Filmkritik  zu „Stasikomödie“ von Leander Haussmann – Wie Putin sich die DDR-Opposition vorstellte

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Ein Prenzlauer Berger Schauermärchen

Von Gastautor Philipp Lengsfeld

Letzte Woche hatte ich die Ehre, der Weltpremiere der „Stasikomödie“ von Leander Haussmann in Berlin beizuwohnen. Der Film hat mich erst sehr wütend und dann relativ traurig gemacht. Und dies liegt nicht daran, dass der als Dramedy, also als Mischung aus Drama und Komödie, charakterisierte, recht lange Film weder besonders komisch, noch besonders dramatisch ist. Sondern daran, dass ich die Abrechnung von Leander Haussmann mit der DDR-Opposition weder nachvollziehen noch akzeptieren kann. Obwohl oder gerade weil ich nachgeboren bin, aber eben einige Protagonisten als ein Kind der Szene persönlich kenne, in den Endachzigern und danach erlebt habe: Leander Haussmanns Darstellung des freien unangepassten Künstler- und Oppositionsmilieus im Prenzlauer Berg als einseitig oder opiniated zu charakterisieren, wäre doch zu milde.

Haussmann kreiert ein Panoptikum aus Loosern, Posern und überspannten, unsympathischen, attraktiven jungen Frauen, gesteuert von der Stasi.

Den Plot können wir uns hier sparen (ist aber Teil der ausführlicheren Version, die ich auf meiner Webseite veröffentliche).

Haussmann verfolgt drei Hauptthemen, die trotz des vielen, teilweise sehr detailgetreuen und bunt-unterhaltsamen Beiwerks stark durchschimmern und die eine kruder als die nächste ist.

Erstes Thema: Der politische Teil der von Haussmann offenbar nicht wirklich geschätzten Künstler-Szene war von A bis Z von der Stasi gesteuert, bzw. erfunden.

Und zwar nicht etwa mit Hilfe von zur Zusammenarbeit verführten oder gezwungenen Inoffiziellen Mitarbeitern (IMs) (so stellte sich ja die Realität der an Spitzeln nicht gerade armen DDR-Künstler- und Oppositionsszene dar) – nein, Haussmanns erster historischer Beitrag zur Umschreibung der Vorgeschichte der Friedlichen Revolution ist der Kniff, dass die Szene in Wahrheit von ausgewählten und ausgebildeten hauptamtlichen Stasis unterwandert und gesteuert wurde.

Protagonist ist Offiziersanwärter Ludger Fuchs, der „sich aus was weiß ich für Gründen“ (Biermann) für eine Karriere bei der Mielke-Firma interessiert. Er wird erwählt, die Rolle des Hauptagenten zu spielen. Dass er letztlich nur die #2 ist, weiß er da noch nicht, aber Ludger wird eh als politisch etwas unbedarft gezeichnet. Neben diversen weiteren kleineren Spitzelfiguren und den hauptamtlichen Kumpeln, die ihn immer im Einsatz bzw. seinem Doppelleben assistieren müssen, ist die große Haussmann-Stasi-Lenkungs-Pointe aber, dass die Frau, die Ludger auf Befehl des Ministers im Verlauf der Handlung heiraten muss, und offenbar eine politische Anführerin der Szene, die eigentliche Trumpfkarte der Stasi ist.

Zweites Haussmann-Thema ist für mich eine glasklare Frauenfeindlichkeit – alle vier zentralen Frauenfiguren sind negativ gezeichnet. So entpuppt sich die alte Nachbarin, Typ vermeintlich knurrig-sympathische Urberlinerin, als hauptamtliche Stasi-Blockwärterin, die systematisch die Post des gesamten Hauses ausspioniert.

Besonders deutlich wir dies aber bei der Zeichnung der beiden Frauenfiguren, zwischen denen der Hauptheld hin und her gerissen wird.

