Von Gastautor Klaus Pollmann
Es ist erst wenige Tage her, da hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Recht die Bewältigung der Pandemie Covid 19 als die größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg bezeichnet. Als wäre dies noch nicht genug, kommen noch weitere Großbaustellen hinzu: die Flüchtlingskrise, die Rassismus-Debatte und ganz aktuell die Terroranschläge in Frankreich und Österreich sowie der Anschlag in Dresden, den eine breite Öffentlichkeit vorzuenthalten ohne die nachfolgenden Anschläge beinahe gelungen wäre. Angesichts dieses Krisen-Konglomerats stellt sich die Frage, ob unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, unser Rechtsstaat zur Bewältigung dieser Probleme noch geeignet ist oder nach nunmehr 70 Jahren nicht dringend saniert, zumindest aber so modifiziert werden muss, dass der Rechtsstaat die Lösung der anstehenden Probleme nicht länger behindert, sondern fördert und beschleunigt.
Ungeachtet dessen, dass es schon vor den vorgenannten Problemen eine breite Öffentlichkeit nicht interessiert hat und aktuell erst recht nicht interessiert, droht unser Rechtsstaat schon lange an der mit jeder neuen Legislaturperiode zunehmenden, den Partei- und Lobbyisten-Interessen Rechnung tragenden Flut von Gesetzen und Verordnungen zu ersticken. Statt die Durchsetzung des Rechts durch eine Verschlankung des Gesetzes- und Verordnungsdschungels und insbesondere der Rechtswege zu vereinfachen, ist über Jahrzehnte das Gegenteil erfolgt. Immer mehr Vorschriften und zusätzliche Rechtsmittel haben die Durchsetzung des Rechts faktisch und zeitlich erschwert, die Handlungsfähigkeit des Staates lahmgelegt und letztlich den Rechtsstaat pervertiert.
Die treibende Kraft hierfür war und ist die Angst der Parteien und Politiker vor dem vermeintlichen Verlust von bzw. deren Kampf um Wählerstimmen, wobei der Meinungsstand der Wähler zunehmend von den Medien und von in Auftrag gegebenen demoskopischen Umfragen bestimmt worden ist und wird. Besondere Beachtung sollte dabei der zu Beginn der Flüchtlingskrise zwischen der Politik und den Medien geschlossene Pakt der selektierten Berichterstattung finden, der zunächst der Verantwortung geschuldet war, die aus unserer faschistischen Vergangenheit erwachsen ist. Mit der Selektion der Berichterstattung war jedoch auch eine Beeinflussung des politischen Willens des Volkes verbunden und beabsichtigt. Fortan standen in erster Linie die Ergebnisse demoskopischer Umfragen im Fokus, die – insbesondere wenn sie nicht den Anforderungen der Demoskopie entsprachen – zugleich zur politischen Willensbeeinflussung benutzt wurden.
Was hat das jetzt aber mit der Covid 19 Krise zu tun? Die Covid 19 Krise ist nicht weniger als die Flüchtlingskrise zur Spaltung der Gesellschaft und zum Verlust von Wählerstimmen der in der politischen Verantwortung stehenden Parteien geeignet. Es gibt eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern sowie Egoisten und Unverbesserlichen, die nicht bereit sind, die zur Bekämpfung der Pandemie notwendigen Einschränkungen zu akzeptieren. Es besteht die Gefahr, dass diese Gruppe mit zunehmender Dauer der Beschränkungen größer werden könnte. Es steht außer Frage, dass die Pandemie die in der politischen Verantwortung stehenden Politiker vor noch nie dagewesene Probleme stellt und unser Land bei der Bewältigung der Probleme im Vergleich mit anderen Ländern noch recht gut abschneidet.
Das Management der Covid 19 Krise ähnelt jedoch in weiten Teilen dem der Flüchtlingskrise. Hier wie dort wird der Bevölkerung misstraut und sie deshalb falsch, gar nicht oder unzureichend informiert, hier wie dort zeigen sich die Tücken des Rechtsstaats bei der Bewältigung der Krisen.
