Die Schwierigkeiten mit dem 30. Jahrestag des Mauerfalls

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Von Gastautorin Angelika Barbe und Vera Lengsfeld

Das Jubiläum hatten die Spitzen des Staates eigentlich vergessen. Erst im letzten April wurden die Beamten des Heimat-und Innenministeriums von diesem nationalen Gedenktag überrascht. Sie mußten kurzfristig beim Finanzminister Scholz wegen einer „überplanmäßigen Ausgabe“ um einen Termin bitten. 61 Millionen € für ein „unvorhergesehenes Bedürfnis“, wie Staatssekretärin Hagedorn schrieb, müssten nachträglich in den Haushalt eingestellt werden. Mit dem eilends zugesicherten Etat wurde dann vom Kabinett eine Kommission: „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ eingesetzt. Sie wird von Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck geleitet, der vor der Abstimmung über den Einigungsvertrag in der DDR-Volkskammer 1990 „feige den Saal verlassen“ (Hubertus Knabe) hatte. Patronage ersetzt offensichtlich Courage.


Nun soll das Jubiläum mit Diskussionsveranstaltungen so gefeiert werden, dass es Ost und West eint. Zum Auftakt traf man sich am historischen Tagungsort des Zentralen Runden Tisches im Torhaus des Schlosses Schönhausen – am 9. September, dem Gründungsdatum des neuen Forums vor 30 Jahren. Matthias Platzeck und der Ostbeauftragte Christian Hirte eröffneten mit kurzen, nichtssagenden Erinnerungen an 1989. Staatssekretär Markus Kerber nannte die Friedliche Revolution immerhin „demokratiehistorisch einzigartig“. Was den in Ulm Gebürtigen zu dem Grußwort qualifizierte, erschließt sich erst aus seiner Biographie. Immerhin organisierte er 2006 die erste Deutsche Islamkonferenz.

Der ungarische Bürgerrechtler und Autor György Dalos fragte in seiner Rede, wie man als Einzelner in einer Diktatur die Hoffnung auf die Freiheit behalten konnte, wenn doch die Sowjetunion jeden Reformversuch in den Ländern ihres Machtbereichs im Keim erstickte und mit Panzern niederschlug. Er bezeichnete es als ein Phänomen, dass die Riesenmacht Sowjetunion eisern versucht hatte, ihr kommunistisches Modell verschiedenen Ländern über Jahrzehnte aufzuzwingen, obwohl die Bürger diese Weltordnung nicht wollten. Selbst die Regierenden glaubten zum Schluss nicht mehr an die eigene Ideologie. Der Zusammenbruch war schon vor 1989 überdeutlich, weil nur die Berliner Mauer und die militärische Sowjetmacht alles zusammenhielten. Nach dem 9. November fiel das Kartenhaus endgültig zusammen.

In zwei Gesprächsgruppen wurde auf dem Podium erörtert, wie es zur Friedlichen Revolution kommen konnte und welche Ziele die verschiedenen Bürgerrechtsgruppen anstrebten. Es saßen aber nur Linke auf dem Podium, die gern die DDR demokratisiert, also bewahrt hätten und zum Teil heute noch dieser Utopie anhängen. Die Bürgerrechtlerin Gesine Oltmanns wies als einzige auf die massiven Probleme hin, die es in der DDR gab. Sie erlebte in Leipzig vor allem die massive Umweltverschmutzung. Der Verfall der Stadt aufgrund niedriger Mieten, die keine Sanierung erlaubten, wurde im Volksmund als „Ruinen schaffen ohne Waffen“ bezeichnet. Der Kurzzeit-Außenminister der Regierung de Maizière Markus Meckel erinnerte an Gorbatschows Rede 1988 vor der UNO mit dessen Ankündigung, den Ländern des Ostblocks zukünftig Wahlfreiheit zuzubilligen. Das sei ein erstes Signal des Umdenkens gewesen.

