Von Gastautor Prof. Dr.sc. techn. Dr. rer. nat. Wulf Bennert
Wird unser Stromnetz zum hochgefährlichen Spielzeug für Ignorant*innen?
Von Gastautor Prof. Dr.sc. techn. Dr. rer. nat. Wulf Bennert
Am 16. Oktober 2018 wurde vom Fernsehsender 3sat zu später Stunde, ab 23.15 Uhr die Sendung ausgestrahlt: „Strom aus – wie sicher sind unsere Netze?“ Die Meinungen der darin befragten Experten lauten zusammengefasst:
– Die Stabilität unseres Verbundnetzes zu erhalten, wird immer schwieriger. Um die Erzeugung zu jeder Zeit dem Verbrauch anzugleichen, waren im ganzen Jahr 2003 drei Eingriffe erforderlich, 2017 waren es im Mittel drei pro Tag.
– Ursächlich ist eine immer größere Komplexität des Netzes infolge der Energiewende durch dauerhafte Abschaltung großer Kraftwerke und die zunehmende unstete Einspeisung regenerativer Energien.
– Damit steigt die Wahrscheinlichkeit eines großflächigen und langdauernden Netzausfalls, eines sogenannten Blackout immer weiter an.
– die vermutliche Dauer eines solchen Ausfalls wird von den Experten mit sechs Tagen + angegeben.
Was würde bei einem Blackout in unserem Land geschehen?
Sofort erlöschen alle Verkehrsampeln und Leiteinrichtungen mit der Folge von massenhaften Verkehrsunfällen; tausende Menschen stecken in Fahrstühlen fest; Fernzüge stoppen auf freier Strecke und in Tunnels, ebenso wie U-Bahnen und Straßenbahnen; elektrische Beleuchtung erlischt – Straßen und Gebäude sind nachts stockdunkel; Fernseher und Radios verstummen; die Funktion der Mobilnetze ist – wenn überhaupt – nur noch für Stunden gegeben; weder mit dem Elektroherd noch mit der Mikrowelle lassen sich Speisen erwärmen; die Umwälzpumpen der Heizungen haben ihren Dienst eingestellt – in den Wohnungen wird es kalt; in den meisten Orten kommt kein Trinkwasser aus der Leitung und die Toilettenspülung geht nicht, wie auch der Geschirrspüler; Tankstellen können keinen Kraftstoff mehr abgeben und ein Aufladen des Elektroautos ist unmöglich; in den Supermärkten und vielen anderen Geschäften muss der Verkauf eingestellt werden, weil Scanner und Registrierkassen außer Funktion sind; an Geldautomaten kann man kein Geld bekommen; in den industrialisierten Landwirtschaftsbetrieben fällt die automatisierte Versorgung der Tiere mit Futter, Wasser und Frischluft genauso wie die Melkautomaten aus und lässt sich nicht durch Handarbeit ersetzen.
Nach spätestens zwei bis drei Tagen ist auch Festnetztelefonie nicht mehr möglich, man kann keine Rettungsdienste anrufen; nach der Bahn sind auch ÖPNV und Individualverkehr zum Erliegen gekommen; Krankenhäuser können ihren Betrieb nicht aufrecht erhalten, weil Kraftstoff für die Notstromaggregate fehlt; die rund 5.000 Trinkwassernotbrunnen des Landes sind mit der Versorgung von im Durchschnitt jeweils 16.000 Menschen hoffnungslos überfordert; fast alle Banken haben geschlossen – in den wenigen geöffneten wird der überstarke Andrang durch bewaffnete Kräfte in Schach gehalten; in Kühlschränken herrscht Zimmertemperatur; Gefriergut in den privaten Tiefkühltruhen beginnt ebenso wie in den großen Kühllagern zu verderben; die Entsorgung von Abwasser und Fäkalien funktioniert vielerorts nicht mehr – die Menschen verrichten ihre Notdurft bereits im öffentlichen Raum; Supermärkte mussten ihre gesamten Vorräte an gewaltbereite Kunden abgeben, Nachschub kommt praktisch nicht; die Bestände der „Zivilen Notfallreserve“ werden freigegeben, können aber den Bedarf nicht decken; die meisten Arztpraxen und Apotheken sind ohne Strom nicht arbeitsfähig und haben geschlossen; das gleiche trifft für Dialysezentren zu; Justizvollzugsanstalten ohne ausreichende Notstromkapazität müssen Häftlinge freilassen, die nun marodierend durch das Land ziehen; Anordnungen der Behörden durch Lautsprecherwagen der Polizei erreichen nur noch Teile der Bevölkerung; der öffentlichen Ordnung droht der Zusammenbruch, und noch nicht einmal die Zahl der infolge des Blackout ums Leben gekommenen Menschen lässt sich erfassen –sie dürfte in die Tausende gehen.
