Wie ich das Kochen lieben lernte

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Zu meiner Freude habe ich festgestellt, dass viel Leser sehr interessiert an meinen kulinarischen Erlebnissen in Italien waren, ich habe sogar Mehrere Rezepte für Original-Ragú zugeschickt bekommen. deshalb habe ich mich entschlossen, einen Beitrag zu veröffentlichen, den ich für das Kulturmagazin von Schloss Rudofshausen geschrieben habe.

Als gebürtige Thüringerin waren meine ersten kulinarischen Erlebnisse von der deftigen Küche meiner Großmutter geprägt. Sie war eine Meisterin der Braten aus Schwein und Rind, auch gern als Sauerbraten, Rouladen, gefüllt mit Speck und Gewürzgurken, dazu dicke, kräftige Soßen. Ab und zu kam auch Huhn auf den Tisch, das meine Großmutter vorher selbst auf einem bestimmten Baumstumpf im Garten geköpft und von Federn befreit hatte. Wer nie Fleisch von freilaufenden Hühnern gekostet hat, weiß nicht, wie gut Geflügel schmeckt.

Das Gemüse dazu war leider meist zerkocht. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Fleisch allein. Die Kartoffeln wurden grundsätzlich mit jeder Menge Kümmel serviert. Das sollte ihre Bekömmlichkeit steigern, es wuchs aber lediglich meine Abneigung gegen die nahrhafte Knolle. Es sollte Jahrzehnte dauern, ehe ich die Kartoffel neu entdeckte.

Sonntags gab es Klöße, entweder Thüringer oder Wickelklöße, die ich besonders liebte, wenn sie am folgenden Tag in der Pfanne aufgebraten wurden. Als Kompott wurde stets Eingemachtes serviert: Kirschen, Pflaumen, Erdbeeren oder Birnen.

Den ganzen November über bereitete sich meine Großmutter auf Weihnachten vor, buk ein Dutzend Stollen, die dann wochenlang auf dem Schrank im kalten Schlafzimmer reiften, Plätzchen, Marzipankugeln und besonders köstlich „Nonnefürzchen“, aus einem Haferflocken-Kakao-Gemisch, dessen Geheimnis meine Großmutter leider mit ins Grab genommen hat. „Wie ich das Kochen lieben lernte“ weiterlesen

Brechts Lai-Tu oder die talentierte Ruth Berlau

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Die interessanteste Publikation des Eulenspiegel-Verlags in diesem Jahr ist ohne Frage Hans Bunges Buch über seine Gespräche mit der langjährigen Mitarbeiterin und Geliebten von Bertold Brecht, Ruth Berlau. Es ist eine überarbeitete und ergänzte Neuauflage der Erstausgabe von 1987, die nach vielen Schwierigkeiten, die Brecht-Erbin Barbara Brecht-Schall machte, auch in der DDR erschien und schnell zum Klassiker für Brecht-Forscher avancierte. Obwohl es in erster Linie von einer ungewöhnlichen Frau handelt, erfährt man viel über den Dichter, dem sie ihr Leben widmete. Brechts Werk ist ohne seine Mitarbeiterinnen undenkbar. Er lieferte die Erstfassung eines jeden Textes, der dann in intensiven Diskussionen weiterentwickelt wurde. Viele Hinweise, Vorschläge, Gedanken, Verbesserungen flossen in Brechts Texte ein. Zwar hat Berlau nicht, wie Elisabeth Hauptmann an der Dreigroschen-Oper, direkt mitgeschrieben, aber da sie neben Weigel und Hauptmann seine langjährigste Beziehung war, steckt viel Berlau in Brecht-Texten.