Wie in der Flüchtlingskrise, in der z.B. die Ereignisse der Kölner Silvesternacht 2015 nivelliert oder die Staatsangehörigkeiten bestimmter Straftäter verschwiegen worden sind, wird dem mündigen Bürger abermals weder vertraut noch zugetraut, langfristige Einschränkungen zu akzeptieren und mit ihnen angemessen umzugehen. Ihm wird deshalb eingeredet, die Beschränkungen seien notwendig, um ihm ein Weihnachtsfest im Kreis seiner Angehörigen ermöglichen zu können. Abgesehen davon, dass jetzt plötzlich unsere Kultur und Tradition als Argument herangezogen werden, während in der Flüchtlingskrise die Bedeutung und Achtung der Kulturen anderer Nationen in den Fokus gerückt worden sind, hat der Verlauf der ersten Corona Welle doch gezeigt, dass eine Lockerung der Beschränkungen bereits nach dem 30. November nicht nur illusorisch erscheint, sondern wir uns alle solange auf Beschränkungen einstellen müssen, bis wieder ein freieres Leben aufgrund von Medikamenten und Impfstoffen möglich sein wird. Bis dahin befinden wir uns in einer Art Warteschleife. Das Krisenmanagement besteht allein darin, dies abzuwarten und den entstehenden Schaden zu begrenzen. Was ist aber, wenn keine geeigneten Medikamente und kein geeigneter Impfstoff gefunden werden? Wir werden uns so oder so darauf einstellen müssen, mit dem Virus zu leben, weil Medikamente und Impfstoffe nach den jetzigen Erkenntnissen nur einen begrenzten Schutz bieten, aber das Virus nicht ausrotten werden. Es reicht also nicht aus lediglich abzuwarten, sondern es bedarf schon jetzt der Planung und Schaffung der Voraussetzungen für ein zukünftiges Leben mit dem Virus.
Kann man diesen Umgang des Staates mit seinen Bürgern noch als zu vernachlässigende Geschmacksfrage abtun, so verhält es sich schon anders mit dem Problem, die rechtsstaatlichen Mittel so zu modifizieren, dass damit die Krisen bewältigt werden können. In der Flüchtlingskrise hat sich seit 2015 bis heute nichts getan. Die Regierung setzt statt nationaler Regelungen weiterhin auf eine europäische Lösung, die es nicht geben wird. Statt eines Einwanderungsgesetzes, einer Reformierung des Asylrechts und konsequenter Regelungen zur Abschiebung und deren Durchsetzung setzt sie die die illegale Migration fördernde Politik fort und arbeitet dabei in stillschweigender oder abgestimmter Fortsetzung des Paktes der selektierten Berichterstattung mit den Medien zusammen. So werden beispielsweise zu dem Thema „allein reisende Minderjährige“ Aufnahmen von gemeinsam spielenden Kleinkindern gezeigt, die aufgrund ihres Alters unmöglich allein unterwegs sein können. In anschließenden Umfragen sprechen sich zunächst die große Mehrheit der Befragten und danach auch diverse Politiker vehement für die Aufnahme dieser Kinder aus. Die späteren Fernsehbilder von den aufgenommenen allein reisenden Minderjährigen zeigen jedoch keine Kleinkinder, sondern vorwiegend heranwachsende Männer, deren tatsächliches Alter auch über 21 Jahre liegen könnte und die auf der Gangway von sich Selfies fertigen wie Schüler, die mit anderen Klassenkameraden nach dem Schulabschluss eine Reise nach Mallorca unternehmen.
Wie in der Flüchtlingskrise in fünf Jahren nicht die rechtsstaatlichen Mittel zur Bewältigung der Krise geschaffen worden sind, hat es die Regierung auch in der Covid 19 Krise versäumt, nach der ersten Welle die schon damals erkannten und aktuell wieder evident werdenden rechtsstaatlichen Schwachstellen zu beheben. Diese bestehen darin, dass fraglich und umstritten ist, ob die §§ 32, 28 des Infektionsschutzgesetzes als Ermächtigungsgrundlage für die zur Bekämpfung der Pandemie notwendigen weitreichenden und langfristigen Grundrechtseingriffe ausreichen und ob und wie lange dem Bundesgesundheitsminister die Entscheidungshoheit ohne Mitwirkung des Bundestages übertragen werden kann. In Anbetracht der zu erwartenden Klagen ist jetzt schon schwer vorstellbar, dass diese Problematik bei einer gerichtlichen Überprüfung auf Dauer unbeanstandet bleiben wird. Die von derartigen Urteilen ausgehende Wirkung ist absehbar. Die Gruppe, die Beschränkungen ablehnt und verweigert, wird zunehmen, die Bekämpfung der Pandemie wird noch schwieriger und die Gesellschaft noch gespaltener.