Wer nun meint, dieses Horrorszenario sei übertrieben, dem sei die Lektüre der Drucksache 17/5672 des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfohlen, deren Fazit zu den Folgen eines großflächigen langandauernden Stromausfalls lautet: „Betroffen wären alle Kritischen Infrastrukturen, und ein Kollaps der gesamten Gesellschaft wäre kaum zu verhindern. Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden“.
Unsere Gesellschaft ist inzwischen auf Gedeih oder Verderb auf den unterbrechungsfreien Bezug von Elektroenergie angewiesen. Der Satz eines Energieversorgers, den ich bei einer Tagung hörte: „Ein längerdauernder Stromausfall würde uns in die Steinzeit zurückwerfen.“ beschreibt es nicht zutreffend. Die Steinzeitmenschen waren für ein Überleben unter unwirtlichen Lebensbedingungen gerüstet – wir sind es nicht.
Unser Stromnetz ist ein mühsam im Gleichgewicht gehaltenes System, ………
Gelegentlich wird versichert, man müsse sich um einen Blackout keine Gedanken machen, weil das Stromnetz in Deutschland schon seit Jahrzehnten recht stabil sei und jeder Bundesbürger im statistischen Mittel nur etwa zwölf Minuten im Jahr keinen elektrischen Strom habe. Mit der gleichen Logik könnte man behaupten, dass nach der nun schon jahrelang positiven und nur mit geringen Schwankungen behafteten Entwicklung der Börse sich ein Börsencrash nicht mehr ereignen kann. Doch komplexe Systeme wie Börse und Stromnetz können ganz plötzlich und fast ohne Vorwarnung instabil werden!
Zum Verständnis der Fragilität des Netzes sollte man die wichtigsten Vorgänge kennen, ohne deren Ablauf „auf der anderen Seite der Steckdose“ es auf unserer Seite keinen Strom gäbe. „Auf der anderen Seite“ ist dafür zu sorgen, dass zu jedem Zeitpunkt exakt so viel elektrische Leistung bereit gestellt wird, wie die unzähligen verschiedenen Verbraucher in ihrer Summe gerade benötigen. Ist die erzeugte Leistung zu gering, sinkt die Netzfrequenz von 50 Hertz; ist sie zu groß, steigt die Frequenz an. Sie ist mit einer Genauigkeit von 0,4% konstant zu halten, schon Abweichungen von 2% machen einschneidende Maßnahmen erforderlich: Bei Überlast wird Verbrauchern der Strom abgeschaltet, bei Unterlast müssen Generatoren vom Netz genommen werden. Wenn das nicht hilft und die Abweichung der Netzfrequenz 5% vom Sollwert erreicht, lässt sich das Netz nicht mehr betreiben; Kraftwerke schalten sich zum Schutz ihrer Anlagen automatisch ab – es droht der Blackout. Der ständige Abgleich von Erzeugung und Verbrauch erfolgt nicht vollautomatisch, in diesen Regelkreis sind Menschen einbezogen. Ihre höchst verantwortungsvolle Tätigkeit wird Kraftwerksmanagement genannt. Sie können diese Aufgabe nur erfüllen, wenn sie ausreichenden Zugriff auf Reserven von Energieerzeugern haben, die in Primär-, Sekundär- und Tertiärreserven eingeteilt werden. Die Primärreserve muss innerhalb von 15 Sekunden zur Hälfte und innerhalb von 30 Sekunden vollständig zur Verfügung stehen – das schaffen nur bereits rotierende Generatoren von in Betrieb befindlichen Großkraftwerken. Damit diese Reserve wieder für neue Eingriffe zur Verfügung stehen kann, soll sie innerhalb von 15 Minuten von der Sekundärreserve abgelöst werden, die in Deutschland fast vollständig von Pumpspeicherwerken erzeugt wird. Solche Kraftwerke stehen innerhalb von Minuten übrigens wahlweise als Erzeuger oder Verbraucher bereit. So auch am 28. März 2012. An diesem Tag war durch ein unbeherrschbares Überangebot an regenerativen Energien eine höchst bedrohliche Situation im Verbundnetz entstanden. Seine Frequenz hatte sich bereits so weit erhöht, dass das Netz vor der Notabschaltung stand. Den Blackout konnten damals nur noch die Pumpspeicherwerke Thüringens verhindern, deren gewaltige Pumpen den Energieüberschuss aufnahmen.