Schon ihr Leben vor Brecht war bemerkenswert. Geboren wurde sie in eine wohlhabende dänische Familie. Nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter und der darauf folgenden Trennung von ihrem Vater, musste die mit großer Schönheit gesegnete Berlau für ihre Familie sorgen. Sie zog einen florierenden Kaffeeverkauf auf, der sie wirtschaftlich unabhängig machte. Als sie keine Neigung mehr dazu spürte, bot sie einer Zeitung an, mit dem Fahrrad von Kopenhagen nach Paris zu fahren und von ihren Abenteuern unterwegs zu berichten. Da die Fahrt aber „stinklangweilig“ wurde, erfand sie ihre Abenteuergeschichten einfach. Das Publikum war von der Serie begeistert. Als sie ihre Rückkehr ankündigte, warteten hunderte Menschen auf dem angegebenen Platz, um Berlau zu begrüßen. Danach war sie in Dänemark eine bekannte Person. Sie wurde Kommunistin und gründete zur Unterstützung der Arbeiter ein Laientheater, dem sie viel Zeit und Kraft widmete. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als Journalistin und als Schauspielerin am Königlichen Theater. Nach der Heirat mit dem wohlhabenden und angesehenen Arzt Robert Lund gehörte sie endgültig zum dänischen Establishment. „Brechts Lai-Tu oder die talentierte Ruth Berlau“ weiterlesen

Ach, Bologna

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Umberto Eco, der es wissen musste, sagte, dass Bologna zu 50% ein malerisches Dorf sei und zu 50% eine Großstadt wie Chicago. Letztere empfing uns, als wir den Bahnhof verließen. Nach der ländlichen Idylle in Perugia und Urbino waren Lärm, Dreck  und Gestank ein Schock. Wir bezogen unser Hotel in der Nähe des Bahnhofs und machten uns unverzüglich auf in Richtung Altstadt. Die war mehr als anderthalb Kilometer weg, die wir zum großen Teil unter den berühmten Arkaden der Stadt zurücklegten. Über 40 km Arkaden überdachen die Fußgängerwege, 12 davon sind UNESCO-Weltkulturerbe.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Regierung, auch unter Meloni, im Ukrainekrieg fest an der Seite der EU und Amerikas steht, die Bevölkerung scheint aber zu großen Teilen für die Beendigung des Krieges zu sein. Meinem Hotelfenster gegenüber ist eine ganze Etage mit Regenbogen-Pace-Fahnen dekoriert, an der Hauptstraße waren ganze Fassaden damit geschmückt. Am Abend passierten wir eine Straße, über der „Imagine“ von John Lennon Zeile für Zeile als Leuchtschrift gespannt war.

Ich würde Bologna mit einer alten Frau vergleichen, in deren Gesicht die Spuren einstiger großer Schönheit noch zu erkennen sind, der Niedergang aber unverkennbar ist. Laut Reiseführer soll es sich hier um ein Gebiet im Aufschwung handeln, mit wachsender Bevölkerung. Welchen Anteil die Neubürger haben, die deutlich die Piazza Maggiore dominieren, ist unklar. „Ach, Bologna“ weiterlesen

Nicht in meinem Haus

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Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke

Trotz flächendeckender Photovoltaik und trotz allgegenwärtiger Windturbinen sind wir unangefochtener Europameister im pro Kopf Ausstoß von CO2. Zudem wird uns im europäischen Verbundnetz eine weitere Sonderstellung eingeräumt: Dank unserer kapriziösen Stromproduktion werden wir von den einen als „Master of Desaster“ verhöhnt, von den anderen, deren Kilowattstunden wir zu astronomischen Preisen kaufen,  als „Useful Idiots“. Damit das auch so bleibt haben unsere Regierenden nun einen weiteres Instrument  ins Spiel gebracht: die Wärmepumpe.

Pipi Langstrumpf zeigt wie’s geht

Der Reiz eines Kinderbuchs liegt darin, dass es die raue Wirklichkeit stak vereinfacht und ohne Gefahren darstellt, um die aufkeimende Intelligenz unserer Kleinen nicht zu überfordern und um ihre zarten Seelen nicht zu ängstigen.

