von Gastautor Rainer Wolski
Am nächsten Morgen bestelle ich ein Taxi und plane, die Stadt zu erkunden und den Taxifahrer zu befragen. Als ich bei Tageslicht die Autos vor dem Hotel sehe, wird wieder sichtbar, dass es eine unübersehbare obere Kaste gibt, die sehr gut verdient. Der größte Teil der auf dem Hotel-Parkplatz geparkten Fahrzeuge sind neue Mittel- und Oberklasse Autos aus deutscher Produktion.
Das Taxi bringt mich in die Innenstadt und wir halten kurz vor dem Asylheim. Es liegt in einem Park und man kann es nur fußläufig erreichen. Im Park kleinere Gruppen von Migranten.
Ich frage nach jemandem, der Englisch spricht, es melden sich 3 Personen. Sie sagen, dass sie seit etwa 4 Monaten hier sind. Sie haben sich registriert und können deshalb im Heim wohnen, werden auch dort versorgt. Sie geben an, aus Pakistan zu kommen und die Frage, wohin in Europa beantworten sie mit: Deutschland. Ich frage, ob sie auch in Bosnien bleiben würden. „Nein, auf keinen Fall. Es ist ein armes Land“ so die Antwort. Sie hoffen, dass sich eines Tages ein Wunder ereignet und sie aus ihrer misslichen Lage erlöst werden.
Als ich zum Taxi zurückkehre, steht gegenüber ein Fahrzeug der Grenzpolizei. Sie haben mich beobachtet. Der Taxifahrer ist das gewöhnt. Er erklärt mir, dass die reichen Migranten sich mit dem Taxi zur Grenze fahren lassen, abseits der üblichen Routen. Offenbar ist das für die Taxifahrer ein gutes Geschäft. Er erklärt mir, dass viele besser situierte Migranten sich nicht anmelden, sondern Wohnungen mieten, die Örtlichkeit studieren und auf die Gelegenheit zum Übertritt auf der grünen Grenze warten. Niemand weiß, wie viele es von diesen Migranten gibt und wie viele es jeden Monat schaffen, über die Grenze zu kommen. Die Zahlen von ankommenden Migranten in Deutschland sprechen für eine hohe Erfolgsquote. Da sie besser gekleidet sind, fallen sie im Stadtbild nicht gleich auf. Sie vermeiden es, in Gruppen aufzutreten. Neulich hatte mein Taxifahrer zwei Migranten gefahren, die Fan-Kleidung eines bekannten bosnischen Fußballklubs trugen.
Wir fahren zu mehreren Buchhandlungen und fragen nach einer Landkarte von Bihac oder dem Kanton. Keine Karten im Angebot – alle schon seit Wochen ausverkauft. Die Landkartenverlage brauchen lange, um auf die Nachfrage zu reagieren, oder dürfen sie nicht?
Das Schneetreiben wird stärker und verhindert die Orientierung. Es wird also immer schwerer die Grenze zu überqueren. Die Berge, die Bihac umgeben, sind außerhalb der Straßen schon nicht mehr passierbar. An den Zufahrten wartet die Polizei.
Ich fahre zum Busbahnhof und kaufe ein Ticket nach Velika Kladusa. Der Bus fährt in 10 Minuten, aber ich finde ihn nicht. Alle Mini-Busse haben vorn ein Schild, auf dem das Fahrziel vermerkt ist. Nur ein Bus hat kein Schild. Ich frage den Fahrer. Er schaut mich prüfend an und sagt dann: „Velika Kladusa“.
Als er den Busbahnhof verlassen hat, legt er das Schild mit dem Reiseziel Velika Kladusa deutlich sichtbar vor das Lenkrad. Das Schneetreiben geht in Regen über. Der Bus braucht für die 60 km 90 Minuten. Es geht Serpentinen hoch und runter.
Angekommen in Velika Kladusa frage ich im Busbahnhof nach einem Taxi. Die Dame am Schalter fragt, wohin ich wolle. Zur Grenze – so meine Antwort. Ich erhalte eine Telefon-Nummer, rufe an und erkläre in meinem gebrochenem Bosnisch, dass ich zur Grenze will.
20 Minuten später kommt ein alter Mercedes, ohne Taxi-Schild. Der Fahrer sagt mir, dass die Fahrt zur Grenze (das sind etwa 3 km) 60 Euro kostet. Dankend lehne ich ab. Im Cafe nebenan erklärt man mir, dass es in Velika Kladusa keine Taxis gibt. Ich gehe im Ort spazieren, frage Migranten, aber sie können kein Englisch.
In einem Cafe erklärt mir eine Frau, dass es wohl weit über Tausend seien, die auf die Chance der Ausreise warten. Begonnen hatte der Zustrom im Januar dieses Jahres.
Mittlerweile sind sie eine Plage für den Ort. Der Staat lässt seine Bürger allein. Eine Demonstration in Bihac (der Kantonshauptstadt) in der letzten Woche gegen die Untätigkeit des Staates, wurde in den Medien in eine Demonstration gegen die Flüchtlinge umgedeutet.
Die Dame im Cafe erklärt mir, dass viele Bürger nicht verstehen, dass für Migranten 60 KM pro Tag für Unterkunft und Essen ausgegeben werden, während viele Bosnier mit weniger als 400 KM jeden Monat leben müssen. Die Zahl der Migranten steigt und damit die Ausgaben.