…….. das ohnehin schon objektiven Gefahren augesetzt ist.
Kurz vor der Morgendämmerung des 2. September 1859 waren auf der Nordhalbkugel bis in in die Tropen plötzlich Polarlichter von einer Helligkeit zu sehen, bei der man Zeitung lesen konnte. Außerdem gab es weltweit schwere Störungen in den damals recht einfachen Telegrafensystemen: Telegrafisten bekamen heftige Stromschläge, und durch Funkenentladungen geriet sogar Telegrafenpapier in Brand. Ursache war ein durch koronalen Massenausstoß ausgelöster geomagnetischer Sonnensturm von außergewöhnlicher Stärke. Heutzutage hätte er ohne Zweifel einen weltweiten Blackout ausgelöst. Seitdem hat es mehrere Sonnenstürme von geringerer Stärke gegeben.
Aber auch Wetterereignisse können dem Netz zum Verhängnis werden. So brachen im November 2005 im Münsterland unter der Last großer Schneemassen mehr als 80 Hochspannungsmasten zusammen. Eine Viertelmillion Menschen war tagelang ohne Strom. Durch die zunehmende Digitalisierung der Energietechnik steigt die Gefahr von Cyberangriffen. In der Ukraine ereignete sich am 23. Dezember 2015 der weltweit erste erfolgreiche Angriff auf die Struktur einer Energieversorgung. Betroffen waren drei Versorgungsunternehmen mit mehr als 200.000 Kunden.
Zu den objektiven Gefahren, die sich niemals ganz ausschließen lassen, gehört auch menschliches Versagen, das am 4. November 2006 zu einem großräumigen Stromausfall führte, von dem die Länder Deutschland, Frankreich, Belgien, Italien, Spanien betroffen waren. Man hatte die Abschaltung zweier Hochspannungsleitungen in Niedersachsen für das Auslaufen eines Kreuzfahrtschiffes auf der Ems mangelhaft geplant. Ein völliger Zusammenbruch der Stromversorgung in Westeuropa konnte nur durch die massenhafte Abschaltung von Verbrauchern vermieden werden. Da die drei davon erfassten Teilnetze in reduzierter Form noch funktionsfähig blieben, konnten sie nach relativ kurzer Zeit wieder zusammengeschaltet und die Frequenz stabilisiert werden – der ganz große Blackout war ausgeblieben.
Bei derartigen Störfällen im Netz wird plötzlich eine Eigenschaft von Stromerzeugern eminent wichtig, die man als Schwarzstartfähigkeit bezeichnet. Schwarzstartfähige Anlagen benötigen zum Wiederanfahren kein funktionierendes Netz. Wasser-, Pumpspeicher- und Gaskraftwerke eignen sich für einen Schwarzstart, weil die geringe Energie, die sie zum Anfahren benötigen, durch Notstromaggregate bereitgestellt werden kann. Windräder und Photovoltaikanlagen sind dagegen unfähig zu einem Schwarzstart; ein Netz, in dem ausschließlich sie den Strom erzeugten, ließe sich nach einem Blackout nicht mehr reanimieren.
Hat Politik ein Verständnis für Risiko?