Mein Eindruck ist, dass dieses Prinzip inzwischen auch in die Arbeitsweise unserer Bundesregierung eingedrungen ist, die sich weigert, Komplexität und Risiken der Wirklichkeit zu akzeptieren. Unsere Regierenden haben nicht erkannt, dass Vorhaben nationaler Tragweite nur dann gelingen können, wenn es eine klare Zielsetzung gibt, eine gründliche Planung und insbesondere eine gnadenlose Risikoanalyse.  Stattdessen handeln sie nach dem Motto von Pipi Langstrumpf:  „Das habe ich vorher noch nie versucht, umso sicherer bin ich, dass ich es schaffe.“ Und so bricht man jetzt, nach dem verhängnisvollen Atomausstieg, nach der Energie- und Verkehrswende, eine weitere Wende vom Zaun: die Wärmewende. „Nicht in meinem Haus“ weiterlesen

Urbino – Die Stadt der Kunst und der Kultur

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So sieht der Ort sich selbst und mit Recht. Hier kann man Geschichte von ihren Ursprüngen an lernen, denn es gibt sogar ein archäologisches Museum. Die Stadt hat sich ganz auf junge Besucher eingestellt. Überall finden sich Hinweise und Aufgaben für die Schulklassen, die an allen Wochentagen in der Stadt zu sehen sind.

Das bedeutendste Museum ist der Palazzo Ducale. Von außen gleicht er eher einer Festung, die er in der stürmischen Geschichte des Ortes sicher auch war.

Durch seine strategische Lage war Urbino immer wieder in die Kämpfe verwickelt, die nach der Entstehung des Vatikanstaates für die Zeit des kirchlichen Feudalismus charakteristische waren. Trotzdem entwickelte Urbino zu einer der schönsten Renaissance-Städte Italiens.

Von der Pracht im Inneren des Palastes zeugen heute noch das Arbeits-, Ankleide- und das Schlafzimmer des Herzogs, mit seinen reichen, mit Intarsien geschmückten Vertäfelungen und auch die teilweise erhaltenen Malereien im Hochzeitszimmer und dem Alkoven. In den Räumen der Herzogin sind es die Malereien oder die Stuckarbeiten an den Decken, die faszinieren. „Urbino – Die Stadt der Kunst und der Kultur“ weiterlesen

Bye, bye Perugia – Hello Urbino!

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Gern wäre ich länger geblieben, aber die Reiseplanung zwingt uns, Abschied zu nehmen. Vorher besuchen wir die älteste Kirche Perugias – ein Rundbau aus frühchristlicher Zeit an der etruskischen Stadtmauer. Ich habe selten eine so schöne Kirche gesehen, die verschiedene Kulturen miteinander verbindet. Die Säulen, die das Gewölbe tragen stammen aus römischer Zeit, sind aus unterschiedlichem Material, verschiedenfarbigen Marmor oder Granit und ungleich lang. Trotzdem entsteht ein harmonischer Gesamteindruck. Von den Wandmalereien haben nur spärliche Reste überlebt, zum Teil aber von lebhafter Farbigkeit. Auf dem Fußboden finden wir ein Pentagramm aus Marmor. Die Erbauer oder frühen Benutzer sicherten sich gegen alle Eventualitäten ab.

Auf dem Rückweg gingen wir ein Stück die Mauer entlang. Als wir an einem besonders schönen Haus vorbeikamen, begegneten uns zwei der schönen alten Italiener. Einer davon war der Besitzer des Hauses, das wir eben bewundert hatten. Er bemerkte unser Interesse und lud uns ein, ins Haus zu kommen. Die Wohnung erstreckte sich über zwei Etagen. Vom Dachgarten hatte man einen atemberaubenden Blick über die Dächer von Perugia auf die umbrische Landschaft.

Die Hausfrau war ebenso malerisch wie ihr Mann. Als wir sie fotografieren durften, war er leider verschwunden.

