Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke
Der Schritt über den Rubikon
Vor einiger Zeit brachte der von fast uns allen so verehrte Kanzler seine „Richtlinienkompetenz“ ins Spiel. Er tat dies mit der Entschlossenheit und Dramatik eines Julius Cäsar, der seinen Truppen befiehlt, den Rubikon zu überqueren. Worum ging es diesmal? Es ging darum, dass drei der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke, die uns seit Jahrzehnten preiswert und zuverlässig mit Elektrizität versorgt haben, um sage und schreibe drei weitere Monate über das Jahresende 2022 hinaus am Netz bleiben sollten, bevor auch sie verschrottet würden.
Diese drei letzten nuklearen Mohikaner sollten noch bereitstehen, falls es bei der Stromversorgung zu unerwarteten Engpässen kommen sollte. Und? Kam es dazu? Hat des Kanzlers Machtwort uns gerettet?
Nehmen wir die Situation der 7. und 8. KW (Kalenderwoche – nicht Kilowatt) des laufenden Jahres, so wie sie hier unbestechlich und übersichtlich dargestellt ist. Da spuckten die besagten drei KKWs (Kernkraftwerke) gemeinsam pro Woche noch ganze 500 Gigawattstunden (GWh) aus. Ist das viel? Teilen wir diese Energie durch die Anzahl der Stunden einer Woche (7 x 24 = 168) dann kommen wir auf eine durchschnittliche Leistung von (500 GWh / 168 h) ≈ 3 GW (Gigawatt), oder auch drei Millionen kW (Kilowatt).
Ein zwei Personen Haushalt zieht im Mittel 0,3 kW elektrischer Leistung aus der Steckdose. Mit besagten 3 GW konnte man also um die 10 Millionen Haushalte versorgen.
Unsere Eliten im intellektuellen Streckbetrieb
Jedes der drei Kraftwerke trug dazu durchschnittlich 1 GW bei. Die Namen dieser drei Kandidaten sind Isar 2, Neckarwestheim und Emsland. Wenn Sie aber auf deren Visitenkarten schauen, dann steht da ganz stolz „Druckwasserreaktor 1,4 Gigawatt“! Was war da los? Warum haben sie nur 1,0 GW geliefert?
Sie wurden im „Streckbetrieb“ gefahren. Dieser Begriff wurde irgendwie von einflussreichen Laien wie Politikern und Journalisten aufgeschnappt, die sich dann im eigenen intellektuellen Streckbetrieb zu dem Thema äußerten. Es hörte sich dann so an, als würde man die Kraftwerke jetzt schinden wie ein Auto, bei dem das Motoröl ausgelaufen ist, und das man noch gnadenlos bis zu seinem Zusammenbruch weiterfährt.
Tatsächlich aber wird „Streckbetrieb“ routinemäßig angewandt, etwa wenn man das jährliche Abschalten eines Reaktors zum Wechsel von Brennelementen („Revision“) hinauszögern möchte. Zu dem Zeitpunkt ist dann vielleicht die Konzentration des spaltbaren Materials (Uran 235) zu weit abgesunken, als dass die nukleare Kettenreaktion noch wie gewohnt weitergehen könnte, man kann den Reaktor aber dennoch weiterfahren, allerdings bei niedrigerer Betriebstemperatur. Da funktioniert aus gewissen physikalischen Gründen die Kettenreaktion wieder. Die Leistung ist dann zwar um 20% oder 30% geringer, aber die Show kann für ein paar Monate weitergehen. Deswegen bringen die besagten drei KKWs „nur noch“ 1,0 GW statt 1,4 GW Nennleistung.
Was dann?
Anfang 2023 sind die unerwarteten Engpässe bei der Stromversorgung also erwartungsgemäß eingetreten, und man war den drei Mohikanern für ihren Dienst dankbar. Ab 15. April, aber soll nun für immer Schluss sein – oder? Wäre es denkbar, dass man auch dann noch mit unvorhersehbaren Engpässen rechnen muss, und dass sich der Kanzler ein weiteres Mal an seinen Amtseid erinnert und dazu entschließt, Schaden vom deutschen Volk zu wenden?
Dann würde sich die Frage stellen, ob und wenn ja welche Kernkraftwerke sich vielleicht doch wieder zum Leben erwecken ließen, und zwar über einen Streckbetrieb hinaus. Das Thema wurde ja kürzlich des Öfteren erörtert und das Ergebnis war: vielleicht, manche schon, es wäre aber sehr schwierig.