Die Bürgerrechtsgruppen in der DDR hätten unterschiedliche Ziele angestrebt. Die SPD-Gründer wollten eine parlamentarische Demokratie und entschieden sich deshalb für die Struktur einer Partei. Das Neue Forum konnte sich nicht entschließen, Partei zu werden. Vor allem verlor es seine Reputation, als die führenden Kräfte an einer eigenständigen DDR festhielten, obwohl die Mehrheit der Unterstützer die schnelle Vereinigung wollte.

Die ehemalige Ausländerbeauftragte Almut Berger behauptete, viele DDR-Bürger hätten die DDR nicht abschaffen, sondern eine soldarische Gesellschaft errichten wollen. Es sei für sie schmerzlich gewesen, als aus dem Ruf „Wir sind das Volk“ ein „Wir sind ein Volk“ wurde. Wieso es zu diesem Ruf kommen konnte, wo die Mehrheit angeblich etwas anderes wollte, erklärte sie nicht.
Reiner Eppelmann entgegnete, daß sich bei den ersten freien Wahlen 85 % der Wähler für Parteien entschieden, die für die deutsche Einheit plädierten und damit keine reformierte DDR wünschten. Der Mitbegründer des Neuen Forums Martin Klähn ergänzte, dass das „Neue Forum nach dem Mauerfall erledigt“ war. Berger und Klähn war anzumerken, dass sie bis heute nicht bereit sind, den Mehrheitswillen der DDR-Bevölkerung zu akzeptieren, sondern ihn nach wie vor für eine Verirrung halten. Bei Berger geht die Abneigung so weit, dass sie ihren Mitbürgern neonazistische und ausländerfeindliche Haltungen unterstellt. Dabei war in der DDR vor allem die Staatsführung ausländerfeindlich, die dafür sorgte, dass die Gastarbeiter, hier Vertragsarbeiter genannt, möglichst keinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung haben durften.

Der These des Historikers Pollack, nicht die Bürgerrechtler, sondern das Volk habe die DDR gestürzt, widersprach Markus Meckel vehement. Alle Straßenproteste hätten ohne das politische Handeln der Bürgerrechtler nichts bewirken können. Erst mit der Gründung der Parteien, des Neuen Forums u.a. Gruppierungen wurde den Bürgern ermöglicht, politische Forderungen zu erheben, um den ewigen Machtanspruch der SED zu brechen. Den Widerspruch, dass die Bürgerrechtsparteien mehrheitlich andere Ziele proklamierten, als die Demonstranten auf der Straße, verschweig Meckel. Der Runde Tisch sei dann das Aushandlungsinstrument für freie Wahlen und die Kontrollinstanz der Regierung Modrow gewesen. Dass die Bürgerrechtler an diesem Runden Tisch nach allen Regeln der Kunst von den Altparteien und den Inoffiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit über denselben gezogen wurden, kam nicht zur Sprache. Die Entscheidung, der Westspionage der Staatssicherheit zu erlauben, ihre Akten zu vernichten, ist nur ein Beispiel dafür.

In der zweiten Runde (heute neudeutsch „Panel“ genannt) erinnerte Günter Nooke an die gemeinsamen Forderungen der Bürgerrechtler, wie Frieden, die Einhaltung der Menschenrechte und die Abschaffung der SED-Diktatur. Gerd Poppe weitete den Blick und erinnerte an die oppositionellen Freunde in der CSSR, Polen und Ungarn, mit denen man sich traf. Im Westen dagegen habe man sich nur auf wenige Freunde wie Lukas Beckmann und Petra Kelly verlassen können, deren Unterstützung sehr wichtig war. Lukas Beckmann versuchte, den Zwist zwischen Ost und West zu beschreiben. Der politische Prozess zur deutschen Einheit ging von den Bürgerbewegungen im Osten aus, sei jedoch im Westen nicht fortgeführt worden. Er bedauerte, dass die Verfassungsdiskussion zivilgesellschaftlich nicht begleitet wurde und erinnerte an Warnungen (westdeutscher) Freunde wie diese: “Du gefährdest die EU. Wenn du die Bürger beteiligst, ist die EU tot.“ In vielen Ländern hat die Mehrheit der Bürger die EU tatsächlich nicht haben wollen.

