„Live free or die“, dieses Staatsmotto steht auf den offiziellen Autokennzeichen von New Hampshire, die von den Behörden ausgegeben werden. Eine Lebensauffassung, die in Nanny- Deutschland schon fast als subversiv angesehen wird. Wie weit geht diese Freiheit? Dieser Frage wollen wir auf den Grund gehen. Im pittoresken Portsmouth, wo wir Quartier bezogen haben, stellen sich die drei Spitzenkandidaten der Republikaner an einem Tag ihren Wählern.
Wer den Republikaner Marco Rubio live erleben will, muss früh aufstehen. Bereits um sieben werden die Türen des Frank Jones- Center geöffnet. Als wir kurz vorherankommen, hat sich schon eine ziemlich lange Schlange gebildet. Die Belohnung ist ein Platz in den vorderen Reihen, ganz dicht am Kandidaten, der in der Mitte des Saales auf einem kleinen schwarzen Quadrat steht. Anmelden konnte sich jeder. Wir haben ohne Probleme Eintrittskarten bekommen. Schon zwanzig Minuten vorher ist der Saal brechend voll. Das Publikum ist gemischt, aber weiß.
Dies ist keine Jubel-Veranstaltung, bei der die Anhänger Fähnchen schwenken und Schilder hochhalten. Hier muss sich der Kandidat hautnah stellen. ” New Hampshire ist Marco Rubio Country” verkündet ein einsames Poster. Bevor Rubio erscheint, erzählt eine Frau den Versammelten, warum sie Rubio wählen wird. Dann erscheint der Kandidat. Er wird zwar mit standing ovations empfangen, herzlich, aber nicht demonstrativ. Hier gibt es keine Applausometer. Rubio steht mitten im Raum auf Augenhöhe mit den Versammelten.
Schon nach wenigen Sätzen ist klar, warum ihn die Demokraten als Gegenkandidaten fürchten, wie keinen anderen. Er ist sachlich, zieht nicht über seine Gegner her, sondern konzentriert sich auf die Themen, die er durchsetzen will. Die für uns wichtigste Botschaft ist, dass er den schändlichen Pakt mit dem Iran am ersten Tag im Amt außer Kraft setzen würde.
Rubio entstammt einer kubanischen Einwandererfamilie, die in den 60er Jahren in die USA kam. Seine Eltern mussten hart arbeiten, um ihren vier Kindern ein Studium zu ermöglichen. Das hat ihn geprägt. Seine Anhänger sind überzeugt, dass er nicht nur die Partei, sondern auch das tief gespaltene Land versöhnen kann. Am Ende seines Auftritts durften alle, die das wollten, ihm die Hände schütteln und ein Foto mit ihm machen.
Zwei Stunden später hat sein republikanischer Konkurrent Ted Cruz seinen Auftritt in einem Toyota-Autohaus. Ein paar Besucher der Rubio-Veranstaltung fahren wie wir zum Konkurrenten. Als wir ankommen, ist die Halle schon gut gefüllt. Etwa doppelt so viele Besucher schätzen wir. Die Zusammensetzung des Publikums ist etwas anders, als bei Rubio. Mehr Arbeiter und kleine Angestellte, weniger Intellektuelle. Auch die Atmosphäre ist anders. Sie ähnelt mehr der üblichen amerikanischen Wahlkampfmaschine. Bunte Luftballons hängen von der Decke, auf großen Bildschirmen werden Videos vom Kandidaten gezeigt.
Erst zwanzig Minuten nach dem eigentlichen Veranstaltungsbeginn fährt der Bus mit dem Kandidaten vor. Dann dauert es weitere 25 Minuten, bis er endlich erscheint. Neben mir sitzt eine liberale Beobachterin. “Er kommt immer zu spät“, zischt sie mir zu. Das Publikum ist bemerkenswert geduldig. Es lacht pflichtschuldigst über die lahmen Witze, die drei Vorredner auf der Bühne machen, um die Zeit bis zum Auftritt von Senator Cruz zu überbrücken.
Endlich ist er da. Ohne ein Wort der Entschuldigung beginnt er mit einem Bekenntnis zu Amerika, bei dem alle mitsprechen, die Hand auf dem Herzen. Danach ist aus den Anwesenden eine Gemeinschaft geworden. Auch Cruz ist ruhig, sachlich, seinen Zuhörern zugewandt. Auch er erzählt Familiengeschichten, die sich ähnlich anhören, wie die von Rubio. Cruz hat eine amerikanische Mutter, aber einen kubanischen Vater. Die Vorhaben von Rubio und Cruz sind fast deckungsgleich, mit zwei Ausnahmen: Cruz outet sich als konsequenter Kämpfer gegen das Politik- Kartell von Washington.
