Politik braucht Vertrauen – genau das verspielt sie

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Von Gastautor: Klaus Pollmann

Die Forderungen nach einem schnelleren und effektiveren Handeln bei der Bekämpfung der Pandemie, nach Lockerungen und Alternativen zum Lockdown werden lauter und aggressiver, je länger der Lockdown anhält. Das Vertrauen der Bevölkerung sinkt, die Verunsicherung und das Gefühl, von den Verantwortlichen im Stich gelassen zu werden, steigt stetig.

Ein Lockdown, wie lange er auch immer dauert, kann das Virus nicht besiegen, sondern allenfalls seine weitere Ausbreitung eindämmen. Virus-Mutationen lassen befürchten, dass sich die Infektionen und Erkrankungen wellenartig erhöhen könnten.

Nach einem Jahr ist es endlich Zeit zu realisieren, dass wir mit dem Virus leben müssen – wohl auf Dauer. Diese Erkenntnis macht zugleich deutlich, dass der Lockdown keine Lösung sein kann, weil der Preis, den unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, den wir alle dafür bezahlen, viel zu hoch ist. Es müssen deshalb so schnell wie möglich alternative Konzepte entwickelt werden, die ein Leben mit dem Virus ohne einen ultimativen Lockdown ermöglichen.

Dass wir auch mit diesen neuen Konzepten nicht wieder so wie vor der Pandemie leben werden, sondern Einschränkungen und Opfer in Kauf nehmen müssen, muss jedoch jedem von uns bewusst sein.

Bei der Entwicklung alternativer Konzepte ist es unumgänglich, sich mit den in der Vergangenheit gemachten Fehlern auseinanderzusetzen, auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel und die von ihr inthronisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht einmal bereit sind, diese einzugestehen. Nur so ist es möglich, weitere Fehler zu vermeiden und endlich zu einem effektiveren Krisenmanagement zu kommen.

Die Exkulpation unserer Politiker, der Umgang mit einer Pandemie sei für alle Neuland gewesen, ist vordergründig. Sie vergessen dabei, dass der Deutsche Bundestag bereits in der Drucksache 17/12051 (S.5 ff und 55 ff) vom 03.01.2013 eine hypothetische Risikoanalyse zur „Pandemie durch Virus Modi SARS“ erarbeitet hatte, die dem aktuellen Szenario mit Ausnahme der Anzahl der vorhergesagten Infektionen und Todesfälle sowie des für die Entwicklung eines Impfstoffes benötigten Zeitraums sehr nahegekommen ist. Schon damals ist festgestellt worden, dass die Dauer und der Verlauf der Pandemie entscheidend von der Entwicklung und Freigabe eines Impfstoffes abhängen und die internationale Pharmaindustrie an die Grenzen ihrer Produktionskapazität gelangen werde. Unter diesen Umständen lassen sich die Entscheidungen, auf Notfallzulassungen und die Kontrolle über den Einkauf von Impfstoffen zu verzichten und ihn der EU zu überlassen, nur als unentschuldbares Versagen qualifizieren, das man auch nicht damit abtun kann, dass man im Nachhinein immer schlauer sei. Es gehören keine überragenden mathematischen Kenntnisse dazu, um festzustellen, dass die Kosten für eine Lockdown-Verlängerung wegen noch fehlender Impfstoffe die Ausgaben um ein Vielfaches übersteigen, die entstanden wären, wenn man bei verschiedenen Anbietern gleichzeitig die jeweils benötigten Mengen bestellt hätte. Darüber hinaus stellt es sich als eklatanter Ausdruck wirtschaftlicher Inkompetenz dar, wenn man in dieser Situation noch geglaubt hat, ausreichend Zeit für Preisverhandlungen zu haben statt das zu akzeptieren, was der Markt hergibt.