Wie kommt man von Perugia ins nur 120 km entfernte Urbino? Kaum mit dem Zug. Die Fahrt würde dreifaches Umsteigen erfordern und mehr als fünf Stunden dauern. Also ein Mietwagen? Unter 350€ war keiner zu bekommen. Eine Hotelangestellte bemerkte unser Dilemma und half, weil sie einen Sohn in Deutschland hat, dem es dort sehr gut geht, auf italienisch. Hier löst man Probleme, indem man jemanden kennt, der jemanden kennt. In unserem Fall war ein schon lange hier lebender Weißrusse die Rettung, der uns mit seinem in Weißrussland gebauten VW in knapp zwei Stunden nach Urbino brachte, Unterwegs, bergauf, bergab, über viele Serpentinen, wurde uns klar, welches Glück wir hatten. Für uns wäre die Fahrt sehr schwierig geworden. Am Ende legten wir dankbar auf die 200€ noch 20 drauf. „Bye, bye Perugia – Hello Urbino!“ weiterlesen

Die Perle Perugias!

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Die Nationalgalerie Umbriens ist eine der führenden Galerien Italiens, hat aber kein eigenes Haus. Sie befindet sich im Palazzo del Priori, auf zwei Etagen, die ihr von der Stadtverwaltung überlassen wurden. Seit im Jahre 1918, als die Königliche Galerie Vanucci dem Staat vermacht wurde, ist sie staatlich. Eine kürzliche Generalüberholung im Jahr 2022 hat den Wert des Gebäudes erhöht und eine Präsentation ermöglicht, die wirklich sensationell ist. Für alle, die etwas über mittelalterliche Malerei wissen wollen, besonders die in Umbrien, ist Perugia ein Muss. Es geht aber nicht nur ums Mittelalter. Die Schau zeigt die Entwicklung der Malerei seit dem Mittelalter bis heute.

Wir sind vor allem hier, um die Sonderausstellung des Renaissance-Malers Pietro Perugino zu besichtigen. Goethe war zwar nicht in Perugia, er ließ auf seiner italienischen Reise Umbrien links liegen, aber er würdigte Perugino in seiner Reisebeschreibung als einen außerordentlichen Maler, der, wäre er nicht Italiener, ein „blaublütiger Deutscher“ sein müsste. Das war offenbar das höchste Lob, das der Dichterfürst zu vergeben hatte.

Die Sammlung Perugias besitzt natürlich eine große Anzahl der Werke Peruginos, in der permanenten Ausstellung füllen sie zwei Säle. Aber jetzt sind Peruginos aus aller Welt zu sehen. Auch die Berliner Nationalgalerie ist mit zwei Gemälden vertreten. Zu unserer großen Freude hängt eins davon ganz vorn. Maria mit dem Kinde.

Wer staunend durch die Ausstellung geht, könnte auf die Idee kommen, die italienische Renaissance-Malerei wäre die Spitze der erreichbaren Meisterschaft. Falsch. Mein Reisegefährte HP erklärt mir im Saal mit den Porträts anhand von Fotos, die er von den Holländern gemacht hat, warum die einen Schock auslösten, als ihre Gemälde in Italien ankamen: Wo zum Beispiel die Italiener noch flächige Frisuren präsentierten, malten die Holländer jedes einzelne Härchen. Auch die Augen der Niederländer waren viel Sprechender. Ihre Gewänder lebendiger. „Die Perle Perugias!“ weiterlesen

Endlich Perugia!

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Der Name dieser umbrischen Stadt prägte sich mir erstmals tief ein, als es um die Mitte der 80er Jahre herum hieß, dort würde ein bedeutender Kongress der Friedensbewegung stattfinden und es würden Einladungen für die unabhängige Friedensbewegung der DDR, heute Bürgerrechtsbewegung genannt, verschickt. Wir waren elektrisiert von der Aussicht, dass einige von uns und ein Visum bekommen könnten, aber am Schluss fuhren nur ein paar Vertreter der Evangelischen Kirche. Zum zweiten Mal faszinierte mich der Name Perugia, als ich im vergangenen Jahr im Latium war und mich hauptsächlich mit den Hinterlassenschaften der Etrusker, ihren atemberaubenden Nekropolen beschäftigte.