Die durch die Flüchtlings- und Coronakrise hervorgerufene Spaltung der Gesellschaft ist nach dem aus den USA übergeschwappten Rassismus-Protest “Black Lives Matter“ durch den von deutschen Politikern gegen die Polizei ausgesprochenen Generalverdacht noch zusätzlich befeuert worden. Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass es innerhalb der Polizei größere rassistische Tendenzen als in anderen Berufs- oder gesellschaftlichen Gruppen gibt. Polizeibeamte, die beispielsweise Migranten an behördenbekannten Umschlagsplätzen für Drogen kontrollieren, machen dies nicht aus rassistischen Motiven, sondern aufgrund ihrer polizeilichen Aufgaben und beruflichen Erfahrungen und müssen sich von den umherstehenden Passanten als Rassisten beschimpfen lassen, wenn sie nicht obendrein noch von ihnen tätlich angegriffen werden. Politiker, die auf den „Black Lives Matter“ Zug aufspringen, weil sie hoffen dadurch Wähler zu gewinnen oder befürchten anderenfalls Wähler zu verlieren, statt die ihren gesetzlichen Aufgaben nachkommenden Polizeibeamten vor Anfeindungen und Übergriffen zu schützen, müssen sich nicht wundern, dass sie zumindest diese Polizeibeamten als Wähler verloren haben. Es wäre wünschenswert gewesen, dass sich diese Politiker in der Vergangenheit einmal Gedanken darüber gemacht hätten, welche zusätzlichen Probleme in ihrem Arbeitsalltag auf diese Berufsgruppe allein durch die Migration zugekommen sind. Friedrich Merz hat immerhin den Frust der Polizeibeamten erkannt. Aber auch er verkennt, dass die Ursache für die die Polizei frustrierenden Entscheidungen der Justiz, von der Polizei gefasste Straftäter wenig später wieder auf freien Fuß zu setzen, nicht allein der Mangel an Staatsanwälten oder Richtern, sondern in erster Linie das Versagen des Rechtsstaates und damit der Politik ist, weil die vorhandenen Gesetze die Inhaftierungen nicht zulassen.
Nicht nur die Ausschreitungen in Stuttgart, Frankfurt und anderen Städten, bei denen es während der Coronakrise vornehmlich an Wochenenden zu Übergriffen auf Polizeibeamte gekommen ist, sondern noch viel mehr die terroristischen Anschläge in Frankreich und Österreich sollten Politikern zeigen, wie fahrlässig und gefährlich es ist, das Ansehen der Polizeibeamten zu demontieren.
In diesem Zusammenhang darf auch ruhig noch einmal daran erinnert werden, dass es die Führungsspitzen der Polizei gewesen sind, die die Bundeskanzlerin schon Anfang 2015 vor den Folgen einer ausufernden illegalen Migration gewarnt haben. Inzwischen gibt es rund 600 Gefährder, die sich in Deutschland aufhalten und deren Überwachung in den Aufgabenbereich der Polizei fällt, weil es mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht möglich ist, sie zu inhaftieren und abzuschieben.
Am Beispiel der die Bekämpfung der Pandemie bisher noch wenig fördernden Corona App zeigt sich, dass die Politik es in den letzten zwanzig Jahren versäumt hat, das Land und die Bevölkerung flächendeckend im IT-Bereich auf einen Stand zu bringen, wie er beispielsweise in Asien oder Australien und den USA selbstverständlich ist. Nicht besser bestellt ist es mit unserem rechtsstaatlichen System. Es bedarf dringend einer Modifizierung, die es ermöglicht, mit rechtsstaatlichen Mitteln die Krisen zu bewältigen. Dazu bedarf es einer neuen Generation von Politikern, die die Lösung von Problemen vorantreiben, die agieren und nicht nur reagieren und sich nicht von irgendwelchen Medienberichten und dem treiben lassen, was gut oder schlecht für die Wahl ihrer Partei und ihr eigenes politisches Vorankommen ist. Dazu müssen die alten Parteistrukturen und Seilschaften aufgebrochen und das Trauma unserer historischen Schuld überwunden werden. Politik muss für die neue Generation attraktiv und lohnenswert werden. Nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückgewonnen und die zur Bewältigung der Krisen erforderliche Hoffnung geschaffen werden.