Der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat (wie schon oben bemerkt) in seiner Drucksache 17/5672 ein mangeldes Bewusstsein für das Risiko eines Blackouts beklagt. Was bedeutet Risiko eigentlich? Seine mathematische Definition ist das Produkt:
Risiko = Schadenshöhe x Eintrittswahrscheinlichkeit
Risiko lässt sich also durch Einflussnahme auf die beiden Faktoren Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit vermindern. Die Schadenshöhe eines Blackout kann durch Maßnahmen des Zivilschutzes nur unwesentlich reduziert werden; vor allem, wenn man sie so halbherzig trifft, wie bislang. Ein wenig eindrucksvoller Appell an die Bevölkerung, sich Vorräte anzulegen, wird durch Propaganda gegen „Prepper“ konterkariert, und ein dringend erforderliches netzunabhängiges Kommunikationssystem für das Handeln der Verwaltung in Katastrophenfällen gibt es nicht. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Blackout dürfte inzwischen um Größenordnungen über derjenigen eines GAU, des größten anzunehmenden Unfalls in einem deutschen Kernkraftwerk liegen.
Mit Blick auf die gigantische Höhe des wirtschaftlichen Schadens und vor allem der Verluste an Menschenleben wären zwingend sämtliche zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, damit sich die Eintrittswahrscheinlichkeit für einen Blackout wenigstens nicht noch weiter erhöht! Dazu müsste die Regierung alles unterlassen, was das Netz noch instabiler macht – sowohl auf der Verbraucherseite als auch auf der Erzeugerseite. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Verbraucherseite: Der Traum vom Batterieauto – ein Albtraum für das Netz
Noch immer hält unsere Regierung an dem Vorhaben fest, im Jahr 2020 eine Million Batterieautos auf Deutschlands Straßen rollen zu lassen; schließlich hat sie ja schon 4,7 Milliarden Euro unserer Steuergelder in dieses Ziel gesteckt. Wieviel Elektroenergie verbraucht eine solche Fahrzeugflotte im Jahr?
Unter der Annahme, dass die mittlere jährliche Fahrstrecke eines Autos 10.000 Kilometer beträgt und mit Kenntnis der relevanten Wirkungsgrade kann das Ergebnis bei Beherrschung der vier Grundrechenarten sofort ermittelt werden: 3,3 Milliarden Kilowattstunden sind für diese Autos zu erzeugen und im Netz bis zu den Ladestationen fortzuleiten. Das entspricht dem Energieverbrauch von 1,3 Millionen Zwei-Personenhaushalten – keine Kleinigkeit. Die zusätzlichen Verbraucher lassen sich in einem Notfall wegen ihrer Verteilung über die Fläche nicht separat abschalten und erhöhen auch dadurch das Risiko.
Ab 2030 sollen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nicht mehr zugelassen werden. Das Ziel ist dann eine „Elektromobilität“, die den Verbrauch von Kraftstoffen vollständig durch den Verbrauch von Elektroenergie ersetzt. Dies erfordert eine zusätzliche Erzeugung von etwa 200 Milliarden Kilowattstunden – eine Steigerung um fast 40% gegenüber dem jetzigen Stand. Dafür würden nicht nur die entsprechenden neuen Versorgungskapazitäten benötigt; für die Durchleitung der Strommengen müsste ein völlig neues Energienetz aufgebaut werden. Das Ganze wäre ein mit astronomischen Kosten verbundenes Projekt für mindestens zwei Generationen. Seine auch mit unzähligen Enteignungsverfahren verbundene Durchsetzung erscheint in einem demokratischen System, in dem Bürger vor Verwaltungsgerichten klagen dürfen, nicht wirklich möglich.
Und die so großzügig geförderte Technologie des Batterieautos ist mit einer ganzen Reihe von weiteren Problemen behaftet:
● Die Beschaffung der Rohstoffe für Lithium-Ionen-Akkus ist nicht gesichert.
● Recycling oder Entsorgung der Batterien sind noch nicht geregelt.
● Batterieautos müssen ein paar Mal um die Erde fahren, bis ihre ökologische Gesamtbilanz wenigsten die Werte eines Dieselautos erreicht hat (ARD Plusminus, 25. April 2018).