Perugia ist eine etruskische Gründung, die später von den Römern, noh später vom Mittelalter überformt wurde. Wie alle etruskischen Siedlungen liegt es auf dem Berg. Wenn man unten am Bahnhof ankommt, fährt man eine steile, endlose Serpentine hinauf bis zur Altstadt. Wir kamen abends an. Unser Hotel liegt günstig am Beginn des Corsos. Wir entledigten uns schnell unseres Gepäcks und zogen los.

Als erstes mussten wir feststellen, dass sich die Klimaerwärmung von ihrer perfidesten Seite zeigte. Statt der erwarteten frühlingshaften Temperaturen kurz unterhalb der 20°C, wehte ein eisiger Wind. Wir genossen trotzdem die Aussicht von einer der vielen Aussichtsplattformen. Die untergehende Sonne brach hinter den Wolken hervor und tauchte den Stadthang in ein terracottafarbenes Licht. Darüber der dunkelblaue Himmel, der von einigen Strahlenkränzen geschmückt wurde. Ich konnte sofort das absurde Deutschland, das meine Seele aufzufressen droht, vergessen.

Am anderen Morgen begannen wir unseren Rundgang in einer Buchhandlung des legendären Millionärs Feltrinelli, der sein Leben als Unterstützer der RAF und anderer Extremisten, wie den Roten Brigaden, beendete, als er versuchte, einen Hochspannungsmast bei Mailand zu sprengen. Sein Verlag und die Buchhandlungen in ganz Italien florieren bis heute, dank des Kapitalismus, den er abschaffen wollte. Wir bekommen den Kunstführer für Perugia, der in Deutschland nicht zu bekommen war und fühlen uns für unsere Besichtigungstour gewappnet. „Endlich Perugia!“ weiterlesen

Ein Orden – aber wofür?

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Von Gastautor Hans Hofmann-Reinecke

Demnächst wird Angela Merkel mit dem höchsten Orden ausgezeichnet, den Deutschland verleihen kann. Hat sie diese Ehre verdient? Und wenn ja, wofür?

Das Vaterland

Der ehemaligen Bundeskanzlerin, von 2005 bis 2021 im Amt, soll am 17. April das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik in besonderer Ausführung verliehen werden. Nach Adenauer und Kohl wird ihr als Dritter diese höchste Ehrung zuteil. Ob die Auszeichnung gerechtfertigt ist, das lässt sich beurteilen, wenn man einen Blick in den entsprechenden „Stiftungserlass“ wirft (Fettdruck vom Autor):

„In dem Wunsche, verdienten Männern und Frauen des deutschen Volkes und des Auslandes Anerkennung und Dank sichtbar zum Ausdruck zu bringen, stifte ich am 2. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Der Orden wird verliehen für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten, und soll eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt.“

Man erkennt sofort, dass der Text Begriffe enthält, die von der zu ehrenden Person wenig respektiert oder sogar abgelehnt werden. Das „deutsche Volk“, wurde ja inzwischen abgeschafft. Damit waren wohl die gemeint, die schon länger hier leben. Und ihre Liebe zum Vaterland kam zum Ausdruck, wenn sie schwarz-rot-gold in den Papierkorb warf oder wenn sie beim Abspielen der deutschen Nationalhymne von unkontrollierbarem Schütteln erfasst wurde. Das wurde zwar von hilfreichen Fachleuten schnell als Folge eines Mangels an Flüssigkeit interpretiert. Dass der aber exakt und wiederholt beim Erklingen von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ eintrat, das legt eine andere Erklärung nahe. Könnte es ein Ausdruck seelischer Drangsal gewesen sein – aber wodurch verursacht?

