Gedanken zu dem Interview zwischen Vera Lengsfeld und Michael Mross am 3. Oktober 2019
Von Gastautor Ulrich Wortberg
Als ich 1998 mein Referendariat für das Höhere Lehramt an Gymnasien abschloss, war ich sehr stolz, nun meiner Berufung als Lehrer nach langer Ausbildungszeit endlich folgen zu können. Für mich bestand mein Auftrag in erster Linie aus drei Säulen:
1. Fachliches Wissen sowie Kulturgut vermitteln und dabei für angemessene Schulung möglichst eigenständigen und manipulationsfreien Denkens zu sorgen,
2. in pädagogischer Hinsicht unter Berücksichtigung individueller Entfaltung gemeinwohlorientiert zu wirken und schließlich
3. einer staatsrechtlichen Aufgabe nachzukommen, indem ich als Beamter darauf achte, dass unser demokratisches Gemeinwesen und unser Grundgesetz geschützt bleiben.
Meine Sternstunde im Schul- und Beamtenrecht
Mein Konrektor – alte Schule – erläuterte unserer damaligen kleinen Referendariatsgruppe in einer Stunde über Schul- und Beamtenrecht, dass wir als Lehrer auch einem Bereich Sorge zu tragen hätten, der gerade aufgrund unserer Geschichte von großer Bedeutung sei: Der Remonstrationspflicht. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus sei dieser Paragraph bewusst als Pflicht eines Beamten eingebaut worden, da man habe verhindern wollen, dass in Zukunft kein blinder „Kadavergehorsam“ mehr entstehe und damit der zukünftige Beamtenapparat insbesondere in der Exekutive eine andere Handhabe bekomme, um gegen gegebenenfalls gesetzeswidrige Dienstanweisungen zu „remonstrieren“. Damit sollte also der Beamte eine wichtige Säule und ein Beschützer unserer zukünftigen Demokratie werden. Soweit so gut.
Es folgen nun ein paar Gedanken, welche die „Kniffeligkeit“ der Lage ein wenig beleuchten soll. Vor der anschließenden Diskussion sei jedoch zunächst das Gesetz im Wortlaut zitiert:
Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Handlungen und Anordnungen BBG § 56
(1) Der Beamte trägt für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen die volle persönliche Verantwortung.
(2) Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dienstlicher Anordnungen hat der Beamte unverzüglich bei seinem unmittelbaren Vorgesetzten geltend zu machen. Wird die Anordnung aufrechterhalten, so hat sich der Beamte, wenn seine Bedenken gegen ihre Rechtmäßigkeit fortbestehen, an den nächsthöheren Vorgesetzten zu wenden. Bestätigt dieser die Anordnung, so muß der Beamte sie ausführen, sofern nicht das ihm aufgetragene Verhalten strafbar oder ordnungswidrig und die Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit für ihn erkennbar ist oder das ihm aufgetragene Verhalten die Würde des Menschen verletzt; von der eigenen Verantwortung ist er befreit. Die Bestätigung hat auf Verlangen schriftlich zu erfolgen.
(3) Verlangt der unmittelbare Vorgesetzte die sofortige Ausführung der Anordnung, weil Gefahr im Verzuge besteht und die Entscheidung des nächsthöheren Vorgesetzten nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, so gilt Absatz 2 Satz 3 und 4 entsprechend.
