Linke-Bürgermeister mit AfD-Stimmen – eine demokratische Wahl

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Gestern Abend wurde im Berliner Bezirk Pankow in der Bezirksverordnetenversammlung ein neuer Bürgermeister und ein neues Bezirksamt gewählt (in Berlin war ja am 26. September auch Landes- und Kommunalwahl).

55 frei gewählte Bezirksverordnete aus sechs Fraktionen (Grüne, SPD, Linke, CDU, AfD und FDP) wählten in geheimer Wahl. Der Bürgermeister sitzt dem sogenannten Bezirksamt vor, welches paritätisch gemäß Wahlergebnis auf Vorschlag der jeweils vorschlagsberechtigten Fraktion sogenannte Stadträte wählt – konkret in Pankow jeweils 2 Stadträte von Wahlsiegern Grüne, einen weiteren von der Linkspartei und jeweils eine Position SPD und CDU. Das gesamte Bezirksamt wurde in den jeweiligen Wahlgängen gewählt.

Ein ganz normaler Vorgang: oder doch nicht?

Offenbar nein, denn die Wahl von Sören Benn, Linkspartei, auf Vorschlag einer sogenannten Zählgemeinschaft von Linkspartei und SPD (zusammen 23 Bezirksverordnete) erfolgte gegen die Fraktionen Grüne, CDU und FDP, die sich zwar nicht auf einen eigenen Kandidaten einigen konnten, wie gesagt gewonnen hatten die Wahl die Grünen, aber nicht für Benn waren. Sören Benn wurde im ersten Wahlgang ganz offenbar mit den 5 Stimmen der AfD gewählt, die dies auch ganz offen erklärte (er erhielt insgesamt 29 Stimmen, bei 24 Stimmen dagegen und zwei Enthaltungen – Grüne, CDU und FDP kommen auf genau 28 Stimmen – bis auf einen Verordneten haben offenkundig alle Fraktionen so gestimmt, wie sie es angekündigt hatten).

Die AfD applaudierte dem von ihr mitgetragenen Bürgermeister zur Wahl. Und dies scheint jetzt zum Problem zu werden: Der Berliner Pressewald tobt: Linker mit AfD-Stimmen zum Bürgermeister gewählt! Skandal! Dabei ist eine demokratische Wahl geheim, jeder gewählte Verordnete oder Abgeordnete hat das gleiche Stimmrecht – Mehrheit ist Mehrheit. Sollte man meinen.

Warum also die Aufregung? Natürlich, da war ja noch was: Die Wahl von Thomas Kemmerich, FDP, zum Ministerpräsidenten in Thüringen durch eine einfache Mehrheit von CDU, AfD  und FDP gegen Linkspartei, SPD und Grüne. Trotz geheimer Wahl war auch hier das Muster eineindeutig.

Thomas Kemmerich, Christian Lindner und die FDP haben damals auf Grund riesigen Drucks von Seiten der Kanzlerin Merkel, der Bundesregierung und fast aller Medien die Nerven verloren. Kemmerich ist zurückgetreten, jetzt regiert wieder der Linke Ramelow, mit Duldung der CDU.

Sören Benn hat bereits angekündigt, dass er nicht zurücktritt. Leider verbindet er das mit schlimmen Beschimpfungen gegen die AfD, die ihm ins Amt verholfen hat. Er hätte ganz cool sagen können, dass eine geheime  Wahl von frei gewählten Abgeordneten demokratisch ist. Statt dessen giftet er rum und benimmt sich wie die Karikatur von Goethes Studenten in Auerbachs Keller: Ein guter Linker mag keinen AfDler leiden, doch seine Stimme nutzt er gern. Sören Benn demonstriert damit, dass er ( wie seine Partei) noch immer nicht in der Demokratie angekommen ist.

Bleibt die Frage nach der CDU. Sie wird wohl in Sachfragen Rot-Rot in Pankow stützen, wenn Linkspartei und SPD keine Mehrheit mit den Grünen haben (in Berliner Bezirken gibt es keine formalen Koalitionen). Alles ganz normal. Die AfD wird trotz ihrer konstruktiven Unterstützung für den Bürgermeister, der aus ihrer Sicht halbwegs gute Arbeit geleistet hat, weiterhin isoliert werden. Falls die CDU die Nerven verliert und behauptet, dass sie in der Wahlkabine doch Benn gewählt hat, ohne dies vorher offen zu sagen, hätte sie jegliche Glaubwürdigkeit in Pankow und darüber hinaus verloren – ich kann nur hoffen, dass Johannes Kraft, Dirk Stettner und Kai Wegner diese Gefahr sehen.

Für mich ist nach der Wahl in Pankow endgültig klar: Das Narrativ eines „demokratischen Blocks“ auf der einen Seite und der AfD auf der anderen Seite ist als das enttarnt worden, was es von Anfang an war: Falsch und verlogen.

Demokratische Wahlen bringen demokratisch legitimierte Abgeordnete in die Parlamente, die dort an ihrer konkreten Arbeit und ihren konkreten Entscheidungen gemessen werden. So geht unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.



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