Lasst Zahlen sprechen

Diese emotionalen Ereignisse sind freilich nicht die geeignete Messlatte, um Merkels Beiträge zum „friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland“ zu werten. Dazu müssen wir sachlich bleiben.

Es gab ja Kritik an ihrer Politik in Sachen Energiewende, Grenzöffnung und Meinungsfreiheit. Aber waren diese Entscheidungen denn nicht auch nützlich für die deutsche Bevölkerung? Kann man das irgendwie objektiv messen?

Kluge Soziologen haben dazu den „Life Quality Index“ (LQI) erfunden, der die Lebensqualität in einem Land nach Aspekten wie Einkommen, Lebenshaltungskosten, Sicherheit, Infrastruktur, Gesundheitssystem, Freizügigkeit etc. errechnet. Diese Elemente werden gewichtet und für jedes Land auf einer Skala von 0 bis 100 bewertet. Daraus ergibt sich dann der LQI

NUMBEO hat solche Indizes von 84 Ländern veröffentlicht, genauer gesagt dessen Mittelung über die jeweils vergangenen 12 Monate. Vergleicht man nun die LQIs besagter 84 Länder, so kann man jedem Land ein „Ranking“ zuordnen. In der Graphik ist der Verlauf des Rankings für Deutschland dargestellt.

Ist das Merkels Schuld?

2012 war Deutschland also auf Platz 2 unter den 84 ausgewählten und damit auch auf Platz 2 in der Weltrangliste. (Die übrigen Staaten dieser Erde, die nicht analysiert wurden, wie Surinam oder Vatikanstaat, spielen in einer anderen Liga und haben keinen Einfluss auf die Verteilung der vorderen Plätze.)

Viel höher konnte Deutschland nach 2012 nicht mehr rutschen: „höher nimmer, abwärts immer“. Und genau in diese Richtung ging es dann.

Welche Entscheidungen wie viele Punkte des LQI gekostet haben soll hier nicht gemutmaßt werden. Es ist aber sicher, dass die strategischen politischen Weichenstellung wie „Energiewende“ oder Grenzöffnung sich erst nach Verzögerung bemerkbar machen, aber dann für lange Zeit wirksam sind.

Wie auch immer: Von einer Nation mit optimaler Lebensqualität ist Deutschland in den vergangenen zehn Jahren dramatisch abgerutscht. Dabei haben globale Einflüsse wie Corona oder Ukraine keinen Einfluss auf das Ranking, da sie andere Länder ebenso betreffen.

Die Krümmung der gestrichelten Kurve zeigt zudem, dass dieses Absinken nicht linear mit der Zeit verlief, sondern immer stärker wurde.

 

Wie geht es weiter?

Die Graphik gibt also wenig Anlass zu Optimismus. Wir befinden uns auf abschüssigem Terrain. Und noch etwas: Auch wenn uns das Schicksal – oder eine Erleuchtung des Wahlvolkes – demnächst eine Regierung bescheren sollte, die von Verantwortung, Kompetenz und Bescheidenheit geprägt wäre, auch dann wäre eine Umkehr nach oben schwer vorstellbar.

Deutschlands wirtschaftlicher Erfolg war weder seinen Rohstoffen, noch dem Tourismus, noch seinen billigen Arbeitskräften zu verdanken. Der Spitzenplatz unter den Industrienationen geht auf seine überragende Kompetenz in technischer Forschung, Entwicklung und Fertigung zurück. Ohne diese professionellen Qualitäten ist eine wirtschaftliche Gesundung – und damit eine Gesundung der Lebensqualität – nicht vorstellbar. Und wie sieht es damit aus? Stehen die besten Ingenieure bei uns in den Startlöchern und warten nur auf das Kommando?

Das Global Finance Magazine hat da kürzlich ein Ranking der Nationen hinsichtlich ihrer technologischen Kompetenz erstellt (2022), und da landet Deutschland auf Platz 13.

