… und wieso nicht gleich auch die Polizei und die Armee?
Von Gastautor Ernst Laub
Am 14. Mai 1941 wurde in Berlin-Plötzensee der aus Neuenburg (Schweiz) stammende Maurice Bavaud in einem Geheimprozess vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und durch das Fallbeil hingerichtet. Bavaud gestand, nach Deutschland eingereist zu sein, um den Führer am 9. November 1938 beim Gedenkmarsch zum Münchner Hitlerputsch zu erschießen. Er erklärte beiläufig, der neue Wilhelm Tell zu sein.
Dass sich ein neuer Tell an Hitler vergreifen könnte, war natürlich den Schweizern Behörden, die sich nie durch besonderen Mut ausgezeichnet hatten, sehr peinlich und sie unternahmen folglich nichts, um den jungen Helden vor seiner Hinrichtung zu bewahren. Es wurde von der Schweiz kein Begnadigungsgesuch an die Nazi-Behörden formuliert.
Bavaud gehört in eine Linie von Helden wie Georg Elser (Attentatsversuch vom 8. November 1939) und von Stauffenberg (misslungenes Attentat vom 20. Juli 1944), die ihren überragenden Mut mit ihrem Leben bezahlten.
Mit der Verurteilung Bavauds fielen auch Schiller und sein Werk bei den Nazis in Ungnade. War Wilhelm Tell für sie früher ein nordischer Freiheitsheld (der Sage nach war Tell ein Klimaflüchtling aus dem vor Überflutungen bedrohten Nordsee-Raum) so betrachteten sie ihn plötzlich als einen Terroristen. Als Reaktion auf Bavauds Attentatsversuch wurde auf persönlichen Befehl Hitlers die Aufführung von Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell in Deutschland, sowie dessen Behandlung im Schulunterricht verboten. Eine Assoziation zwischen dem Schweizer Freiheitskämpfer und dem Attentäter sollte so vermieden werden.
Der Schweizer Schriftsteller Niklaus Maienberg, der auch die familiären Bande zwischen der Weizsäcker- („ideologieresistente“ Politiker!) und der Wille-Sippe (führende deutschgesinnte Schweizer Militaristen) beleuchtete, setzte dem jungen Neuenburger ein Denkmal.
Auch die deutsche Justiz hatte sich nach 1945 mit Maurice Bavaud zu befassen: Ein durch seinen Vater angestrengter Versuch zur Rehabilitation endete am 12. Dezember 1955 mit einem Urteil des Landgerichts Berlin-Moabit, das seine Todesstrafe aufhob. Aber es blieb immer noch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes zu fünf Jahren Zuchthaus (!!!!) und zu fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehre (!!!!) bestehen. In der Urteilsbegründung hieß es: „Das Leben Hitlers ist […] in gleicher Weise als geschütztes Rechtsgut anzuerkennen, wie das Leben eines jeden anderen Menschen. Ein Rechtfertigungsgrund im Sinne einer etwa erlaubten Diktatorentötung ist dem Strafrecht fremd.“
Nun, heute tötet man keine Despoten und keine selbstherrliche Herrscherinnen mehr, und das ist gut so. Man kann sie mit demokratischen Mitteln vor undemokratischen Verhaltensstörungen schützen.
Was wäre, wenn frustrierte Angehörige von Polizei und Armee realisieren, dass sie keinen Eid auf die Kanzlerin abgelegt haben, sondern auf das Grundgesetz und entsprechend handelten. Das wäre kein Putsch, sondern ein Bekenntnis zur demokratischen Verfasstheit unseres Landes. Zu Hinrichtungen würde es nicht kommen, höchstens zum Versuch, die berechtigte Kritik mundtot zu machen.
In Macrons Frankreich, einem Land das politisch ebenso hoffnungslos wie die BRD in einem Stellungskrieg zwischen „gut“ und „böse“ blockiert ist, gärt es aber schon ein bisschen mehr. Dies gilt nicht bloß für die Intellektuellen sondern auch für höhere Militärangehörige. Vordergründig geht es um Auseinandersetzungen über das Militärbudget. Doch dahinter, wie könnte es anders sein, geht es um und Strategien und Prioritäten.
Schon 2017 wurde der Stabschef der französischen Armee, Pierre de Villiers, vom neuen Präsidenten Macron, dem selbsternannten Jupiter, zum Rücktritt gezwungen, weil er sich ihm frontal und offen in Fragen des Militärbudgets widersetzt hatte (Le Temps, 19.07.2017).
Doch noch viel politischer sind die Forderungen von Général Bertrand Soubelet (le Figaro, 20.04.2018):
„Es gehe ihm, dem ehemaligen Polizei- und heutigen Militärgeneral, um die Sicherheit, und die sehe er nicht (nur) in Afrika und im Nahen Osten gefährdet, sondern auch und gerade in Frankreich selbst.“ „Heute herrschen in seinem Land Fatalismus, Resignation und Bequemlichkeit“, so der General. Er kritisiert das Gutmenschentum (la bien-pensance) und die ideologische Verblendung der Justiz. Für Terrorismus und andere vom Ausland aus gesteuerte Verbrechen müssen endlich strenge Gesetze, die auch extrem lange Gefängnisstrafen vorsehen, erlassen und durchgesetzt werden.
„Vom Staat verlange er den unablässigen Kampf gegen jede Form von Kriminalität, mit der der islamistische Terrorismus unzertrennbar verbunden sei. Es ist Aufgabe des Staates und der Justiz, die Gebiete Frankreichs zurück zu erobern, über die er die Autorität verloren habe. Die dazu einsetzenden Mittel seien jene des Militärs.“ „Wir befinden uns im « Krieg » und wir müssen uns daher mobilisieren.“
Nun, wenn die Deutschen heute so etwas von ihren Generälen hören würden, so würden sie gleich das Militär – nicht aber Frau Merkel – abschaffen wollen?