Der standhafte Verfemte

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Von Gastautor Daniel Körtel

Es gibt zwei Dinge in diesem Land, die nicht zusammenpassen. Da ist zum einen die immer wieder erhobene Behauptung von Vertretern der politischen und medialen Elite, „im besten Deutschland aller Zeiten zu leben“ (u.a. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier). Dem gegenüber steht ein demoskopisch gut abgesichertes Unbehagen weiter Teile der Bevölkerung, man könne nicht mehr frei und ungehindert seine Meinung sagen. Meinungsfreiheit – gilt die noch in Deutschland?

Einer der sich auf das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit beruft, ist der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp. Doch seine konträr zum Mainstream stehenden kritischen Ansichten zur Flüchtlingspolitik hatten für ihn unangenehme Konsequenzen. Nicht alleine sein Verlag Suhrkamp distanzierte sich von ihm. Dem einst für seinen Roman „Der Turm“ gefeierten Romancier haftet seitdem das Etikett „umstritten“ an, was Tellkamp wiederum als Auszeichnung empfindet. Aus dem Schriftsteller Tellkamp wurde der „Fall Tellkamp“.

Auffallend ist, dass sein aktueller Roman „Der Schlaf in den Uhren“ – die Fortsetzung des „Turm“ – von den Feuilletons der Mainstreammedien ausnahmslos mit teils heftigen Verrissen bedacht wurde, so als wolle man dem weitverbreiteten Eindruck der Leserschaft eines engen Meinungskorridors unbedingt Bestätigung verschaffen. Dem Erfolg des Buches tat das keinen Abbruch, im Gegenteil: Es bestätigte sich wieder einmal die Regel, daß einhellige Verrisse der Literaturkritik oft die besten Kaufempfehlungen sind.

Am vergangenen Sonntag nutzte Tellkamp die Gelegenheit, im Rahmen der Ettersburger Gespräche seinen Roman „Der Schlaf in den Uhren“ vorzustellen. Man muß das Buch vor allem als ein Wagnis bezeichnen. Ein Umfang von 900 Seiten voller surrealistischer Allegorien machen den Titel nicht gerade zu einem leichtflüssig zu lesendem Schmöker. Zwei Zeitebenen von der Wende bis zur Migrationskrise 2015 – verlagert in den fiktiven Staat Trevia – umfassen einen Plot, in dem sich der bereits im „Turm“ auftauchende Protagonist des Chronisten Fabian Hoffmann bewegt, der dabei keineswegs ein Alter Ego seines Schöpfers ist.

Es dürfte sich derzeit wohl kaum ein komplexeres Werk im aktuellen Buchhandel finden als „Der Schlaf in den Uhren“. Doch die Kritik hielt sich nicht an diesen Formalien fest, sondern an dem Plot, der beim Leser unschöne Assoziationen weckt zwischen der heutigen Bundesrepublik und der DDR: „Jetzt wagt er sich über die Bundesrepublik zu schreiben“, so Tellkamp die Kritik paraphrasierend im Gespräch mit Dr. Peter Krause, dem Direktor von Schloss Ettersburg.

Tellkamp warf der Kritik vor, nicht das Buch zu rezensieren, sondern den Autoren: „Man schließt von der politischen Einstellung auf das Kunstwerk.“ Tellkamps Absicht sei es gewesen, einen Zeitroman zu schreiben und keinen Gesellschaftsroman. Offenkundig sind die Inspirationen durch Tomas Manns „Zauberberg“, aber vor allem erklärtermaßen durch „Jahrestage“ von Uwe Johnson. Ihm ginge es um den Sprachgebrauch der Politikerzählung, ihrer Sprachbühne und -theater. „Mit dem klassischen Erzählen“, so Tellkamp, „erfassen Sie nur Teile unserer Zeit.“

Wie ist das zu verstehen? Tellkamp erläuterte das an dem Terminus „Operative Vorgänge“, mit dem die DDR-Staatssicherheit ihre Zersetzungsmaßnahmen umschrieb und den Tellkamp in seinem Buch von seiner seinerzeitigen Begrifflichkeit zu lösen versuchte, „um von der Staatssicherheit das Konkrete herauszuarbeiten und in die Ewigkeit zu übertragen“.

War es hintergründige, boshafte Ironie, als Tellkamp auf Nachfrage aus dem Publikum mit einem vielsagenden Lächeln die Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag mit „trotz Irritationen“ kommentierte? Das neue Buch sei, so Tellkamp, ein typisches Suhrkamp-Buch. Tellkamp fragte zurück, wo denn das Buch stattdessen hätte erscheinen sollen? Die Antwort: „Jedenfalls nicht im Fischer Verlag“, hingegen keineswegs ironisch auf den Rauswurf von Monika Maron aus jenem Verlag anspielend.

„Die Bücher haben ihr eigenes Schicksal“, so Tellkamp zur Rezeption seiner Werke. „Der Turm“ sei im Westen besser aufgenommen worden als im Osten, während es beim „Der Schlaf in den Uhren“ genau umgekehrt sei, was beide Bücher wie zu Zwillingen mache.

Doch wie steht es um die Meinungsfreiheit in Deutschland und wie verhält sich dazu der „Fall Tellkamp“? „Meine Meinung darf ich sagen“, so Tellkamp: „Interessant wird es, was hinterher passiert…“ Der Autor beklagte, daß er über die vielen Rechtfertigungen keine Arbeitsruhe mehr habe. Geradezu ernüchternd und schockierend seien die Vorkommnisse anläßlich seiner Lesungen im Westen, wo beispielsweise über Fake-Accounts versucht wurde, den Kartenvorverkauf zu sabotieren. Doch wie einen Hoffnungsschimmer habe es auch Beispiele zivilcouragierter Unterstützung gegeben.

Dem gegenüber stellte Tellkamp den ostdeutschen Schriftsteller Ingo Schulze, für den es kein Problem darstelle für „Die Linke“ zu kandidieren, „aber wie ein Fürst zu leben“.

Am Ende spannte Tellkamp unter dem anhaltenden Beifall der mit rund 130 Gästen ausverkauften Veranstaltung im Gewehrsaal des Weimarer Schlosses Ettersburg mit einem bemerkenswerten Satz den Bogen von seinen persönlichen Erfahrungen in der DDR zu heute: „Uwe, du hast den falschen Klassenstandpunkt.“



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