Vor allem weiß aber jeder, wie zeitintensiv es ist, zunächst einmal unter 27 Mitgliedstaaten einen Konsens über eine gemeinsame Impfstoffbeschaffung zu erzielen. Mit ihrer Entscheidung, die Impfstoffe über die EU zu bestellen, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die zeitliche Verzögerung ganz bewusst in Kauf genommen, um den Fortbestand der EU nicht zu gefährden, ein in Anbetracht der Eilbedürftigkeit generöses Verhalten gegenüber Mitgliedstaaten, die Deutschland in der Flüchtlingskrise jegliche Unterstützung versagt hatten. Viel gravierender ist jedoch, dass der Bundeskanzlerin die Auswirkungen ihrer abermals autarken Entscheidung auf die Bevölkerung ihres Landes erneut nachrangig erscheinen.

So wie die Verantwortlichen bei der Impfstoffbeschaffung wertvolle Zeit haben verstreichen lassen, haben sie es auch versäumt, in den letzten 12 Monaten ein alternatives Konzept für ein Leben mit dem Virus ohne einen ultimativen Lockdown zu entwickeln. Nach der in der Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013 veröffentlichten Risikoanalyse war und ist mit einer langen Dauer der Pandemie zu rechnen. Sie wird solange dauern, bis das Virus durch Medikamente und Impfstoffe beherrscht wird. Die Risikoanalyse von 2013 verhält sich nicht darüber, welche Auswirkungen die vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen insbesondere ein Lockdown mit den gegenwärtigen gravierenden Einschränkungen auf unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, ja auf jeden einzelnen von uns haben wird. Das Verhalten jedes einzelnen in der Pandemie ist geradezu die große Unbekannte in der Analyse und gleichzeitig ein großer Risikofaktor für die Verantwortlichen. Deshalb wird in der Analyse auch der Krisenkommunikation, d.h. der Information der Bürger über die Printmedien, das Fernsehen und die sozialen Medien, eine große Bedeutung beigemessen. In der Analyse wird bereits davon ausgegangen, dass die Krisenkommunikation nicht durchgängig angemessen gut gelingen, insbesondere dass die für die Umsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen erforderliche Vertrauensbildung durch widersprüchliche Aussagen von verschiedenen Behörden und Personen erschwert werde. Nur wenn die Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überzeugt sei, würden sich diese auch umsetzen lassen.

An genau dieser Stelle sind wir inzwischen angelangt. Unser Föderalismus, die ständigen Konferenzen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten/innen sowie die vorher und nachher stattfindenden Erklärungen aller Beteiligten, die angesichts des bevorstehenden Wahlkampfes noch an Schärfe gewinnen dürften, fördern neben dem Versagen bei der Impfstoffbeschaffung den sich schon seit längerer Zeit vollziehenden Vertrauensverlust. Die Risikoanalyse von 2013 enthält keine Empfehlungen, wie hierauf zu reagieren ist. Wir befinden uns in einem dynamischen Prozess, in dem schnellst möglich Lösungen gefunden werden müssen. Diese können nicht in der Fortsetzung des Status Quo, der Bekämpfung des Virus auf Sichtweite durch ständige Lockdown-Verlängerungen, bestehen.

Das aktuelle Krisenmanagement eröffnet der Bevölkerung keine längerfristige Perspektive, die ihr Hoffnung gibt und sie zur weiteren Umsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen motiviert. Die Art und Weise, wie sich die Bundeskanzlerin und unterstützend der Bundespräsident in ihren Ansprachen an die Bevölkerung wenden, ist eher dazu geeignet, Depressionen zu fördern als Hoffnung und Motivation zu erzeugen. Dasselbe gilt für die regelmäßig von den Ministerpräsidenten/innen in ihren Landtagen im Anschluss an die Konferenzen mit der Kanzlerin erfolgenden Regierungserklärungen mit ihren Durchhalteparolen und fadenscheinigen Danksagungen für das vorbildliche Verhalten der Bevölkerung des jeweiligen Bundeslandes. Die immer lauter werdende Kritik, die Politiker behandelten ihre Bevölkerung wie unmündige Kinder, ist mehr als nur berechtigt. Die Bevölkerung wünscht sich als verantwortliche Politiker keine Seelsorger, sondern Krisenmanager, die über ihre Partei- und Wahlkampfinteressen hinweg die Probleme analysieren und eindeutige Entscheidungen treffen und damit eine längerfristige Perspektive eröffnen.