Volksabstimmungen in den Niederlanden und Frankreich scheiterten. Marianne Birthler steuerte eine These zur aktuellen Diskussion bei, die sie weder begründete noch belegte. Sie prophezeite, dass es in Zukunft auf einen Streit zwischen den Verteidigern und den Gegnern der Freiheit hinauslaufe.

Nooke dagegen ließ sich nicht davon abhalten, die Ergebnisse der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen nüchtern zu analysieren. Seiner Meinung nach hätten die Wähler ein sehr rationales Wahlverhalten gezeigt, außerdem seien 25 % AFD-Wähler weder Rassisten, noch Nazis. Offensichtlich sei im Transformationsprozess vieles nicht geklärt, was zu dem Wahlverhalten geführt habe. Er beharrte darauf, dass die Ostdeutschen demokratisch wählen und deshalb nicht stigmatisiert werden sollten. Ihm habe ein Bekannter, der sowohl in Köln als auch in Forst arbeite, erklärt: Die Ossis wollen nicht, daß es bei ihnen so aussieht, wie in Köln.

Lukas Beckmannn bestätigte , dass die Wähler gehört werden wollen, aber verstieg sich zu einer wirren These, die er nicht näher erläuterte. Seiner Ansicht nach müssen wir uns „auf unsere Werte verständigen”, aber „andere verdrängen, weil sie uns vergiften“. Wer entscheidet dann aber, was „unsere Werte“ sind „welche uns vergiften“? Rückblickend verwies Gerd Poppe auf die nicht aufgearbeitet NS-Diktatur in der DDR. Schließlich hatte die SED-geführte DDR sich zur nazifreien Republik erklärt, weil alle Nazis angeblich im Westen lebten.

Marvin Kalmbach, ein Schüler der 12. Klasse der Evangelischen Schule Köpenick, wurde zur intensiven Recherche über die DDR angeregt, als er erfuhr, dass man in der DDR schon nach 6 Monaten zum Volksrichter ausgebildet werden konnte. Er äußerte sich zur Forderung, Schüler müssten mehr über die NS-Zeit erfahren. Er habe sich in seiner Schule in drei Klassenstufen intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, aber bisher nur zwei Wochen etwas über die DDR erfahren. Das müsse sich ändern, war sein Fazit.

Neulich traf ich Herrn Platzeck als Straßenwahlkämpfer in Wittstock zur Landesgartenschau. Ich erinnerte ihn daran, dass wir SPD-Gründer vor 30 Jahren den Sturz der SED mit großer Zivilcourage betrieben. Unverständlich seien deshalb seine und die Zusammenarbeit der SPD mit der Linken, die doch die rechtsidentische SED sei. Noch unverständlicher ist, dass noch immer tausende SED-Opfer nicht entschädigt sind. Die neben ihm stehende Landtags-Kandidatin Lange behauptete – bar jeder Kenntnisse–, die Opfer könnten doch einen Antrag stellen. Ich erwiderte, dass z.B. die verfolgten Schüler zwar rehabilitiert seien, leider aber bis heute keinen Entschädigungsanspruch hätten. Matthias Platzeck stand stumm daneben. Er zog sich mal wieder aus der Verantwortung wie damals beim Einigungsvertrag.

Die Bedürfnisse derjenigen, die Vorleistungen für die Deutsche Einheit erbracht haben, sind nicht „unvorhergesehen“. Sie bestehen seit 30 Jahren in der Würdigung und Anerkennung ihres Kampfes für Freiheit und Rechtsstaat. Der Einigungsvertrag hatte vor 30 Jahren eine angemessene Entschädigung aller Opfer zugesagt. Darauf müssen sie wahrscheinlich bis zum Jüngsten Tag warten.



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