● Gefahren, die von der Batterie bei einem Unfall oder Brand ausgehen, sind nicht unerheblich.
● Die Batterien verlieren während ihrer Lebensdauer (1.000 bis 3.000 Ladezyklen) merklich an Kapazität, was ein Abnahme der anfänglichen Reichweite zur Folge hat.
● Batterieautos sind vergleichsweise teuer.
● Ihre begrenzte Reichweite steht einer breiten Akzeptanz immer noch hartnäckig entgegen.
Dabei ist das Batterieauto durchaus nicht alternativlos. Der ökologische Königsweg wäre die Wasserstofftechnologie. Wasserstoff lässt sich unter Nutzung von Sonne und Wind schadstofffrei durch Elektrolyse produzieren. Fahrzeuge, die mit einer Brennstoffzelle ausgrüstet sind, können ihn ähnlich wie Erdgas tanken. In der Brennstoffzelle wird der Wasserstoff in Wasser, Wärme und Strom umgewandelt, der dann den Elektromotor des Autos antreibt. Anstelle von Abgasen entsteht beim Betrieb nur Wasserdampf. Hyundai hat 2018 bereits die zweite Generation von SUV´s mit Brennstoffzelle auf den Markt gebracht.
Erzeugerseite: Unsere Nachbarn werden es nicht richten.
Der Winter ist in ganz Europa eine Jahreszeit mit hoher Stromnachfrage. Wenn dann bei „kalten Dunkelflauten“ , die oft wochenlang anhalten können, aus Wind und Sonne kaum noch Energie erzeugt wird, sind Kraftwerke mit „gesicherter Leistung“ gefragt, die ihren verpönten Strom aus Kohle, Erdgas und Kernbrennstoff gewinnen. In Deutschland nimmt ihr Anteil an der Erzeugung von Elektroenergie kontinuierlich ab.
Gleichzeitig werden Windräder sogar in Waldgebieten installiert, wobei Rodungen in Kauf genommen werden, deren Fläche in der Summe die des Hambacher Forstes bei weitem übertrifft. Die Regierung vertraut dabei darauf, dass Deutschland als Vorreiter der Energiewende Europas in kalten Dunkelflauten einfach Elektrizität von den Nachbarländern importieren kann.
Dass dies eine riskante Fehleinschätzung ist, zeigt die aktuelle Studie „Verfügbarkeit ausländischer Kraftwerkskapazitäten für die Versorgung in Deutschland“ des Bundesverbandes der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft. Sie weist darin dem Bundeswirtschaftsministerium grobe Rechenfehler in seinen Strategiepapieren nach. Schon jetzt hat kaum ein Nachbarland Kapazitätsreserven übrig.
Und diese Entwicklung geht weiter, denn unsere Nachbarn streben nun ebenfalls den Ausbau erneuerbarer Energien an und nehmen die sicheren Stromerzeugungskapazitäten vom Netz. Der wissenschaftliche Dienst der EU-Kommission erwartet, dass Kohlestromkapazitäten in der EU bis 2025 von derzeit 150 Gigawatt auf 105 Gigawatt zurückgehen und sich dieser Rückgang bis 2030 auf dann nur noch 55 Gigawatt fortsetzt.
Gänzlich unbeeindruckt von diesen beunruhigenden Fakten plant die Bundesregierung nicht etwa die von der Energiewirtschaft geforderten Gaskraftwerke, sondern den möglichst frühen völligen Kohleausstieg. Dafür hat sie eine Kommission mit dem Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ eingesetzt – mehr Schönfärberei geht kaum.
Die fantastische neue Energiewelt der Annalena Baerbock
Die Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, gab schon im Januar 2018 dem Deutschlandfunk ein bemerkenswertes Interview, aus dem die nachstehenden Fragen und Antworten stammen:
Schmidt-Mattern: Ein beliebtes Argument der Gegner eines schnellen Kohleausstiegs lautet ja immer wieder, dass man sagt, wenn Deutschland allzu schnell aus der Kohle aussteigt, sind wir im Zweifel an Tagen, wo nicht genug Sonne und Wind herrscht, angewiesen auf Stromimporte aus dem Ausland, sprich Atomstrom zum Beispiel aus Frankreich. Wie wollen Sie dieses Argument entkräften?