So wie die Einschaltung der EU bei der Impfstoffbeschaffung hinderlich ist, behindert unsere föderalistische Grundstruktur ein effektives Krisenmanagement. Es macht in der Krise wenig Sinn, dass jedes einzelne unserer 16 Bundesländer einen eigenen Plan zur stufenweisen Lockerung des Lockdowns entwickelt. Es bedarf vielmehr einer beim Bund angesiedelten Zentralstelle, die Rahmenbedingungen für ein Leben mit dem Virus ohne ultimativen Lockdown erarbeitet. Dabei muss das mit Lockerungen verbundene Risiko der Erhöhung der Infektionen und Erkrankungen durch den Einsatz alternativer Schutzmaßnahmen kompensiert werden. Dazu gehören in erster Linie die Schnelltests. Es sollten deshalb dringend Schnelltests zugelassen und in ausreichender Menge beschafft werden, die von dem einzelnen Bürger selbst angewandt werden können. Bei negativen Schnelltests sollten Kitas, Schulen, Geschäfte, Restaurants, Fitnessstudios etc. besucht werden können. Flankierend könnte man auch daran denken, wie in Asien an den Eingängen Fiebermessgeräte einzusetzen. Gleichzeitig sollte die Strategie beendet werden, die Schutzmaßnahmen ausschließlich von dem Inzidenz- und R-Wert abhängig zu machen, deren Aussagekraft ohnehin zweifelhaft ist, da die Werte von der Anzahl der durchgeführten Tests abhängig und die Dunkelziffer nicht bekannt sind. Die Leitung der Zentralstelle könnte einem für die Krisenzeit einzusetzenden Sonderminister übertragen werden. Der Unterbau sollte mit Experten aus allen Fachbereichen besetzt werden, die zur Bekämpfung der Pandemie erforderlich sind. Die gesetzlichen Voraussetzungen, dass die Rahmenbedingungen für die Länder trotz des bestehenden Föderalismus verbindlich sind, sollten geschaffen werden, falls die bisherigen Regelungen keine ausreichende Rechtsgrundlage bilden.

Wie der Lockdown gelockert werden kann und welche Alternativen es bei der Bekämpfung der Pandemie gibt, wird in den Medien täglich erörtert. Dazu haben Politiker, Experten und Journalisten Vorschläge unterbreitet. Gleichwohl bleibt die Hoffnung auf eine Abkehr vom aktuellen Krisenmanagement begrenzt. So wie die Bundeskanzlerin 2015 in der Flüchtlingskrise und 2020 bei der Impfstoffbeschaffung autark entschieden hat, ist nicht zu erwarten, dass sie sich trotz der immer lauter werdenden Kritik von ihrem Kurs, die Schutzmaßnahmen ausschließlich von der Entwicklung der Inzidenz- und R-Werte abhängig zu machen und den Rat externer Experten zu ignorieren, abbringen lässt. Die anderen Mitglieder der Regierung, die Ministerpräsidenten/innen der Länder, das Parlament und die Opposition lassen sie gewähren. Die Situation ist zu ernst, um in der Krisenzeit Rücktrittsforderungen oder im Parlament ein konstruktives Misstrauensvotum zu stellen, schon gar nicht in einem Wahljahr und in Anbetracht der Tatsache, dass sich nirgendwo ein Politiker aufdrängt, der das Anforderungsprofil eines in dieser Zeit benötigten Krisenmanagers erfüllt.

 



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