ersetzen sollen, seien gut für Kinder, denn sie hätten dann nicht nur Mutter und Vater, sondern mehrere „Bezugspersonen“, vor, wie falsch sie liegen. Wenn viele die Verantwortung für eines haben, hat sie keiner. Kinder mit „Verantwortungspersonen“ sind einer gnadenlosen Einsamkeit ausgeliefert.

Schließlich geht es in „Um deretwillen die Sonne scheint“ um einen Tag, den ein potenzieller Selbstmörder zu seinem letzten bestimmt hat. Er wacht morgens mit der Gewissheit auf, dass es nun so weit sei. Er konnte den Schmerz über den grausamen Verlust von Frau und Sohn nicht länger ertragen. Er rasiert sich sorgfältig, zieht die Wohnungstür hinter sich zu, ohne den Schlüssel mitzunehmen und macht sich auf zu der Brücke, auf der er sein Ende finden will.

Aber auf dem Weg begegnen ihm mehrere Personen, ein Obdachloser, ein ehemaliger Kommilitone, eine junge, makellos schöne, russische Musikerin, die ihn aufhalten und mit unerwarteten Erkenntnissen konfrontieren. Erst am Nachmittag kommt er auf der Brücke an. Dort sieht er einen Jungen an einer gefährlichen Stromschnelle auf einem Stein spielen, von dem er jeden Augenblick abstürzen kann. Er macht sich auf, den Jungen zu retten. Klonovsky lässt offen, ob ihn das Schicksal von Kästners „Fabian“ ereilt.

Neben dem Lesevergnügen ist es ein Genuss, das schön gearbeitete dunkelblaue Bändchen in der Hand zu halten. Ich hatte Schwierigkeiten, es vor meinem elfmonatigen Enkel, der es zum Fressen gernhatte, in Sicherheit zu bringen. Die Manuscriptum-Qualität überzeugt schon unsere Jüngsten.

Michael Klonovsky: „Die schöne Apothekerin“, Manuscriptum 2023



Unabhängiger Journalismus ist zeitaufwendig

Dieser Blog ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Wenn Sie meine Arbeit unterstützen wollen, nutzen Sie dazu meine Kontoverbindung oder PayPal:
Vera Lengsfeld
IBAN: DE55 3101 0833 3114 0722 20
Bic: SCFBDE33XXX

oder per PayPal:
Vera Lengsfeld unterstützen