Von Gastautor Volker Voegele
Seit Frühjahr 2020 wird das Publikum mit einer Flut von Daten zu Sars-CoV-2 und Covid-19 konfrontiert. Abgesehen von den eigentlichen Sachinformationen zum Virus und zur Krankheit stehen die Fallzahlen im Vordergrund. Welche davon sind relevant und wie sieht es mit der Qualität der statistischen Daten aus.
Die Tests haben primär keinen Einfluss auf die Anzahl der Erkrankten und der Todesfälle
Das ist erst einmal eine banale Feststellung, die aber real überlagert wird von den täglichen Alarmmeldungen, zumal der „Neuen Fälle“. Abgesehen von dem etwas eigenartigem Umstand, dass der PCR-Test („polymerise chain reaction“) nur dann ziemlich zuverlässig ist, wenn der getestete Mensch auch die Krankheitssymptome von Covid-19 hat.
Ein Vergleich sei gestattet: Sie fahren Ski, stürzen und es macht z. B. Knack an der linken oder rechten unteren Extremität. Sie haben ungewohnte Schmerzen und gehen zum Arzt. Der hat praktischerweise ein Röntgengerät oder irgendeine Apparatur mit Ultraschall oder Kernspinresonanz (- die beiden letzten Methoden nutzt man i. a. aber nicht zur ersten Diagnose). Sie sind mitnichten überrascht, dass ein Knochenbruch detektiert wird. Sie wären auch nicht überrascht, wenn die Diagnose keine Knochenfraktur indiziert, wenn Sie beschwerdefrei den Skiurlaub genießen konnten und rein aus Interesse ihre Bein- und Fußknochen röntgen lassen würden. Der Vergleich Knochenbruch zu Corona-Schäden sei fortgeführt. Vornehmlich im hohen Alter tritt recht häufig eine Knochenerkrankung auf, bei der auch bei normaler Belastung Knochen brechen könnten. Die sogenannte Osteoporose bzw. den „Knochenschwund“ kann man mit sehr speziellen Röntgen-Methoden erkennen. Man kann die Krankheit heutzutage hinlänglich befriedigend aufhalten, wenn man sie rechtzeitig erkennt.
Bei Sars-CoV-2 bzw. Covid-19 sieht die Gesamtsituation etwas anders als bei Osteoporose aus, einerseits mit günstigeren, andererseits mit ungünstigeren Aspekten. Meistens wird man mit dem Virus nicht krank und meistens kann man die Krankheit in Deutschland irgendwie in den Griff bekommen. Bei alten Menschen und wenig weiteren Menschen (- mit einigen nicht so umfänglich gut bekannten Dispositionen) kann Covid-19 dagegen letal werden.
Weltweit zeichnet sich erfreulicherweise ab, dass das Durchschnittsalter der Covid-19 Toten nahe bzw. sogar über dem durchschnittlichen Sterbealter liegt. Das ist eine sehr gute Nachricht und es ist eigentlich ein Unding, dass sie nicht näher in den Mittelpunkt gerückt wird. Deutschland hat insgesamt im Jahr 2020 bisher keine Übersterblichkeitsrate zu verzeichnen. Insbesondere weist Deutschland bezüglich der Covid-19 Behandlung ein (vergleichsweise) sehr gutes Gesundheitssystem auf, auch dazu wird unverständlicherweise nicht ausreichend informiert.
Andererseits, und das ist die erste schlechte Nachricht, gibt es keinen Impfstoff gegen das Virus und kein Medikament gegen die Krankheit. Im Gegensatz zur Osteoporose, und das ist die zweite schlechte Nachricht, ist das Virus von Mensch zu Mensch sehr leicht übertragbar. Inwieweit dies allerdings mit „Alltagsmasken“ verhindert werden kann, ist sehr umstritten. Das ganze Maskenmanagement hat weltweit nicht sehr viel zur Eindämmung von Sars-CoV-2 beigetragen. Das Virus breitet sich gegenwärtig in Europa zwar rasant, aber wie eine „gewöhnliche“ Grippewelle aus und das genau mit Beginn der kalten Jahreszeit. Doch in keinem europäischen Land sind die Sterbezahlen aktuell extrem hoch. Allerdings haben viele Länder gewaltige Mängel in ihren Gesundheitssystemen. Deutschland, und das sei noch einmal ausdrücklich erwähnt, hat dieses Manko eindeutig nicht.
Relevante Werte
Klar ist, dass letzten Endes nur die Fälle der (stark) Erkrankten und Toten als relevante Werte ins Gewicht fallen werden Da Erkrankungen und Todesfälle in einer vermeintlich modernen Gesellschaft zum Glück nicht irgendwie gottgegeben oder gar sündenbeladen sind, hat man prinzipiell richtig den bewährten Drei-Maßnahmen-Mechanismus aus Prävention, Diagnose und Behandlung in Gang gesetzt. Dabei können statistische Methoden gerade die ersten beiden Instrumente unterstützen, falls sie denn richtig eingesetzt werden.
