Wer hat Angst vor dem Rechtsstaat?

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Von Gastautor Julius Bärenklau

Die Älteren unter uns werden sich noch daran erinnern, daß herausragende Persönlichkeiten der FDP geradezu Leuchttürme der Freiheit waren: Theodor Heuss, Thomas Dehler, Walter Scheel, Otto Graf Lambsdorff. Sie standen zwar nie für die ganze Partei, aber sie prägten ihr Erscheinungsbild. Diese Zeiten sind lange vorbei, geblieben ist eine Ansammlung prinzipienarmer Opportunisten, in der sich wirkliche Liberale verloren vorkommen müssen. Der Liberale Aufbruch und die Libertäre Plattform, zwei Initiativen der letzten Jahre in der FDP, mußten in dieser Umgebung vertrocknen und entmutigt aufgeben. Ich hätte weiter mehr oder weniger klaglos unter dem Defizit gelitten, das der Ausfall der FDP als freiheitlich-rechtsstaatliches Korrektiv in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland hinterlassen hat, wäre nicht am 9. Juni von der der FDP nahestehenden Friedrich-Naumann-Stiftung, die seit dem Jahre 2007 die Namenserweiterung „für die Freiheit“ führt, auf Facebook ein Artikel veröffentlicht worden, der meinen Widerspruch unwiderstehlich herausforderte.

Unter der Überschrift „Totengräber der Meinungsfreiheit“ schreibt Maximilian Spohr, Referent für Bürgerrechte im Liberalen Institut der Naumann-Stiftung, darüber, wie die AfD „mit juristischen Mitteln gegen Kritiker“ vorgehe. Nach einer kurzen Einleitung mit Zitaten von AfD-Politikern, die sich in unterschiedlichem Ton über Einschränkungen der Meinungsfreiheit beklagen, kommt er zu seiner These: „Bei genauerem Hinsehen ist es jedoch gerade die AfD selbst, die versucht, andere mundtot zu machen. Seit Jahren geht sie systematisch mit juristischen Mitteln gegen ihre Kritiker vor.“

Doch schon der erste Beleg für diese Behauptung ist so verfälscht, daß noch nicht einmal die Datierung korrekt ist: „So versuchte sie im Oktober 2019 durch das Verwaltungsgericht Meiningen verbieten zu lassen, dass der AfD-Politiker Höcke als ‚Faschist’ bezeichnet wird – allerdings vergeblich.“ Wer sich jedoch die unter dem angegebenen Aktenzeichen zu findende Entscheidung anschaut, stellt fest, daß weder die AfD noch einer ihrer Vertreter Prozeßpartei war. In Wirklichkeit hatte sich folgendes zugetragen. Eine Initiative hatte am 23.09.2019 bei der Eisenacher Stadtverwaltung eine Versammlung unter freiem Himmel angemeldet. Unter dem Motto „Protest gegen die rassistische AfD insbesondere gegen den Faschisten Höcke“ sollte gegen eine Veranstaltung eben dieser Partei Stellung bezogen werden. Die Stadtverwaltung erließ per Bescheid vom 25.09.2019 jedoch die Auflage, daß die Bezeichnung Faschist im Rahmen dieser Veranstaltung untersagt sei. Sie sah darin eine möglicherweise strafrechtlich relevante Verletzung der Persönlichkeitsrechte Höckes. Gegen diese Auflage legte die Initiative am 26.09. Widerspruch ein und ersuchte das Verwaltungsgericht Meiningen um einstweiligen Rechtsschutz. Das Gericht entschied am selben Tag zugunsten der Initiative: „Im politischen Meinungskampf sind übertreibende und verallgemeinernde Kennzeichnungen des Gegners ebenso hinzunehmen wie scharfe, drastische, taktlose und unhöfliche Formulierungen, die in der Hitze der Auseinandersetzung als bloßes Vergreifen im Ton erscheinen.“ Daß sich der promovierte Jurist Spohr nicht die Mühe machte, die zitierte Entscheidung wenigstens oberflächlich zu lesen, ist unerhört.

Aber es wird noch schlimmer: In den von Spohr zitierten juristischen Auseinandersetzungen mit Johanna Wanka und Horst Seehofer griff die AfD nicht die von den beiden Bundesministern verbreiteten politischen Inhalte an, sondern bemängelte deren Veröffentlichung auf der Internetseite des jeweiligen Ministeriums. Damit hätten sie die parteipolitische Neutralitätspflicht staatlicher Organe verletzt. Was war geschehen? Im Herbst 2015 bereitete die AfD eine Demonstration gegen die Migrationspolitik der Bundesregierung in Berlin vor. Auf der Webseite ihres Ministeriums sprach sich die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka gegen diese Demonstration aus und unterstellte der AfD, damit „Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben“, zu unterstützen. Dagegen klagte die AfD beim Bundesverfassungsgericht. Am 27.02.2018 urteilte der Zweite Senat des höchsten deutschen Gerichts: „Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots der staatlichen Neutralität. (…) die negative Bewertung einer politischen Veranstaltung durch staatliche Organe, die geeignet ist, abschreckend Wirkung zu entfalten und dadurch das Verhalten potentieller Veranstaltungsteilnehmer zu beeinflussen, greift in das Recht der betroffenen Partei auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein.“ Im selben Sinne entschied wiederum der Zweite Senat vor einigen Tagen, weil Bundesinnenminister Seehofer ein Interview, das er vor Jahren der Deutschen Presseagentur gegeben und in dem er die AfD als „staatszersetzend“ bezeichnet hatte, auf die Internetseite seines Ministeriums hatte stellen lassen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, erläuterte das Urteil: „Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet also dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt.“