Wegen der vielen Migranten im Kanton hat sie eine interessante Erklärung.
Im Sommer 2018 erreichten die Übernachtungen von ausländischen Touristen in Sarajevo erstmals wieder die Millionengrenze – wie 1984 zur Olympiade.
Deshalb hat man im Sommer in Sarajevo die Migranten aus den Parks der Stadt vertrieben, da sie den Tourismus störten und wohlwollend zugesehen, dass viele weiterzogen.
Wer sich als Flüchtling registrierte, wurde ins etwa 25 km entfernte Hadzici gebracht und lebt nun dort im Flüchtlingsheim. Die Anzahl der Betten wird von 400 auf 900 zum Jahresende aufgestockt.
Das hat viele Migranten beschleunigt in Richtung Nordgrenze aufbrechen lassen, wo sie jetzt nach dem Grenzzwischenfall und den Protesten der Kroaten zum Teil nach Sarajevo zurückgeführt werden, um den Druck von der Grenze zu nehmen. Bosnien kann sich keinen Konflikt mit den Kroaten erlauben, ist man doch auf deren Wohlwollen bei der geplanten EU- Kandidatur angewiesen.
Am 17.11. lief der Mietvertrag für die Migrantenunterbringung in den Lagerhallen des Unternehmens Miral ab (keine Heizung, unzureichende Sanitärräume). Wohin nun mit den Migranten? Man schätzt, dass im Kanton Una-Sana etwa 2.600 Migranten leben.
Ich frage, ob es auch Migranten in der Republika Srpska (RS – dem serbischen Landesteil) gibt. Sie lacht und sagt: „Die kommen zwar über Montenegro und Serbien über die angrenzende RS ins Land, aber in der RS gibt es keine Asylantenheime. Die Polizei schickt die Muslime in den muslimischen Teil Bosniens. Und wer nicht will, erhält Nachhilfe mit dem Gummiknüppel.“
Unser Gespräch wird unterbrochen. Zwei Migranten betreten das Cafe und wollen ihr Mobiltelefon aufladen. Nischta! Ihr Chef hat Migranten den Zutritt verboten. Das ist in fast allen Läden hier so, erklärt sie mir, denn die klauen nur und es gibt Ärger.
Langsam zeichnet sich in meinem Kopf ein düsteres Bild. Was passiert wenn die Anzahl junger männlicher Migranten im Frühjahr in Bosnien und Herzegowina (BiH) weiter anwächst, aber auch deren Hoffnungslosigkeit? Oder wenn schon eher die Migranten ausrasten, aufgrund der entsetzlichen Zustände in den Unterkünften? Was, wenn es eines Tages 10.000 Migranten gibt, wovon 2.000 Kriegserfahrung haben und bereit sind zu kämpfen, da sie nichts zu verlieren haben? Wann gibt es dann die ersten Zusammenstöße?
Zur Erinnerung: Der Bürgerkrieg 1992 begann in einer aufgeheizten politischen Atmosphäre, als in Sarajevo auf einer Brücke zwei muslimische Frauen von Serben erschossen wurden. 1914 war es der Mord am österreichischen Thronfolger und seiner schwangeren Frau durch einen Serben in Sarajevo, der den Weltkrieg auslöste.
Aktuell ist die EU in einer sehr schwierigen Situation: Euro-Krise, Brexit, Migranten, Migrationspakt, Flüchtlingspakt etc. Spannungen nehmen zu in den Ländern und zwischen den Ländern, siehe Italien und EU.
Was passiert, wenn es in Bosnien Unruhen gibt, die sich schnell auf dem Balkan ausbreiten können? Zur Erinnerung: Es gibt noch unzählige Waffen und Munition aus dem letzten Krieg in Privatbesitz.
Die Lage kann auch von ausländischen Kräften weiter angeheizt werden. Im Mai 2019 sind Europawahlen und dieser Redebeitrag Nigel Farages im EU-Parlament letzte Woche zeigt deutlich die Spannungen in der EU.
Was den Migrationspakt betrifft, der Anfang Dezember in Marrakesch unterzeichnet werden soll: Der Balkan ist gespalten. Albanien, Bosnien und Montenegro sind dafür. Denn sie haben Vorteile als Transitland. Bosnien und Serbien haben mit Deutschland dieses Jahr ein Abkommen geschlossen, dass Arbeitskräfte bei Vorliegen eines Arbeitsvertrages ab 1.1.2019 unkompliziert ein deutsches Arbeitsvisum erhalten. Über den dann eintretenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften hierzulande spricht in der EU niemand. Diese Abkommen führen zumindest in Bosnien zur weiteren Destabilisierung.
Schauen sie sich nochmal in Teil I das Gehaltsniveau an. Da ist klar, wer nach Deutschland gehen wird – die Leistungsträger der gewerblichen Wirtschaft, Ärzte, Pfleger, Schwestern. Es bleiben die Staatsangestellten und die Claqueure. Wer zahlt dann meine bosnische Rente?
Mit diesen Abkommen wurde die Zustimmung dieser Staaten zum Migrationspakt erkauft.
Österreich, Ungarn, Kroatien sprechen sich gegen eine Unterzeichnung aus. Aufgrund dieser Gegenstimmen kann die EU den Pakt nicht unterzeichnen, da Einstimmigkeit gefordert wird.
Die Spaltung der EU und Europas wird also zunehmen.
Rainer Wolski, Velika Kladusa, 21.11.2018