Von Gastautor Josef Hueber
Larmoyanz und Scheinmoral bestimmen die Reaktionen auf den Mordanschlag im Zentrum von Würzburg. Dies entspricht der Inszenierungslogik des politischen Umgangs mit Schuld und Verantwortung.
„Moral, das ist, wenn man moralisch ist“ (G. Büchner)
Schuld wird anonym
Die Methode des heuchelnden Moralbewusstseins wurde jüngst innenpolitisch deutlich in den politischen Reaktionen auf den brutalen Mord an drei Deutschen in Würzburg. Was nach außen hin zur Schau getragen wurde, ist potemkinsche Betroffenheit, jedoch unter Vermeidung, Tacheles zu reden und das Mea-Culpa an die eigene Brust zu klopfen. Die politische Elite glänzte sowohl durch Schweigen (Merkel, Steinmeier), als auch durch Umverteilung der Schuld an die Gesellschaft, gemäß dem Mantra: W i r haben nicht genug getan!
Was ist der Vorteil dieser Art von Eingeständnis? Schuld wird so anonymisiert, der Gesellschaft als Ganzes zugeschrieben. Ross und Reiter werden n i c h t genannt. Eine personenbezogene Verantwortung und Haftbarkeit ist so unmöglich – was politisch auch gewollt ist.
Die unerlaubte Frage
Ist in anderen Zusammenhängen stets davon die Rede, dass Worte und Hass zu Taten führen können, so hat man von offizieller Seite selten oder nie gehört, dass auch eine falsche Politik, etwa eine Politik der offenen Grenzen, zu Taten wie diesen in Würzburg führen kann. Es muss aber gefragt werden: Sind die Morde von Würzburg nicht auch – oder gerade – eine Folge falscher Politik?
Der Fahrplan der Stellungnahmen dazu ist bekannt. Statt zu fragen „Wer konkret trägt Verantwortung?“ schlägt man umgehend eine ganz andere Denkrichtung ein. Es geht im Anschluss an derlei Verbrechen nicht um die realen Opfer (dies würde die eigene Politik als Ursache der Tat bewusst machen), sondern die Diskussion fokussiert potentielle Auswirkungen der Tat in Form einer als gefährlich bezeichneten öffentlichen Reaktion: Vorurteile gegen die Gemeinschaft, der der Täter zugehörig ist, und damit in der Folge zu möglichen Vorurteilen oder gar Gewalttaten gegen die Community des Täters.
Gedankliche Bausteine gegen unbequemes Denken
Der bekannteste Baustein zur Verbreitung solchen Umdenkens zur politisch korrekten Konfliktbewältigung lautet „Besonnenheit“. (Verlangt man dies auch von den Familien der Opfer?) Der Tagesspiegel titelt: „Nach dem Messerangriff in Würzburg: Söder mahnt zur Besonnenheit.“ Auch der Oberbürgermeister von Würzburg verwendet den Begriff und warnt vor „Ressentiments gegen Geflüchtete“.
Die Frage der Schuld, der Verantwortung für das Geschehene – auch dies eine bewährtes Argumentationsmuster – hat grundsätzlich nichts mit einer denkbaren individuellen Verantwortung des Täters zu tun. Es geht darum, die Schuld auf ein letztlich anonymes „Wir“ zu verlagern, mit der Konsequenz, dass nicht ein Hauptverantwortlicher benannt werden kann. Der Bürger soll sich emotional seiner Teilhabe am Versagen der Gesellschaft bewusst werden. Die Verantwortung konkreter Personen der politischen Elite gerät so aus dem Blickfeld.
Das klingt in den Worten des Oberbürgermeisters von Würzburg dann so: „Wenn wir [!] Menschen mit schwierigen Biografien aufnehmen, ist klar, dass das nicht einfach ist, sie womöglich auch eine Form der Begleitung brauchen. Und wenn wir feststellen, dass einige von ihnen, wie der Täter, der ja gerade erst volljährig war, als er nach Deutschland kam, eben nicht genügend staatlich begleitet worden sind, muss sich das für die Zukunft massiv ändern… Wenn ein junger Mann sechs Jahre in einem Obdachlosenheim lebt, ohne dass jemand hinschaut und sich kümmert…“ Der Täter wird etikettiert als Opfer.
Tränen für die Opferfamilien
Der Oberbürgermeister von Würzburg gesteht in einem Brief an die Bürger seiner Stadt: „Ich habe gestern Abend geweint. Geweint um die Opfer und die Angehörigen.“ https://t1p.de/giu5
Man möchte den Angehörigen wünschen, dass Ihnen diese Worte Trost bereiten, sie aber nicht an der Aufrichtigkeit der Tränen zweifeln, angesichts der Tatsache, dass es kein Eingeständnis von realer politischer Verantwortung gibt, die ganz konkret politischen Entscheidern zugeschrieben werden muss und entsprechende Konsequenzen nach sich zieht.