Das letzte Beispiel Spohrs, die AfD habe „die gesamte Landtagsdebatte zum Rechtsextremismus in Brandenburg verhindern“ wollen, ist ebenfalls eher falsch als wahr. Richtig ist, daß die CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag beim Parlamentspräsidium eine kurzfristige Änderung des Themas der Aktuellen Stunde der nächsten Landtagssitzung beantragt hatte. Ursprünglich sollte über „Hundert Tage Kenia-Koalition“ gesprochen werden, auf Grund der aktuellen Geschehnisse sollte die Debatte stattdessen den Titel „Walter Lübke, Halle, Hanau – Wehrhafte Demokratie in der Pflicht“ tragen. Über den Antrag der CDU mußte die Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) einvernehmlich mit ihrem Vize, Andreas Galau (AfD), entscheiden. Der jedoch verweigerte die Zustimmung, weil er keinen Bezug zu Brandenburg sehe und eine politische Instrumentalisierung der Anschlagsopfer fürchte. So war der Antrag der CDU-Faktion durch das Präsidium des Landtages abzulehnen. Daraufhin wandte sich die Landtagsfraktion der CDU an das Verfassungsgericht Brandenburg. Das entschied, daß dem Vizepräsidenten das von ihm geltend gemachte Prüfungsrecht nicht zustehe und er deshalb den Antrag zulassen müsse. Andreas Galau kommentierte im rbb diesen Beschluß: „Diese höchstrichterliche Entscheidung ist selbstverständlich zu respektieren, auch wenn ich sie in der Sache bedaure.“ Er erwarte von den anderen Parteien nun, in der Aktuellen Stunde „auf jegliche parteipolitische Instrumentalisierung dieses schrecklichen Verbrechens zu verzichten.“ Wenigstens der Themensetzung nach ging es also nicht um Rechtsextremismus in Brandenburg.

Fassen wir zusammen: Maximilian Spohr stützt seine These, die AfD wolle Kritiker systematisch mit juristischen Mitteln mundtot machen, auf eine Ansammlung von Falschbehauptungen. Im ersten Beispiel, die AfD habe die Bezeichnung Höckes als Faschist verbieten lassen wollen, war die AfD nicht Verfahrensbeteiligte. Im zweiten und dritten Beispiel, die Klagen der AfD gegen Johanna Wanka und Horst Seehofer, sollten durch das Bundesverfassungsgericht die grundgesetzwidrigen Pflichtverletzungen der beiden Bundesminister gerügt werden. Dem folgte das Gericht. Insofern hätte sich die AfD sogar, was natürliche Aufgabe der FDP gewesen wäre, um den Schutz der grundgesetzlichen Ordnung verdient gemacht. Und im letzten Beispiel verfehlt Spohr das Thema, denn es ging gar nicht um eine Debatte des Landtags über Rechtsextremismus in Brandenburg. Wie Spohr zudem darauf kommt, die AfD handle „systematisch“, erschließt sich nicht. Vielleicht klingt es nur schön gefährlich.

Bleiben nur noch einige grundsätzliche Überlegungen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Das Bundesverfassungsgericht sowie die deutschen Gerichte überhaupt können auf eine lange Geschichte manchmal nicht leichter Entscheidungen zum Schutz dieses urdemokratischen Grundrechts zurückblicken. Spohrs Unterstellung, die AfD könne dieses Recht mit juristischen Mitteln soweit einschränken, daß jemand „mundtot“ gemacht wird, offenbart seine ideologisch eingeschränkte Weltsicht. Daß er als Jurist glaubt, die AfD könne deutsche Gerichte in diesem Sinne instrumentalisieren, läßt an seiner fachlichen Kompetenz zweifeln.

Selbstverständlich gibt es viel zu viele Möglichkeiten, die Meinungsfreiheit und andere Freiheitsrechte drastisch einzuschränken. Der Abschied vom deutschen Rechtsstaat ist längst vollzogen. Das jedoch der kleinen und weithin geächteten AfD vorzuwerfen, folgt nur dem Prinzip „Haltet den Dieb!“. Und im übrigen: Es ist gerade ein notwendiges Merkmal eines Rechtsstaates, daß jedermann jederzeit das Beschreiten des Rechtsweges offen steht. Sollte das eines Tages nicht mehr so sein, haben wir unsere Freiheit völlig an einen Unrechtsstaat verloren.

 



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