Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte

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Die großen Staatsmänner, neuerdings auch Staatsfrauen, schmeicheln sich, die Geschichte zu bestimmen. Tatsächlich haben ihre nicht immer weisen Entscheidungen großen Einfluss. Damit geben sie die grobe Richtung vor. Die Details machen aber die „einfachen“ Menschen, die mit ihren Handlungen und Ideen den Geschichtsverlauf viel mehr bestimmen, als es die Politiker an der Spitze können.

 

Susanne Schädlich hat in ihren neuesten Buch „Briefe ohne Unterschrift“ solchen Menschen ein Denkmal gesetzt. Durch Zufall stieß sie bei ihren Recherchen in der Stasiunterlagenbehörde auf Berichte über eine Sendung, die das BBC von 1949 bis 1974 ausstrahlte und damit Einfluss auf das Leben tausender DDR-Bürger nahm. Schädlich ist es zu verdanken, dass ein einzigartiges Stück Zeitgeschichte dem Vergessen entrissen wurde. Sie erzählt ebenso spannend wie berührend von den Machern und den Hörern einer Sendung, die für die DDR produziert wurde, wo sie auf eine große Resonanz stieß. Manche Hörer lebten förmlich von Freitag zu Freitag, wo abends nach dem Satz „Big Ben hat sieben Uhr geschlagen“ die Stimmen derer gehört werden konnten, die sich im SED-Staat nicht äußern durften. Sendet am Freitag, hatte ein aus der DDR geflüchteter Postbeamter empfohlen, dann kann die Stasi die Adressen zwar hören, aber die Nachprüfung dauert, denn es liegt das Wochenende dazwischen. Tatsächlich kamen Anfang der Woche mehr Briefe durch, als gegen Ende.

In der Sendung wurde nichts anderes gemacht, als Hörerbriefe zu verlesen. Diese anonymen Briefe erreichten den Sender über Deckadressen in Westberlin. In den Jahren bis zum Mauerbau war es noch vergleichsweise problemlos möglich, nach Westberlin zu fahren und dort einen Brief einzuwerfen. Wie es die Menschen nach dem Mauerbau geschafft haben, trotz wachsender Stasiüberwachung immer weiter erfolgreich Briefe zum BBC zu schicken, ist unglaublich. Es zeugt von dem großen Bedürfnis nach der Freiheit, seine Meinung äußern zu können.

Schädlich geht der Frage nach, wer die Menschen waren, die diese Sendung produzierten und wer ihre Hörer. Stück für Stück rekonstruiert sie ihre Biografien, gibt ihnen ein Gesicht.

Austin Harrison war ab 1955 bis zum Schluss die Stimme dieser Sendung. Die meisten Briefe sind an ihn gerichtet. Er kommentiert sie und stellt gern unterschiedliche Meinungen zur Diskussion. Natürlich schrieben nicht nur Gegner der DDR, sondern in wachsendem Maße im Auftrag der Stasi auch ihre Unterstützer. Am Ende entwirft die Staatssicherheit einen Maßnahmeplan, um die Absetzung der Sendung zu erreichen. Es bleibt unklar, ob Harrison schließlich verstummte, weil er krank wurde, oder weil die Sendung seinen Chefs nicht mehr opportun erschien.

Harrison war ein eleganter Mann, der die DDR häufig bereiste, meistens zu Zeiten der Leipziger Messe. Er pflegte persönliche Kontakte, wurde natürlich selbst verdeckt von Stasiinformanten kontaktiert und hatte das große Glück, dass die Planungen, ihn zu verhaften, auf dem Papier blieben. Über zwanzig Jahre gehörte seine Stimme zu den bekanntesten in der DDR. Ihm gebührte ein Denkmal, oder ein Straßenname in den Neuen Ländern.

Zu seinen Hörern gehörte in den 70er Jahren ein damals 16-jähriger Junge, Karl-Heinz Borchardt, dessen einer Brief sogar in der Sendung verlesen wurde.

Schädlich rekonstruiert, wie es der Stasi gelang, den Schüler schließlich ausfindig zu machen. Das ist ein wahrer Polit-Krimi. Borchardt wurde am letzten Tag seiner letzten großen Ferien verhaftet, in das Stasigefängnis Rostock gebracht, wochenlang verhört, schließlich vor Gericht gestellt.

Er wird wegen“mehrfacher versuchter staatsfeindlicher Hetze von Publikationsorganen, die einen Kampf gegen die DDR führen“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Tat wird als Verbrechen gewertet. Die Angst vor dem minderjährigen Staatsfeind ist so groß, dass man ihn nach einem Jahr Haft in den Westen abschieben will. Borchardt wehrt sich und wird in die DDR entlassen. Er holt auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und kann erst studieren, nachdem seine Vorstrafe aus den Akten gelöscht wurde. Erst nach dem Ende der DDR eröffnet sich eine berufliche Perspektive für Borchardt.

Für diese Zeilen war er verurteilt worden:

„Ich bin 16 Jahre und möchte Ihnen einiges schreiben über die Stimmung der Jugendlichen auf die Ereignisse in der ČSSR bezogen. Der größte Teil der Schüler stimmt leider den Maßnahmen der Warschauer Paktstaaten bei. Wir sind etwa 5 Mann in unserer Klasse, die gegenteiliger Meinung sind. Am ersten Schultag wurde gleich eine Stunde über die politische Lage in der ČSSR angesetzt, wo wir unsere Meinung über die Maßnahmen der Paktstaaten zum Ausdruck bringen sollten. Was sollte ich in  dieser Stunde tun? Ich schwieg zu allen Meinungen, die vorgebracht wurden. Gegenteiliger Meinung durfte man nicht sein, da ich zur Oberschule gehe, kann man mich schnell von der Schule entfernen.“

Es ist immer wieder heilsam, sich ab und zu vor Augen zu führen, was man hinter sich gelassen hat. Das motiviert, dafür zu sorgen, dass sich die Zustände, die einen Jungen für solche Sätze zum Verbrecher stempelten und hinter Gitter brachten, nicht wiederholen.

Dafür leistet das Buch von Schädlich einen wertvollen Beitrag.



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