Aus dem oben zitierten Gesetzesparagraphen kann durchaus hervorgehen, dass es nichts zu mucken gibt, der Beamte hat in erster Linie der Dienstanweisung Folge zu leisten und Punkt. Hat uns unser damaliger Konrektor also etwas Falsches erzählt? Habe ich diesen Gesetzesparagraphen möglicherweise romantisch verklärt? Bei meinen Recherchen traf ich andererseits auf folgende Feststellung sogar bei Wikipedia:
„Die Remonstration ist im Beamtenalltag eine nur selten genutzte Möglichkeit, da ein potentieller Remonstrant häufig befürchtet, als Querulant abgestempelt zu werden. Trotzdem oder gerade deshalb wird die Remonstration in neueren Beiträgen zur Verwaltungsethik sowie zum Whistleblowing (Aufdeckung von Skandalen) thematisiert.“
Wir sehen also, dass hier eine Verquickung von Ethik, individueller Persönlichkeit und Recht stattfindet und sich gewissermaßen sogar nicht vermeiden lässt! Rein rechtspositivistisch betrachtet könnte man sagen, dass die Remonstrationspflicht z.B. einen Lehrer gewissermaßen doch nicht eines gewissen „Kadavergehorsams“ entbinde, denn wenn die Legislative entsprechende Gesetze verabschiede, so habe er sich daran zu halten und Punkt. Wenn ihm das nicht passe, solle er halt gehen. Genau hier liegt jedoch die gefährliche Eintrittspforte zum Thema, ich nenne es hier einmal „Gesinnungsdemokratie“. Nehmen wir das Beispiel „Klima“. Hätte ich als Lehrer einer Dienstanweisung, am 20. September 2019 mit meinen Schülern demonstrieren zu gehen, nicht Folge leisten können? In meinem Fall war dies nicht nötig. Von anderen Teilen der Republik hörte man aber anderes. Hätte ich hier im Falle einer Dienstanweisung remonstrieren können? Eines ist sicher: Ich hätte remonstriert und das auch zu begründen gewusst. Die andere Frage ist, ob dies negative Konsequenzen für mich gehabt hätte. Ich hätte sie in Kauf genommen. Warum? Weil ich argumentiert hätte, dass meine Aufgabe als Lehrer darin bestehe, meine Schüler weder zu instrumentalisieren noch zu manipulieren (vgl. hier auch den Beutelsbacher Konsens von 1976). Aus meiner Sicht hätte ich gegen alle drei Grundregeln genannten Konsens verstoßen („1. Überwältigungsverbot, 2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen, 3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren.“) Ich hätte argumentiert, dass eine wissenschaftliche Klimadebatte in der Öffentlichkeit sowie an der Schule nicht wirklich stattgefunden habe und dass ich als Lehrer nicht den Auftrag hätte, einer ideologisch geführten Debatte zu folgen, da dies dem Grundgesetz widerspreche.
Nun bringen wir die vertrackte Lage auf den Punkt: Remonstrationspflicht entbindet einen Beamten zunächst nicht der Folgeleistung einer Dienstanweisung. Der Beamte muss auch hier den Dienstweg einhalten. Dennoch können insbesondere bei kurzfristig stattfindenen Ereignissen gewisse Pattsituationen entstehen, in denen der Beamte gegebenenfalls sogar sehr eigenständig entscheiden muss, ob er einer Anweisung Folge leistet oder nicht. Man kann sich natürlich unterschreiben lassen, dass man der Anweisung Folge leiste, jedoch seine Bedenken geäußert habe, dennoch spielt nun ein weiterer Faktor, der über die rein rechtspositivistische Sicht hinausgeht, hinein: die ethische Pflicht und die Persönlichkeit des Beamten, die natürlich wieder subjektiv beurteilt werden kann. Eine unlösbare Aufgabe? Nein! Denn letztlich stehen wir vor der Frage, welch weiteren Gesetzen ein Beamter verpflichtet bleibt, z.B. dem Artikel 5 des Grundgesetzes, der Meinungsfreiheit. Ob nun jeder Beamte erkannt hat, dass Meinungsfreiheit die höchste Auszeichnung eines demokratischen Rechtsstaates ist, das ist natürlich die Frage. Die andere Frage ist, inwiefern er dazu bereit ist, dann eben als „Querulant“ hingestellt zu werden. Hoffen wir, dass es die freie Meinungsäußerung nicht schon bald mit Zivilcourage gleichgesetzt wird, denn dann ist die Freiheit der Meinung schon arg in den Kerker gerutscht.