1             South Korea

2             United States

3             Denmark

4            Switzerland

5             Sweden

6            Taiwan

7             Japan

8            Netherlands

9            Finland

10           Israel

11            Singapore

12           Norway

13           Germany

 

Auch ohne abergläubisch zu sein muss man erkennen, dass das nicht gut aussieht.

 

Das beste Deutschland

Am 3. Oktober 2020 nun urteilte unser Bundespräsident: „Ja, wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“. Falls sich das „wir“ in seiner Aussage auf die direkten oder indirekten Arbeitnehmer der Politik bezieht, mag das stimmen. Selten hat es so viele davon gegeben, selten hat man ihnen so wenig abverlangt, und selten haben sie so viel dafür bekommen. Für die übrigen Deutschen allerdings war das Ranking zum Zeitpunkt obiger Äußerung bereits von Platz 2 auf Platz 9 abgerutscht. Und das war zu 100% die Verantwortung von Angela Merkel, der „mächtigsten Frau der Welt“.

Hat sie also diese Auszeichnung verdient? Machen wir einen „Lackmustest“. Fragen wir uns, wie Deutschland heute aussähe, wenn es Merkel und ihre Politik nie gegeben hätte. Stünden wir besser da? Viel besser? In solch einem Fall sollte man ihr aber keine Medaille verleihen, oder?

In einem t-online Interview vom 3.11.2021 wird Niall Ferguson die rhetorische Frage gestellt: „16 Jahre lang hat sie Deutschland regiert, Europa und den Rest der Welt zumindest mitgelenkt. Da ist ein wenig Anerkennung für Merkels Leistungen nur recht und billig – oder?“,  „Nein“ ist die Antwort des bekannten Historikers.

Nun, die Medaille wird ja von besagtem Bundespräsidenten verliehen und dessen Beurteilung der Lage kennen wir. Das ist auch nachvollziehbar. Seine Lebensqualität hat sich beim Einzug ins Schloss Bellevue sicherlich nicht verschlechtert, und daran hat ja vielleicht auch die mächtigste Frau der Welt auch etwas mitgewirkt.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

Die Katze im Käfig oder ein Mord macht keinen Schriftsteller

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Thüringen ist das Land mit der größten Theaterdichte. Das freut den Kulturliebhaber, verursacht heutzutage aber auch Probleme, vor allem bei der Finanzierung. Der Freistaat versuchte, das zu lösen, indem er Kooperationen verfügte. An einem Theater sollten nicht mehr alle Sparten bespielt werden, sondern zwei Häuser sollten sich das untereinander aufteilen. Das Theater Nordhausen liefert seine Musikproduktionen nach Rudolstadt, dass dortige Theater bespielt die Nordhäuser Bühnen mit seinen Sprechstücken.

Nun brachte Rudolstadt das Stück „Die Katze im Käfig“ in Sondershausen zur Aufführung.

Das Stück der Australierin Joanna Murray-Smith, eine bekennende Verehrerin der Queen of Crime Patricia Highsmith, handelt von den fiktiven letzten Stunden der erfolgreichen Autorin. Sie wird von ihrer Figur Tom Ripley, eine der komplexesten Möderfiguren, die je erfunden wurden, heimgesucht. Ihr Besucher führt sich als Edward ein, der angeblich von einem New Yorker Verlag in die Schweiz zum letzten Domizil von Highsmith geschickt wurde, um von ihr eine Unterschrift unter einen neuen Vertrag zu bekommen.

Was sich zwischen den beiden abspielt ist ein psychologischer Thriller. Murray-Smith geht der Frage nach, wie Highsmith zu der wurde, die sie war: Eine überaus erfolgreiche, exzentrische Einzelgängerin, deren Haus, das sie nach eigenen Vorstellungen bauen ließ, von der Straße her einem Bunker glich. Eine Frau, die von sich sagte, dass ihr Leben so langweilig gewesen sei, dass sie in ihre fantastischen literarischen Konstruktionen flüchten musste. „Die Katze im Käfig oder ein Mord macht keinen Schriftsteller“ weiterlesen