Da ist zunächst die Frau, der seine Sehnsucht gilt, die Nachbarin im Hinterhaus von schräg gegenüber, Typ hocherotische, geheimnisvolle Französin. Und natürlich liiert und zwar mit dem trottligen Vollbartjugendfreund des Jungoffiziers. Will aber, Achtung! femme fatale, O-Ton „8 Ehemänner“ und interessiert sich nur für das Talent eines Mannes (eines der vielen Klassikerzitate von Haussmann – dieses stammt aus dem 1984er „Amadeus“ von Milos Forman).

Jungoffizier und Schriftsteller-in-spe Ludger Fuchs käme bei ihr sogar zum Zuge, denn als sie sein Berichts-Gedichte-Roman-Geheimwerk, an dem er ständig rumlaboriert, in die Finger bekommt, erkennt sie es zu seinem Erstaunen nicht etwa als das, was es ist – nämlich das jämmerliche Ergebnis seines Agentenkundschafter-Doppellebens, sondern hält es für ein geniales literarisches Werk („voller menschlicher Beobachtungen“). Mit diesem Werk („Der streunende Kater“) wird der Agent später als Schriftsteller bekannt und berühmt – es wird nicht weiter ausgeführt, aber den Westen scheint Haussmann noch stärker zu verachten als die Oppositionsszene der DDR.

Der Jung-Stasioffizier wird von der schönen Französin also als wahrhaftes Genie identifiziert. Das ist ihre einzige Stärke, denn ansonsten ist sie oberflächlich, promigeil, unzuverlässig und wohl auch ein bisserl dumm und damit definitiv eigentlich der tiefen Sehnsucht des Haupthelden nicht wirklich würdig.

Etwas anders liegt der Fall bei der zweiten Frau, die Ludger bei seinem ersten Einsatz gleich intim kennenlernen durfte (für wirr-saftige Details muss ich auf Langfassung verweisen). Diese offensive Oppositionelle stellt sich ja am Ende ebenfalls als hauptamtliche Stasiagentin raus. Und zwar als die Bessere, Perfidere von den beiden, denn sie führt nicht nur die Bürger an der Nase herum (egoistisches Vordrängeln an diversen Schlangen wird gerne durch Aufwiegeln der Bürger gegen den Staat verschleiert), täuscht nicht nur alle niederen Staatsschergen und alle Oppositionellen, sondern auch ihren zukünftigen Mann und hindert ihn durch Schwangerschaft an der Dekonspiration.

Das ist alles tatsächlich genauso perfide gedacht, wie es sich anhört.

Mit etwas Abstand gestehe ich dem Regisseur aber eine Art Doppel-Salto-Ironie zu: Bis zu dieser Analyseebene wirkt der Film nämlich fast wie der Blick von Major Putin aus Dresden in einer Sonderanalyse für seine Vorgesetzten in Moskau Mitte der 80ziger: Die Frauen sind die eigentlichen Bösen, die Stasi hat letztlich aber doch alles im Griff und geplant.

Aber das wäre vielleicht in den Zeiten der vulgären-misogynen, hochaggressiven russischen Propagandaattacken auf die jungen Oppositionsfrauen in Belarus und Russland („alles Schlampen, Alkoholikerinnen und mediengeil“) doch zu einfach angesichts der unbestrittenen Erfolge der Frauen in der DDR-Opposition. Sie haben den weitaus größeren Anteil der Aktivitäten gestemmt, aber eben gerade nicht in den verkopften Künstlerkreisen in Prenzlauer Berg, sondern in den anderen Bezirken von Ostberlin und vor allem in den Oppositionszentren außerhalb der Hauptstadt. Die Generalabrechnung und Denunziation ist  hoffentlich von Haussmann nicht wirklich ernst gemeint und wahrscheinlich auch nicht sein Niveau.