Ein altes armenisches Sprichwort sagt: „Wenn man ein Projekt nicht will, dann ist jede Schwierigkeit ein willkommener Grund, um die Finger davon zu lassen.“ Das trifft hier wohl zu und ich schlage vor, wir schauen uns das mal an.
Offensichtlich bräuchten wir für einen Weiterbetrieb der ruhenden KKWs neuen Brennstoff. Wird es den geben? Die Beschaffung hat ja auch in der Vergangenheit geklappt, warum nicht heute? Das dauert vielleicht etwas, aber es ist möglich.
Dann brauchen wir geeignetes Personal, aber das ist in Kraftwerken auch noch nach der Abschaltung eine ganze Weile für den „Nachbetrieb“ vorhanden, und einige dieser Professionals würden vielleicht lieber einen sinnvollen Job machen, als die Zeit bis zur Rente nur abzusitzen.
Und wie steht es um die Technik? Wird die auch noch betriebsbereit vorhanden sein? Werden da nicht sofort nach Abschalten wichtige Sachen zersägt und abgerissen?
Nicht ohne meine Genehmigung
So ein Reaktor unterliegt der permanenten kritischen Überwachung durch das „Umwelt-oder-so-Ministerium“, wie auch immer sich das im jeweiligen Bundesland auch nennt. Ohne dessen Segen darf da niemand mit der Flex gerade mal ein Rohr abschneiden oder eine Wand einreißen. Ohne „Genehmigung für Stilllegung und Abbau“ darf da keine irreversible Veränderung vorgenommen werden. Diese Genehmigung ihrerseits ist kein Blatt Papier mit Stempel und Unterschrift des Ministers, es ist ein Konvolut von mehreren Aktenordnern, in denen eine Fülle von Auflagen für jede Handlung festgelegt ist.
Da könnte also stehen: „Ja, ihr dürft diese Schrauben rausdrehen, vorausgesetzt, dass dokumentiert wird, mit welchem Schlüssel das passiert und wo der und die Schrauben anschließend aufbewahrt werden.“
Besagte Genehmigung ist kein Standard-Dokument, sie wird für jeden Kandidaten spezifisch erstellt, und das kann dauern. Der Zeitraum zwischen Antragstellung durch den Betreiber des Kraftwerks und Erteilung durch die Behörde kann schon mal ein Jahr oder mehr dauern, und das gibt dem Reaktor eine Gnadenfrist. Und so kommt es, dass zwar außer unseren drei Kandidaten alle KKWs abgeschaltet sind, aber dass einige von ihnen diese Genehmigung aber noch nicht erhalten haben. Welche das sind können Sie hier sehen. Die könnten also mit vertretbarem Aufwand wiederbelebt werden.
Was heißt vertretbar? Ist es vertretbar, wenn der Aufwand, um einen einzelnen Reaktor zu reaktivieren geringer ist, als der Bau von ein paar tausend Windkraftwerken plus den notwendigen Stromspeichern für Flaute, die ihn ersetzen sollen? Das sieht nach einer einfachen Rechnung aus, aber wir haben da ein Naturgesetz außer Acht gelassen.
Der grüne Hauptsatz
Vielleicht sind ja unsere Überlegungen für die Katz. Vielleicht werden unsere grünen Maschinenstürmer ja dafür sorgen, dass ihr Allerheiligstes, das Dogma „Atomkraft nein danke“, um jeden Preis in Deutschland durchgesetzt wird, egal was Experten und das Ausland auch dazu sagen, egal welch unvorstellbarer Schaden der Bevölkerung und der Industrie dadurch zugefügt wird. Amtseid hin oder her – dem Vizekanzler und Energieminister ist kein Preis zu Lasten Deutschlands zu hoch, um den grünen Wahn gegen alle Widerstände durchzusetzen.
Da werden unsere grünen Freunde, die sonst der Logik so feindlich gesinnt sind, plötzlich ganz systematisch vorangehen, um ihren Einfluss bei den entsprechenden Stellen geltend zu machen. Sie werden dafür sorgen, dass ausgerechnet die aussichtsreichsten Kandidaten für Wiederbelebung so schnell wie möglich irreparabel geschädigt werden – siehe KKW Philippsburg, wo man gleich mal die Kühltürme gesprengt hat. Die letzten Brücken für eine Rückkehr zur Vernunft müssen so schnell wie möglich niedergebrannt werden.
So geht grüne Politik: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.