Baerbock: Natürlich ist es so, dass Versorgungssicherheit und Klimaschutz Hand in Hand gehen müssen. Genauso wie die Frage „soziale Absicherung der Beschäftigten“.
Schmidt-Mattern: Aber wie denn, Frau Baerbock?
Baerbock: Das ist ein Dreiklang. Und es ist aber so – und das ist einfach Fakt, da kommt man nicht drum herum – wir haben massiv Stromexporte. Wir exportieren ein Zehntel unseres Stroms ins Ausland, in andere Länder. Die osteuropäischen Staaten haben schon gesagt: ‚So geht das nicht weiter, ihr verstopft unsere Netze.‘ Deswegen haben wir gesagt, diese zehn Prozent Export die können wir an Kohle vom Netz nehmen. Und natürlich gibt es Schwankungen. Das ist vollkommen klar. An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet. Ich habe irgendwie keine wirkliche Lust, mir gerade mit den politischen Akteuren, die das besser wissen, zu sagen, das kann nicht funktionieren.
Die unpräzise, an Neusprech erinnernde Ausdrucksweise der grünen Bundesvorsitzenden erschwert ein Verständnis ihrer Aussagen, doch weil mit diesen Äußerungen ja möglicherweise die Richtung zukünftiger, unser Energienetz einschneidend betreffender Regierungsentscheidungen vorgegeben wird, sind sie bitter ernst zu nehmen und zu analysieren. Zu ihrer Forderung, sofort zehn Prozent der Kohlestromerzeugung vom Netz zu nehmen, sei lediglich auf die Ausführungen des vorigen Abschnitts verwiesen.
Die Aussage: „Deswegen fungiert das Netz als Speicher.“ ist dagegen zu hinterfragen, wie auch die Behauptung: „Und das ist alles ausgerechnet.“
Was bedeutet „deswegen“ im ersten Satz? Die Antwort findet sich zwei Sätze zuvor: Weil es an grauen Tagen viel weniger erneuerbare Energien gibt. Es darf bezweifelt werden, dass sich das Energienetz durch graue Tage dazu bewegen lässt, seine grundlegenden physikalischen Eigenschaften zu ändern. Denn genauso wie ein Zugseil an einem Aufzug ist es eine reine Übertragungseinrichtung für Energie und kann diese gar nicht speichern. Oder hat Frau Baerbock schon einmal erlebt, dass nach dem Ausfall des Antriebsmotors das Seil alleine den Aufzug hochgezogen hätte? Die Aussage „Deswegen fungiert das Netz als Speicher“ wurde von Frau Baerbock wohl nicht aus bloßer Unkenntnis getroffen, sondern eher aus Ignoranz – absichtlicher Unwissenheit.
Ihre Sentenz „Und das ist alles ausgerechnet“ korrespondiert ein wenig mit der biblischen Formulierung „Es steht geschrieben…“, die einen unumstößlichen Wahrheitsgehalt nahelegt. Doch zur Speichereigenschaft des Energienetzes steht weder etwas geschrieben, noch wurde sie rechnerisch behandelt. Diese Behauptung von Frau Baerbock ist unzweifelhaft eine bewusste Unwahrheit, die man landläufig auch als Lüge bezeichnen kann.
Und der Sinn des letzten, verschwurbelten Satzes der Annalena Baerbock: „Ich habe irgendwie keine wirkliche Lust….“ erschließt sich erst nach einigem Grübeln: Sie verweigert jeglichen Dialog zu ihren Aussagen.
Ich meine, kein besonders furchtsamer Mensch zu sein. Doch die Vorstellung, dass solchen Ignorant*innen nach Wahlerfolgen die Entscheidungsgewalt über unser Energienetz zufallen könnte, macht mir Angst.
Der Verfasser dieses Beitrags ist Physiker und Autor des einzigen Fachbuches zur Windenergie, das in der DDR erschien. Im den Artikel wurden wortgleiche Abschnitte aus seinem neuen, vom Kaleidoscriptum Verlag herausgegebenen Buch „Windmühlengeschichten“ aufgenommen.