Von Gastautor D.K.
In den vergangenen Wochen erhielt die Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik durch die Mordtat von Kandel – begangen von einem angeblich 15jährigen afghanischen „Flüchtling“ an seiner 15jährige deutsche Ex-Freundin – und die KikA-Dokumentation über die fragwürdige Liebesbeziehung einer minderjährigen Deutschen zu einem syrischen Flüchtling, der das unbedarft-naiv wirkende Mädchen als sein Eigentum vereinnahmte, eine deutliche Schubkraft. Durch beide Ereignisse sehen sich die Kritiker der Willkommenskultur bestätigt, wonach die massenhafte Aufnahme uns kulturfremd stehender Ethnien ein gewaltiges Konfliktpotential in unser Land holt.
Ich habe mich dabei an einen Roman erinnert, den ich vor vielen Jahren gelesen hatte und den ich anlässlich dieser Ereignisse zur erneuten Lektüre aus dem Bücherregal geholt habe: „Das reiche Mädchen“ von dem rumäniendeutschen Schriftsteller Richard Wagner. In diesem Buch zeichnet Wagner die Geschichte eines authentischen Falls nach, der deutliche Assoziationen zu den oben genannten aktuellen Ereignissen weckt. Es ist die Tragödie um die junge Deutsche Bille und ihren Ehepartner Dejan, einem serbischen Roma, der Anfang der 1990er Jahre als Flüchtling vor dem bosnischen Krieg nach Deutschland kam. Und schon allein dieser Einstieg zeigt, dieser Stoff aus dem Jahr 2007 ist aktueller denn je!
Bille entstammt einer großbürgerlichen Familie, die ihren Reichtum auch der Ausbeutung romanischer Zwangsarbeiter im Dritten Reich verdankt. Sie studiert Ethnologie und findet in der Arbeit an den Roma die ideale Projektionsfläche an der sie ihr persönliches Trauma aus der familiären Vergangenheit, „das große Schuldkino im engen Kopf“, abarbeiten kann. Dabei lernt sie Dejan kennen und lieben. Sie heiraten und bekommen ein Kind. Es ist dennoch eine Liebe, die nicht auf Augenhöhe stattfindet, eigentlich gar nicht stattfinden kann: Sie, die Akademikerin mit überragendem Intellekt – er, der Habenichts und Taxifahrer aus Novi Sad. Doch ist es wirklich noch Liebe, wenn Bille Dejan zum Objekt ihrer eigenen Erlösung degradiert: „Mit einem deutschen Mann dieser Art hätte sie sich nie zusammengetan.“ Dejan, verunsichert in seiner Rolle und Identität, verhebt sich in seinen Versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen. In dem Teufelskreis aus Alkohol und Schulden, in den Dejan nun gerät, entwickelt und verdichtet sich die Beziehung zur tödlichen Katastrophe. Beider Dialog über das Selbstverständnis ihrer Beziehung erinnert fatal an die umstrittene Kikss-Doku:
„Ich gehöre dir nicht, ich bin nicht dein Eigentum, falls du das sagen möchtest.“
„Du hast geschworen. Dein Schwur gilt. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Wenn du deinen Schwur brichst, verstößt du gegen das Gesetz.“
Das Verblüffendste an Wagners Geschichte ist, daß sie bereits rund zehn Jahre vor Einsetzen der Flüchtlingskrise 2015 ihre Muster literarisch vorweg nimmt: Billes romantische Verklärung des Flüchtling und Roma Dejan zum „edlen Wilden“ und wie sie mit seiner Hilfe „aus ihrem Leben ein Projekt [macht], ohne sich der wirklichen Gefahren bewusst zu sein“. Aber vor allem, wie Bille „die dramatische Situation, die Dejan zum Flüchtling werden ließ, das Glück beschert hat“. Wem treten da nicht die verzückten „Willkommens-Klatscher“ und Teddybären-Werfer auf deutschen Bahnhöfen bei der Einfahrt der zahllosen Immigranten vom September 2015 vor das geistige Auge? Die mentalen Befindlichkeiten weiter Teile der deutschen Bevölkerung, die der Grenzöffnung für den Massenansturm aus dem Orient und Afrika erst den Boden bereiteten, waren bereits lange erkennbar. Dejans abschließendes Urteil über die Deutschen kommt einer Bankrotterklärung über ihren heutigen Nationalcharakter gleich: „Fertiges Volk, denkt er. Ich könnte einen von euch hier abmurksen, jeden von euch könnte ich abmurksen, mitten im Bus, und ihr würdet so tun, als ob nichts geschehen wäre. Erst wenn die Polizei dastehen würde, würdet ihr allesamt Zeugen sein. Armes Deutschland, denkt er in seinem Zorn.“
War es eine Beziehungstat aus Eifersucht, in der kulturelle Differenzen keine Rolle spielten? Mit dem Mord an Bille platzt auch die Illusion der multikulturellen Gesellschaft. Wagner lässt am Ende des Romans zwei Positionen miteinander streiten:
„Wenn wir uns in die Zeit der frühen neunziger Jahre zurückversetzen, ist der Versuch der beiden, sich als Paar zu erfinden, und das gegen alle Widerstände, nicht doch eine bewundernswerte Sache? Letzten Endes eine Utopie?“
„Deine Utopie hat Bille das Leben gekostet, Dejan zum Mörder gemacht und Mira zur Weise. Kannst du nicht endlich die Utopie begraben?“
Unsere politische Elite hat sich in der Flüchtlingskrise endgültig verabschiedet von einem „deutschen Deutschland“ und stattdessen die „Bunte Republik“ ausgerufen. Die kulturelle Elite steht diesem Anspruch in keiner Weise fern und macht sich bereitwillig zum propagandistischen Sprachrohr dieser revolutionären Umgestaltung. Exemplarisch dafür steht der Roman „Gehen, ging, gegangen“ von Jenny Erpenbeck, die mit dieser sozialromantischen Schmonzette endgültig zur Staatskünstlerin aufgestiegen ist. Qualitativ hochwertige Literatur, die diesen Prozess kritisch reflektiert, muss man hingegen suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Die Frage, ob es ein Buch wie Richard Wagners „Das reiche Mädchen“ heutzutage durch das Lektorat eines renommierten Verlages schaffen würde, dürfte damit hinreichend beantwortet sein. Wie viele Billes müssen auf dem Altar der „Bunten Republik“ noch geopfert werden, bis sich daran etwas ändert?