Die unverständlichen statistischen Mängel
Statistik ist ein Teilgebiet der Mathematik und – oh Wunder – die korrekte Handhabe ist essenziell. Es ist nicht absehbar, dass sich die gesamte Bevölkerung Deutschlands jeden Tag einem PCR-Test unterziehen kann, also muss man lernen die Bevölkerung in die statistisch relevanten Gruppen einzuteilen und die Tests dergestalt ausführen bzw. auswerten. Bei Sars-CoV-2 sind die Kriterien z. B. die Altersgruppen, das Geschlecht, die Familienstruktur, die medizinische Disposition und auch die Wohn- und Lebensgegebenheiten, wie Bevölkerungsdichte oder Kontaktverhalten. Auch müssen selbstverständlich die Tests nach gleichen Kriterien erfolgen. Die Konzepterarbeitung dauert natürlich einige Zeit (Wochen, Monate), da man von vorneherein nicht genau wissen kann, wie Sars-CoV-2 wirkt. Nach längstens sieben Monaten der Virusankunft in Deutschland sollte man aber ein einigermaßen tragfähiges Konzept für die statistische Methodik haben. Leider sieht das aktuelle recht unprofessionell aus und dafür sind die Bundes- und Länderregierungen bzw. die Gesundheitsbehörden verantwortlich.
Insbesondere ist es sehr ärgerlich, wenn offensichtlich statistische Dummheiten kommuniziert werden. Eine beliebte ist die tägliche Wiedergabe von „positiven Testfällen“, bei denen jeglicher Bezug zur Testgruppe fehlt. Als Beispiel sei die Risikogruppe der 80 bis 90-jährigen Personen (inkl. weiterer o.g. Attribute) genannt. Testet man genau in dieser Gruppe eine statistisch relevante Anzahl von Menschen an einem bestimmten Tag und macht denselben Test gleichzeitig bei einer zehnmal größeren Menschenzahl aus derselben Risikogruppe so werden sich in der zweiten Gruppe die positiven Testfälle verzehnfachen – unter der plausiblen Annahme des Einstellens einer Gleichverteilung des Virus! Die Verzehnfachung hat also selbstverständlich keine weitere Auswirkung auf die Krankheits- oder Todesraten. Ein reines (Mehr-)Testen ohne ein statistisches Konzept ist folglich Unsinn. Das gegenwärtige Verfahren zu den übermittelten Testzahlen ist daher mindestens grob irreführend, da es relative Werte ohne einen normierenden Bezug nennt.
Bisher ist nur ein absoluter Zahlenwert recht gut bekannt. Das ist die (tägliche) Anzahl der wenigen Intensivpatienten mit Covid-19 in den Kliniken. Ob die Menschen dagegen hauptsächlich an der Krankheit Covid-19 gestorben sind, können nur Obduktionen ergeben. Bei denen sieht es so aus, dass Multimorbidität eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Damit ist zweifelsohne noch nicht geklärt, ob die sogenannten Covid-19 Todesfälle als absolute oder relative Werte einzuordnen sind.
Ärgerlich sind auch diverse behördliche Prozeduren, die verhindern, dass die täglichen Sterbefälle zeitnah ausgewertet und veröffentlicht werden. Das ist nun wirklich niemand zu vermitteln, dass das Deutsche Statistische Bundesamt DESTATIS knapp vier Wochen hinter den aktuellen Tageszahlen mit seinen derzeitigen „Sonderauswertungen“ hinterherhinken muss. Mit den heutigen Methoden der Datenerfassung, Datenprüfung und Datenkommunikation sollten zwei oder drei Tage für die Auswertung genügen. Die kleine Fehlerrate könnte man zu einem späteren Zeitpunkt immer noch korrigieren ohne Schaden anzurichten.
Insgesamt wären die statistischen Mängel in der Datenerfassung zu Sars-CoV-2 und Covid-19 recht einfach zu beheben, allerdings scheint das politische Bewusstsein dazu nicht vorhanden zu sein. Schlimm, aber nicht auszuschließen wäre es, wenn die intellektuellen oder organisatorischen Fähigkeiten zur Korrektur fehlen würden oder gar ein ausgemachter politischer Widerwille für das Fehlverhalten in Frage käme.
Eine brauchbare statistische Methode hätte man seit „Jahr und Tag“ entwickeln können
In der Tat ist eine zentrale, „statistische Frage“ diejenige nach der Gleichverteilung des Virus. Inwieweit besteht eine jeweilige regionale Gleichverteilung in Deutschland in den drei Hauptstadien, also der Anstiegsphase, der Hochphase und der Abnahmephase der Virusausbreitung? Es scheint, dass sich die regionalen Unterschiede innerhalb von ein bis zwei Wochen weitgehend ausgleichen. Hätte man z. B. einige der vergangenen, wahrscheinlich bedrohlicheren Grippewellen statistisch näher untersuchen lassen, könnte man heute von den diesbezüglichen Erkenntnissen profitieren. Was es dazu gebraucht hätte, wäre eine Gruppe von fähigen Leuten aus Wissenschaft und Forschung. Und wir reden hier von Millionen- und nicht von Milliardenaufwendungen an Euro. Letztere verteilen Bundes- und Länderregierungen jährlich zu ihrem eigenen Vorteil, nicht selten mit „Geschmäckle“. Gemeint sind die Aufwendungen für parteinahe Stiftungen, parteiische Nichtregierungsorganisationen NGOs und sonstige, regierungsnahe Institutionen, die kurzerhand den Anschein der Neutralität verpasst bekommen.
Zum Schluss noch eine aktuelle Orientierung
Die Anzahl der Covid-19 Toten in Deutschland (- eigentlich zu 95 % nicht obduziert, d. h. medizinisch nicht bestätigt) wird im Oktober 2020 nur knapp 1 % der natürlichen Todesfälle erreichen, im April 2020 war diese Rate bei knapp 7,5 %. Soweit zur realen Seite der „Infektionsdynamik“.
Volker Vorgele ist promovierter Physiker und lebt in der Schweiz. Er hat über 20 Jahre Berufserfahrung in der Prozessleittechnik für weltweit installierte Großkraftwerke und ist seit 2017 pensioniert.