„Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“ -Johann Wolfgang von Goethe
Von Gastautor Josef Hueber
Die Yad -Vashem- Rede des Bundespräsidenten wurde von den deutschen, regierungsgesinnten Medien ehrfürchtig gepriesen. Die FAZ im Leitartikel v. 24. Januar bezeichnet sie als eine „beeindruckende und bewegende Rede“. Doch sie enthielt wahrnehmbar Störendes. Sie transportierte nämlich auch eine Apologie verfehlter deutscher Einwanderungspolitik und ignorierte israelfeindliche deutsche Außenpolitik. Die abgedroschene Floskel „Nie wieder!“ aus dem Arsenal der Betroffenheit konnte nicht darüber hinwegtäuschen. Michael Wolffsohn, eine der meistbeachteten jüdischen Stimmen in Deutschland, konstatiert mit feinem Gehör: „Die immergleichen Worte … kein Wunder, dass kaum noch jemand zuhört“. Ein vernichtendes Urteil über die Überzeugungskraft der Rede auf jüdische Hörer.
„Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ (Mark Twain)
Der amerikanische Karikaturist Bernhard Gillam karikierte 1882 den US-Präsidenten Ulysses S. Grant. Die Zeichnung zeigt, in Anspielung auf das Sprichwort von Krokodilstränen, den Präsidenten, eingehüllt in eine Krokodilshaut, aus dessen Kopf er weinend herausblickt, eine Hand mit einem Tuch die Tränen trocknend, in der anderen ein Plakat, auf dem eine Solidaritätsveranstaltung für verfolgte Juden in Russland angekündigt ist. An der Wand hinter ihm der Präsidialerlass von 1862, welcher Juden von der Armee ausschloss. Die Bildunterschrift: „Oh, jetzt weinen Sie, und ich merke, dass Sie den Anflug von Mitleid spüren. Dies sind gütige Tränen.” (am Ende des Artikels ist die Karikatur)
Anlass der Satire: Der Präsident hatte 1862 befohlen, Mississippi, Kentucky und Tennessee judenrein zu machen, indem er sie vertreiben ließ. Jetzt, 1882, warb er für die Kongresskandidaten seiner Partei.
Reue erhält Glaubwürdigkeit im Handeln
Nein, unser Bundespräsident ist kein 1:1 Double von Grant. Was beiden Taktikern allerdings Ähnlichkeit verleiht, ist die Nutzbarmachung eines politischen Anlasses für politische Zielsetzungen, man nennt dies gemeinhin Instrumentalisierung.
Im Klartext: Die Rede bei der Gedenkfeier zur Befreiung von Auschwitz war zwar eine geradezu religiös inszenierte Zerknirschung über die fraglos bestialische Periode deutscher Vergangenheit zwischen 1933 und 1945, aber dennoch eine mehr als fragwürdige Ausblendung des von deutscher Politik zu verantwortenden Beitrags zu erwachendem oder sich weiter ausbreitendem Antisemitismus weltweit und in Deutschland. Das Schuldbekenntnis und die guten Vorsätze für die Zukunft – all das beschränkte sich letztlich auf gängige Formeln, wie das bekannte „Nie wieder!“ Man hörte die „immergleichen Worte“ und deren „Inflationierung“ (beides Wolffsohn). Summa summarum liest sich die Rede als Variation einer bekannten Redewendung: Ich wasche mir den Pelz, aber ich mache mich nicht nass.
Antisemitismus und die Nicht-Akzeptanz von Zuwanderern mit fremdem kulturellem Hintergrund sind nicht vergleichbar, weswegen beides begrifflich unterschieden werden muss. Juden waren und sind Ursprung und Träger unserer abendländischen Kultur.
Das Chemnitz-Video und die seitens der deutschen Regierung damit installierte „Hetzjagd“ ist auch in der Rede Steinmeiers zwischen den Zeilen präsent. Die Begriffe Hass/Hetze, in Kombination oder einfach, kommen mehrfach vor. Typisch dabei ist das in der politischen Diskussion bewusst gewählte Doppelpack Judenhass und Menschenhass: „Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!“ Es ist die bekannte, weil regelmäßig wiederholte Gleichsetzung von Antisemitismus und Kritik am Islam und der Zuwanderungspolitik, umgedeutet als Islamophobie bzw. Xenophobie. Heraus kommt die Einreihung von Juden in eine unpräzise definierte Gruppe, die, obwohl Teil ihrer Bedrohung, mit ihnen zur Opfergruppe wird. Juden werden damit instrumentalisiert als Helfer im Kampf gegen Kritiker der Regierungspolitik, die – wie dem Hörer in Israel nicht aufgefallen sein dürfte – diese Gleichstellung stets als Faktum präsentiert und damit Kritik an der Zuwanderungspolitik als Ausdruck von Fremdenhass – die Variante von Judenhass – suggeriert.
Nur die deutschen Nachfahren der Nazis für heutigen Antisemitismus verantwortlich?
