Politische Hasardeure können persönlich sehr sympathisch sein. Ich gebe zu, dass ich von Max Otte beeindruckt war: Ein erfolgreicher Fonds-Manager, der in der Eifel seine eigenen Kartoffeln anbaut, in seiner Band Jazz und Rock spielt, aber auch jedes Volkslied zu kennen scheint, freiwillige Geldanlage-Tipps gibt und der ein schönes Buch darüber geschrieben hat, was an Deutschland bewahrenswert ist. An seine beiden Neuen Hambacher Feste habe ich nur gute Erinnerungen.
Seine andere, die, dunkele Seite, haben wir in den letzten Tagen unmissverständlich vorgeführt bekommen. Mir waren schon vorher Ungereimtheiten aufgefallen, deshalb habe ich seine Wahl zum Vorsitzenden der Werteunion nicht unterstützt und einen Platz im Vorstand nach seiner Wahl nicht angenommen. Aber die Werteunion war ein zu wichtiges politisches Projekt, als dass ich sie aufgeben wollte. Nach wie vor wird eine Kraft gebraucht, die es sich zur Aufgabe macht, die CDU zu ihrem bürgerlichen Kern zurückzuführen. Schließlich war die Union der Hauptgrund für das Erfolgsmodell Bundesrepublik Deutschland. Nun hat Otte alle Erneuerungsversuche der CDU gründlich sabotiert. Nach meinem Eindruck mit voller Absicht.
Schon als Vorsitzender der AfD-nahen Desiderius-Erasmus Stiftung hatte Otte in die innerparteiliche Auseinandersetzung der AfD zugunsten des Höcke-Flügels eingegriffen. Aber das lief damals eher unter dem Radar und wurde als politische Unerfahrenheit entschuldigt. Er zog sich dann auch aus der Stiftung zurück und konzentrierte sich darauf, Vorsitzender der Werteunion zu werden, als Alexander Mitsch, der dieses anfängliche Erfolgsmodell gegründet und betrieben hatte, wegen angeblicher AfD-Nähe zu Fall gebracht wurde. Otte ging aus der Wahl am 29. Mai 2021 als Bundesvorsitzender erfolgreich hervor. Seitdem war die WU in den Medien kaum noch präsent. Über die Arbeit, die im Verborgenen geleistet wurde, kann ich nichts sagen, klar ist aber, dass die Wahl Ottes mit großen Hoffnungen verbunden war. Die sind jetzt wie eine Seifenblase geplatzt.
Am Montag, dem 24. Januar 2022, kaum acht Monate nach der Übernahme der WU, wurde Otte von der AFD als Bundespräsidentenkandidat nominiert. Am Tag vorher hatte er einem prominenten WU-Mitglied noch schriftlich versichert, dass es sich um Gerüchte handele, die man nicht glauben müsse, aber sollte es tatsächlich passieren, würde er seinen Vorsitz der WU aufgeben. Inzwischen weiß ich, dass der Coup seit Monaten abgesprochen war, aber Otte hielt es anscheinend nicht für nötig, den Vorstand seines Vereins in diese Entscheidung einzubeziehen.
Es soll am Sonntag vor der Nominierung noch den Versuch einiger Vorstandsmitglieder gegeben haben, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Als das nicht gelang, kam man auf die mehr als unglückliche Idee, Friedrich Merz per Presserklärung aufzufordern, seinerseits Otte zu nominieren. Wie sehr diese Mitteilung Otte zupass kam, zeigt, dass er sie selbst, nicht der Pressesprecher der WU, an Journalisten verteilt hat. Tatsache ist, dass diese Aufforderung die WU gänzlich lächerlich gemacht hat.
Zu den unguten Vorkommnissen gehört, dass Otte verbreitete, Hans-Georg Maaßen und Sylvia Pantel würden seine Nominierung unterstützen. Beide dementierten das umgehend, Maaßen hat inzwischen seinen angekündigten Austritt vollzogen. Ihm folgten weitere prominente Vertreter der WU.
Wem nützt dieser Coup? Allen, denen die Werteunion immer ein Dorn im Auge war. Otte ist nicht, wie er Maaßen versicherte, vom Vorsitz der WU zurückgetreten, sondern hat das lediglich angeboten. Damit treibt er den Keil in die ohnehin diskreditierte WU. Offenbar hofft er, dass erhebliche Teile seien Rücktritt nicht annehmen wollen. Kann sein, dass er dann mit diesen Leuten zur AfD wechselt. Das Projekt der Erneuerung der CDU ist damit gestorben.
Friedrich Merz hat eine Steilvorlage bekommen, sich nicht um eine bürgerliche Neuausrichtung der CDU kümmern zu müssen. Otte hat die Konservativen gründlich diskreditiert, vor allem, wenn er Vorsitzender bleiben sollte. Ehrlicherweise hätte er nach der Nominierung sagen müssen, diese Ehre sei ihm mehr wert als die Mitgliedschaft in der CDU. Stattdessen erklärt er, in der Partei bleiben zu wollen, um aus seinem Ausschluss noch ein Spektakel zu machen. Er hat damit die Partei vereint und allen Merkelianern, die eine innerparteiliche Diskussion fürchten mussten wie der Teufel das Weihwasser, einen Grund gegeben, diese Diskussion zu verhindern.
Aber auch die AfD kommt nicht ohne Blessuren davon. Wenn die Hoffnung bestand, mit dieser Nominierung die CDU zu spalten, oder in der Bundesversammlung Stimmen zu gewinnen, so ist das eine Illusion. Otte wird vermutlich nicht einmal alle Stimmen der AfD bekommen. Denn er ist nicht der Kandidat der Gesamtpartei, sondern des Höcke-Flügels.
Höcke ist mit Hilfe von Otte zweierlei gelungen: Er hat die Mehrheit in der AfD gewonnen und die Werteunion als Konkurrenz ausgeschaltet. Schon im Bundestagswahlkampf konnte jeder Beobachter feststellen, dass die AfD keinerlei Interesse daran hatte, dass Hans-Georg Maaßen seinen Wahlkreis gewann. Entgegen den linken Unkenrufen bekam er keine nennenswerten Stimmen von der AfD.
Höcke ist auch nicht an einer Erneuerung der CDU interessiert. Für die bürgerlichen Kräfte in der AfD ist es ein herber Rückschlag. So lange Höcke das Sagen hat, wird die Partei nicht politikfähig.
Dem Land, das Otte angeblich so liebt, hat er einen Bärendienst erwiesen.