Seine Stasikomödie ist letztlich eine Schauermärchen-Fantasie voller versuchter Doppelbödigkeit: Ich habe jedenfalls den starken Verdacht, dass Leander Haussmann noch einen „So-könnte-es-auch-gewesen-sein-Schritt“ weiter gehen wollte. Ich denke, dass Leander Haussmann in der vierten weiblichen Hauptfigur, der Vorzimmerdame des Stasiministers, die eigentliche Drahtzieherin des gesamte Plots angelegt hat – ob er sich eine Art, die „wahre Geschichte der IM Erika“-Persiflage als Sequel-Option aufhebt, werden wir sehen, wundern würde es mich jedenfalls nicht (In 1984, das von Haussmann natürlich in dem Kontext auch zitiert werden muss, machen sich übrigens die Agenten des Wahrheitsministeriums auch immer viel älter als sie wirklich sind – also Vorsicht vor vorschnellen Entlastungsschlüssen!).

Bleibt aber doch noch meine Trauer, nach der doch relativ schnell verrauchten Wut: Und die liegt an dem dritten Leitmotiv.

Das dritte, leicht lächerlich-weinerliche Grundthema von Haussmann scheint mir zu sein: Die Männer sind die Guten und im Grunde die eigentlichen Opfer (und hier bin ich mir nicht sicher, ob Haussmann wirklich noch im Märchenparabelhaften bleibt):

Ist der Stasiminister noch wenigstens semi-mielkemäßig, also vielleicht doch eher ein Mörder, als ein Opa-Ehe-Familienglück-Anbahner-Kumpel, so ist der Leiter der Abteilung und Führungsoffizier des ungewollt-zum-Schriftsteller-Star-gestolperten-Jungoffiziers der absolut unbestrittene eigentliche Held des Films (und das liegt nicht nur an Henry Hübchen). Und übrigens auch der Einzige, der Profi genug ist, wenigstens tatsächlich einer Sache richtig ein Ende zu machen – in dem Falle seinem Leben, denn er zündet sich eine Zigarette am offenen Gasherd an, wahrscheinlich merkte er da, dass auch er nur eine Schachfigur in Erikas perfidem Plan war?

Auch seine drei Stasi-Kumpel sind im Grunde ganz in Ordnung – der eine findet im Einsatz sogar zu Gott und wird nach der Wende Pfarrer.

Aber besonders deutlich wird das dritte Sujet in der Darstellung der Hauptfigur, die ja zumindest in der Theorie Sascha Anderson oder anderen bekannten männlichen IMs nachempfunden sein müsste: Er ist das eigentliche Opfer.

Gegen seine Begabung zum Schriftsteller verurteilt, gegen seine Leidenschaft an die falsche Frau gekettet (verstärkt durch Kinder und Enkel) und dann noch politisch total naiv, denn er hat die Agentin im eigenen Bett nicht durchschaut. Und trauert einer Frau nach, die es im Grunde auch nicht wert war. Und dass dies alles vielleicht letztlich von einer Scheinsekretärin im Ministerium erdacht und gelenkt wurde, die noch ganz andere Pläne mit dem Land hat, davon weiß er erst recht nichts.

Ein wahrhaft tragisches ostdeutsches Mannesschicksal? Irgendwo zwischen Faust und Müller? Oder die Offenbarungen des Leander Haussmann? Nein, letztlich doch eben eine Märchengeschichte: Ludger als der Glückskind-Pechvogel – der Mann, der das falsche Leben im richtigen führt.

Habe ich mich jetzt zu einem verkappten Lob des Films verstiegen? Hat Haussmann auch bei mir Sympathien für die gebeutelte Verräter-Biographie wecken können?

Dies wäre doch wohl zu viel der Ehre für den Film, der letztlich für mich einfach total verquast ist: Ein echtes Produkt deutscher Kulturförderung mit freundlicher Unterstützung von Bundes- und Landesstasibeauftragten die, das werden sie sich auf Nachfrage wohl zu Gute halten, nicht richtig wussten, wem sie hier bei was eigentlich geholfen haben – hier verschwimmt sicherlich auch beim Regisseurs das Spielen mit seinen Figuren in Realität und Märchenfiktion.

Falls Sie den Film jetzt unbedingt sehen wollen, machen Sie dies schnell, lange wird sich das Werk in den Kinos wohl nicht halten. Start 19. Mai.

Die Langversion dieser Rezension erscheint auf der Seite des Autors: Lengsfeld-Mitte.de



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