Ich denke auf eigene Rechnung – Ettersburger Gespräche über Horaz

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Es gibt viele Gründe, das Schloss Ettersburg bei Weimar zu besuchen. Seit diesem Jahr ist einer dazugekommen. Der Schlossgarten von Goethes Lieblingsaufenthalt wurde aufwendig restauriert und präsentiert sich jetzt im Gewand der Goethezeit, samt wunderbar duftenden historischen Rosen. Aber Hauptgrund bleibt das von Peter Krause organisierte künstlerische Programm, das seit Jahren Schauspieler, Musiker, Literaten, Philosophen und ihr Publikum magisch anzieht. Dazu gehören die Ettersburger Gespräche, die in der Regel sonntags um 16.00 stattfinden. Letzten Sonntag wurden sie nach anderthalbjähriger Corona-Zwangspause unter dem Motto „Weltlosigkeit“ wieder aufgenommen.

Zu Gast waren Uwe Tellkamp und Christoph Schmitz-Scholemann, der 22 Briefe von Horaz neu übersetzt hat. Und was für ein Übersetzung! Deutschland hat nicht nur Hidden Champions in der Wirtschaft. Es gibt sie auch in der Literatur. Einer davon ist Schmitz-Scholemann, ein ehemaliger Arbeitsrichter, also ein Humorist (Tellkamp),von der Neigung aber Altsprachler, der sich in seiner Freizeit literarischen Übersetzungen widmete. Seine Horaz-Übersetzung erschien unter dem Titel: „Und zum Glück fehlt mit nichts – nur Du“. Horaz wollte im letzten Drittel seines Lebens etwas schreiben, das „den Armen ebenso nützt, wie den Reichen, etwas, worüber sich niemand, ob alt oder jung, ohne Schaden hinwegsetzt“. Gewählt hat er die Form des literarischen Briefes, der ihm die besten, privatesten Ausdrucksmöglichkeiten bot. Verfasst sind dieses Briefe in Hexametern. Es gibt zahlreiche Übersetzungen, auch von Wieland und Herder, die aber mehr um die Hexameter als um die Leser kümmerten. Schmitz-Scholemann wollte es anders machen. Er war überrascht gewesen vom „unverbrauchten, humorvollen Ton und dem großstädtischen Tempo dieser Gedichte“, die ihn brüderlich ansprachen. Diesen Ton wollte er den Lesern vermitteln. Das ist vollkommen gelungen.

Horaz Briefe lesen sich, als wären sie gestern abgeschickt. „Krieg an den Rändern des Imperiums, billige Arbeitskräfte aus dem Osten drängen in die Metropole. Unermesslicher Reichtum der Eliten. Empfängnisverhütung, Kochbücher und Schminke haben Konjunktur, die Geburtenrate sinkt, die Scheidungsrate steigt. Die Massen rennen in die Stadien und brüllen vor Begeisterung, wenn Männer aus fremden Ländern einander bekämpfen. Die Gerichte werden mit Klagen überschwemmt, die Redekunst der Anwälte ist exquisit […] Ingenieure verfeinern die Heizungstechnik, den Straßenbau, die Waffen. Wen mitten in den lukullischen und venerischen Orgien die Langeweile anfällt, dem helfen öffentliche Spaßvögel und Philosophen, die ihren Zynismus für teures Geld unters Volk bringen“. Rom, wenige Jahrzehnte vor der Geburt Christi, oder heutige Zeiten? Diese Skizze römischen Lebens liest sich wie eine aktuelle Zustandsbeschreibung.

Horaz will seinen Zeitgenossen vermitteln, wie sich der Mensch in solchen Verhältnissen verhalten kann. Wie soll man leben? Zu allen Zeiten haben Menschen an den sie umgebenden Zuständen oder ihrer Unfähigkeit gelitten. Horaz ist Optimist: „Ob Jähzorn Dich quält, oder Geiz, ob du ein Hurenbock bist, ein Trunkenbold oder ein Faulpelz – niemand ist so verwildert, dass er sein Leiden nicht mildern könnte. Nur muss er bereits sein, zu lernen“.

Horaz plädiert also für ein selbstbestimmtes Leben, ohne die Erwartung, dass der Staat alles richten soll. Das ist eine wichtige Botschaft für unsere Zeit, in der die Meinung allgegenwärtig ist, dass man die Vorstellung vom richtigen Leben besser nicht dem Einzelnen überlassen sollte. Im Gegenteil, es herrscht die Idee, wie Schmitz-Scholemann in seinem Nachwort schreibt, dass dies eine Sache von Verordnungen, ja Programmierungen ist, die dem Einzelnen nicht mehr unterschieden lassen soll, was er will. Er zitiert einen Soziologen, der im Radio äußerte: „Die Menschen müssen das, was sie sollen, auch wollen können“. Das ist ein Plädoyer dafür, dass Politiker, Beamte, externe Berater festlegen, wie ein richtiges Leben auszusehen hat. Gegen diese Zumutung hilft die Lektüre von Horaz.

Was der auf seinem Landgut, das von Maecenas, an den der erste Brief gerichtet ist, gesponsort wurde, aufschreibt, ist eine zeitlose Orientierung für eine gelungene Existenz. Entgegen dem eben zitierten Leben nach Gebrauchsanweisung kommen Horaz Ratschläge als Gesprächsangebote daher, nicht als Direktiven. Um „Haltung und wenn möglich Heiterkeit zu bewahren, braucht der Mensch keine tausend Steuertricks, keine Tofu-Schnitzel und keine disruptiven Narrative. Er braucht einen anderen Menschen, um mit ihm zu reden. Zum Glück fehlt Horaz nichts, außer ein Gegenüber. Wir Corona-Maßnahmen-Opfer wissen, dass er Recht hat. Wir brauchen die Anderen. Horaz lädt ein: wenn Du Lust hast, zu lachen, komm zu Besuch.

 

Diese Botschaft hat das Publikum des Ettersburger Gesprächs sehr beschwingt, wie an den lebhaften Diskussionen nach der Veranstaltung zu merken war. Jeder ist bereichert nach Hause gegangen mit dem frohen Wissen, dass die nächste Ettersburger Gespräche bereits fest geplant sind.

Am 5.September kommt Monika Maron, über alle Gespräche kann man sich hier informieren.

https://schlossettersburg.de/kultur/kalender/?



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