Von Gastautor Steffen Meltzer
Anstatt Fehlerkultur Eigenlob und triviale Betroffenheitsgesten
Haben Sie auch den Eindruck, dass es manchen Führungskräften an Mut, Entschlossenheit, Verantwortungsbereitschaft und emotionaler Stabilität fehlt? Lachende Politiker und Spitzenbeamte mitten im Krisengebiet zeigen eine kaum für möglich gehaltene Entfremdung von der Lebensrealität, die die ohnehin bestehenden Vermutungen diesbezüglich weit übertroffen haben. Auf der anderen Seite sind inflationär „betroffene Akteure“ zu beobachten.
Annalena Baerbock „zieht es das Herz zusammen“ und Bundespräsident Steinmeier „zerreißt es das Herz“ , bevor man ihn später mit seiner Entourage in einem „heiteren Gespräch“ mit dem Landrat des Rhein-Erft-Kreises im Hochwassergebiet beobachten kann. Letzterer will nicht nur gelacht, sondern auch geweint haben.
Auch der Bürgermeister der Eifelgemeinde Schuld ist ergriffen. In einer Pressekonferenz mit Merkel und Dreyer, bei der u. a. verkündet wird, Fehler könne man bei der Katastrophenwarnung nicht erkennen, übermannt ihn sein Gefühl. „Die Emotionen übergreifen mich“, Tränen brechen vor den Kameras der Weltöffentlichkeit aus. „Immerhin hätten ihm Merkel und Dreyer ein „gutes Gefühl“ gegeben. Ich möchte jedoch diesen Kommunalpolitiker von meiner Kritik ausnehmen. Als Merkel darüber berichtet, dass der menschengemachte Klimawandel verstärkt bekämpft werden muss, ergreift er spontan das Wort und zählt die Jahrhundertkatastrophen auf: 1790, 1910 und 2021.
Möge jeder die Zahlen für sich selbst interpretieren. Meine Meinung: Die Gemeinde Schuld ist ausdrücklich nicht vom Klimawandel betroffen, der Katastrophenzyklus ist unverändert. Das politische Ausschlachten des Naturereignisses und die Vernebelung des Versagens hat bereits begonnen.
Produzierte Bilder
„Malu“ Dreyer leidet an Multiple Sklerose. Merkel und ihr Personenschützer hielten ihr daher beim Besuch des Krisengebietes unterstützend die Hände.
https://twitter.com/patdiekmann/status/1416759700754997254
Meine Empathie gilt jedoch nicht den „leidenden“ anstatt leitenden Politikern und Verantwortlichen. Eine besonders große Menschlichkeit war mir bisher im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern noch nicht aufgefallen. Das zeigt auch folgendes Beispiel: „Beschäftigte hätten bis zur Erschöpfung gearbeitet und seien respektlos behandelt worden.“
Es ist sehr bedauerlich, dass Marie-Luise Anna Dreyer an Multiple Sklerose erkrankt und deshalb körperlich eingeschränkt ist. Dieser Umstand geht an der eigentlichen dramatischen Sachlage völlig vorbei, bei der über 150 Menschen in Wasser, Schlammlawinen und Geröll ihr Leben lassen mussten, da sie nicht rechtzeitig gewarnt wurden.
Mit anderen Worten: Die körperlichen Einschränkungen oder psychischen Zustände, ob zu Tode betrübt oder himmelhochjauchzend der einzelnen Politiker und Spitzenbeamten interessieren mich nicht. Ich erwarte schnelle Lösungen.
Wir benötigen psychisch stabile gesunde Macher. Solche, die Verantwortung übernehmen und keine persönlichen Emotionen und Befindlichkeiten in den medialen Vordergrund schieben. Die nicht nächtelang Abwägen, ob sie die Bevölkerung durch eine Alarmierung „beunruhigen“ können.
Nichts kommt aus dem Nichts
Steinmeier: “Wir leben im besten Deutschland, dass es jemals gegeben hat”.
Eine Kultur der Selbstbeweihräucherung, der Unterdrückung sachlicher Kritik, der ausgelagerten Rede- und Denkverbote durch die Hintertür, der willkürlichen und beliebigen Interpretationen von Statistiken und Fakten, bedingt ein Versagen im vorauseilenden Gehorsam sowohl im Makro- als auch im Mikrokosmos. Deshalb sind die Alarmierungsdefizite aus meiner Sicht ein Produkt dieser kontinuierlich produzierten Zustände.
Wir benötigen Führungspersonal, die, wie einst Helmut Schmidt, das Zepter an sich reißen und mit gutem Beispiel forsch vorangehen. Die keine narzisstische Kränkungen erleiden wenn es eine Gegenrede beim Streit um die beste sachliche Lösung gibt. Anführer, die sich für keine bürokratischen Hürden und Hindernisse in einem Krisengebiet interessieren, sondern die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Keine Männer und Frauen, die durch Dauerbesuche wichtige Ressourcen der Helfer und Einsatzkräfte unnötig binden, währenddessen an anderer Stelle noch nach Vermissten und Überlebenden gesucht wird. „Betroffenheit“ können wir nach der Krise zeigen, wenn es darum geht, die Defizite und das Versagen aufzuarbeiten um wieder Maß und Mitte zwischen einer gesellschaftlichen Hysterie (z. B. Corona) und staatlichen Dauerbeschwichtigungen (z. B. schwere Ausländerkriminalität gibt es nicht und wenn, dann psychisch erkrankt) zu finden.
Fangen wir am besten mit simplen, funktionstüchtigen Sirenen an. Bei einem ausgefallenen Handynetz funktionieren keine Warn-Apps. Einfaches könnte so einfach sein, wenn man dazu den ideologiebefreiten-pragmatischen Willen hätte.
Steffen Meltzer, Herausgeber „Die hysterische Republik“, erschienen am 15. Juni im Ehrenverlag