Wolffsohn kritisiert, über die Rede hinausgehend, die falsche „Gedenkkultur“ in Deutschland. „Rund ein Viertel der Deutschen hat Migrationshintergrund. Viele sind Muslime. Die bisherige Gedenkkultur Deutschlands richtet sich nur an die Nachfahren der Deutschen, die das NS-Regime miterlebt, getragen und ertragen haben. Als ob etwa die muslimische Welt beim Judenmorden und im Zweiten Weltkrieg nicht mit den Hitler-Banden zusammengearbeitet hätte.“
Für vertiefte Lektüre dazu diene eine Darstellung von Sarah Honig auf ihrem Blog.
Die unterschwellige Kritik am Staatsverständnis Israels
Israels Staatsverständnis ist vom nationalen Gedanken geprägt. Die Ideologie des schrittweisen Verzichts auf nationale Souveränität zugunsten eines größeren Verbunds (bei uns „Europa“ genannt) , womit man das Nationale überwinden müsse, findet in Israel kein Verständnis. Wie sollte das auch aussehen? Israel als Teil eines Nahost-Raumes ohne völlige Souveränität? Mit einem feindlich gesinnten palästinensischen Staat innerhalb des Staatsgebietes Israel?
Dennoch müssen es sich die Gastgeber in Yad Vashem aus dem Mund des Bundespräsidenten gefallen lassen: „Wir trotzen dem Gift des Nationalismus!“ Können wir den Zuhörern unterstellen, sich nicht daran zu erinnern, dass Merkel gegen die Botschaftsverlegung von EU Ländern nach Jerusalem aktiv wurde, dass sie die Zweistaatenbildung beharrlich und bevormundend, gegen die Interessen Israels, vertritt?
Die Absicht liegt offen: Es geht um Propaganda für „mehr Europa“, die Überwindung nationalen Denkens (Visegrad-Staaten) sowie die Verknüpfung von erwachendem Nationalbewusstsein und Antisemitismus. Was für eine Dreistigkeit gegenüber jüdischem Nationalbewusstsein bei diesem Anlass!
Die eigentliche Bedrohung der heute lebenden Juden ist nicht Teil des politisch korrekten „Wir stehen an der Seite Israels!“
Der zerknirschte Rückblick allein macht Solidaritätsbekundungen noch nicht vertrauenswürdig. Glauben kann dem Reuigen nur geschenkt werden, wenn er in der Bedrohung der Gegenwart zum Schulterschluss mit dem Bedrohten bereit ist. Davon ist die aktuelle deutsche Politik weit entfernt. Ausgewählte Schlaglichter mögen dies beispielhaft verdeutlichen.
Am 16.4.2018 stellte Petr Bystron folgende Frage an die Bundesregierung: „Wie heißt die Hauptstadt von Israel?“ Er lässt wissen: „Die Antwort war ausschweifend, 202 Wörter, der Ortsname Jerusalem oder West-Jerusalem kam nicht vor.“
Die WELT berichtet: „Zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Telegramm nach Teheran geschickt. Deutschland werde alles tun, um das Atomabkommen mit dem Westen zu bewahren,“
Irans Vernichtungspläne gegenüber Israel sind bekannt. Benjamin Gantz, dessen Partei Blau-Weiß im israelischen Parlament im September 2019 stärkste Kraft wurde, wird von der WELT so verstanden: „Iran will Israel auch als Symbol der freien Welt zerstören.“
Eine Weigerung der Kanzlerin, Sanktionen gegen die Atompolitik Irans zu unterstützen, gibt es nicht. Das Gegenteil ist der Fall: „Deutschland und Russland wollen am Atomdeal mit Iran festhalten.“
Mahmud Abbas, mittlerweile nicht mehr durch eine gültige Wahl legitimierte „Präsident“ der palästinensischen Autonomiebehörde: „In einer endgültigen Lösung können wir nicht mal die Existenz eines einzelnen Israelis in unserem Land sehen, seien es nun Zivilisten oder Soldaten.“
Der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel unter Merkel twitterte einst: „Habe meinen Freund Mahmoud Abbas getroffen.“
Audiatur et altera pars – eine Jüdin kommentiert
Eine jüdische Freundin aus Tel Aviv, gefragt nach der Reaktion auf die Rede Steinmeiers in Israel, schreibt: (Übersetzung des Autors)
„Ehrlich gesagt hat die Ansprache des Präsidenten keine große emotionale Reaktion hervorgerufen. Die Menschen hier behandelten sie als erwartetes Lippenbekenntnis. In der Presse wurde sachlich darüber berichtet, mit besonderer Betonung der Aussage, dass der Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch sei und dass die eigentliche Lehre offenbar nicht gezogen worden sei. Aber das war kein Schock oder eine Überraschung für die Israelis, die ganz Europa mit antisemitischem Gift durchtränkt sehen. Im Grunde genommen hatte man also das Gefühl, dass die Rede eine leere Geste war.“
„Und die Bibel hat doch recht“
Steinmeiers in seiner Rede aufleuchtende Sympathie für die Bibel aufgreifend, darf man wohl daraus zitieren: „Kein Knecht kann zwei Herren dienen.“ (Lukas 16:13)
Kann, wer die Sicherheit Israels als Teil deutscher Staatsräson definiert („Wir stehen an der Seite Israels!“), sich vor dem Grab Arafats u n d vor den Opfern des Holocaust verneigen?