Er fragt: “Do you want another dealmaker ore a person fighting against the violation of the constitution?” Es wird sofort klar, was seine Anhängerr wollen. Von allen Kandidaten ist Cruz der vehementeste Kritiker der gegenwärtigen Politik, nicht nur der Demokraten, sondern auch der Republikaner. Das republikanische Establishment hasst ihn noch mehr, als es Trump hasst. Cruz will nicht nur Präsident werden, sondern den Politikstil grundlegend verändern. Eine wachsende Zahl von Amerikenern will das auch.
Cruz sieht seine Kampagne, das ist der zweite Unterschied zu Rubio, als eine Graswurzelbewegung, ähnlich der, die seinerzeit Ronald Reagan an die Macht gebracht hat. Er erwähnt den Ex-Präsidenten mehrmals in seiner Rede. Cruz will die Präsidentschaftswahl zu einem Referendum machen. Nach seiner Rede und der Beantwortung von Publikumsfragen, kann man auch Cruz die Hand schütteln.
Am Vorabend hat er das bei 1300 Anhängern getan, diesmal sind es ein paar hundert. Er tut es aufmerksam und geduldig. Für die vielen privaten Fragen einer alleinstehenden Mutter nimmt er sich Zeit, obwohl er von allen Seiten umringt wird. Es ist erstaunlich, wie entspannt er bleibt. Er redet dem Volk nicht nach dem Mund, er hört zu.
Am Abend fliegt Donald Trump in Portsmouth ein. Seine Show findet in einem Community- College statt, das in der Nähe eines Privatflughafens liegt, auf dem sein Jet landen konnte. Als wir uns dem College nähern, fällt uns als erstes das große Polizeiaufgebot auf. Bewaffnete stehen schon neben den zahlreichen Souvenirständen, an denen Trump- Devotionalien verkauft werden. Gute Geschäfte scheinen aber damit hier nicht gemacht zu werden. Am Eingang findet eine Personenkontrolle statt. Alle Handys werden untersucht, jeder muss sich durchleuchten lassen.
Wir sind zwanzig Minuten vor Veranstaltungsbeginn angekommen. In der Sporthalle stehen die Menschen wie Sprotten in der Büchse. Wir sollen nach hinten durchgehen, aber es gelingt uns, dicht am Eingang in einer Lücke zwischen den Leibern stehenzubleiben. Mit dem nahen Ausgang im Blick, gelingt es mir meiner klaustrophobischen Beklemmung Herr zu werden. Aus den Lautsprechern klingt erst ” Hey, Jude” von den Beatles, dann ” Let’ s spend the night together” von den Stones. Ob die davon begeistert wären, wenn sie es wüssten, bleibt dahingestellt.
Trump erscheint zwei Minuten vor Veranstaltungsbeginn nach der Annonce: “Ladies and Gentelmen, the next president of the United States!”. Trump legt gleich los. Er spult tatsächlich all die populistischen Phrasen ab, von denen man schon in der Zeitung gelesen hat. Seine Stimme ist rauh, weil er offensichtlich bei jedem Auftritt eher brüllt als spricht. Trump beginnt mit der Flüchtlingsfrage, die nur er lösen kann – wie verrät er nicht.
Dann will er Unternehmen aus China und Mexiko zurückholen, auch das Vorhaben bleibt im Vagen. Eine Keksfabrik, die kürzlich von Chicago nach Mexiko verlegt wurde, soll boykottiert werden, japanische Autos sind auch eine Art illegaler Einwanderer. Seine Rede ist ebenso substanzlos wie unverantwortlich, aber sein Publikum, das hauptsächlich aus den Verlierern des amerikanischen Traums zu bestehen scheint, ist begeistert. “Trump, Trump, Trump” ruft die Menge und hebt Schilder in die Höhe mit dem Slogan: “The silent majority is behind Trump”.
Auf jeden Fall wird klar, warum Trump den Eindruck gewinnen konnte, er würde alle Mitbewerber weit hinter sich lassen. An Kontakt mit dem Wählern ist allerdings nicht zu denken. Trump weiß, was für sie gut ist. Für ihn, das ist die klare Botschaft seiner Inszenierung, sind sie nicht mehr als Verfügungsmasse, die ihm zum Triumph verhelfen soll.
Für mich stellet sich erstmals die bange Frage, was passieren würde, sollte Trump tatsächlich nominiert werden und die Wahl gewinnen. Das Verantwortungsgefühl, das seine Mitbewerber auszeichnet, lässt er jedenfalls vermissen, einen Plan auch. Die Wähler von Iowa scheinen das erkannt zu haben. Trumps Umfragewerte scheinen zu sinken. Die Vorwahlen haben gerade erst begonnen. Diese Wahl in Amerika wird so spannend, wie ein Krimi.