Wie man die Bibel hoch hält

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Von Gastautor Pfarrer P.U.

Die Geste des amerikanischen Präsidenten, mit der er vor einer vernagelten Kirche die Bibel seiner Tochter in die Kameras hält, war für den Präses der rheinischen Landeskirche, Manfred Rekowski, jüngst Anlass, den Christinnen und Christen nahezubringen, „wie man die Bibel hochhält“.

Wie man das tut? „Man hält sie hoch, indem man auf einander achtet, indem man auf einander zu geht, … indem man Brücken baut und nicht die Spirale des Hasses weiterdreht …“ Eine schöne Metapher: Die Bibel hoch halten indem man ihre Botschaft hoch achtet, also, so Rekowski sinngemäß, für kulturelle Vielfalt und Frieden eintritt. Nur: Das hört sich nicht wirklich anders an als die gefühlt millionste Kampagne für Buntheit und gegen Rassismus. Wer zahlt dafür Kirchensteuer?

Die Bibel beinhaltet mehr und sie verkündigt etwas anderes als nur ein allgemeingültiges Ideal der Humanität. Sie spricht davon, dass jeder Mensch, der den Versuch unternimmt, Gutes zu tun, unweigerlich in Situationen gerät, in denen ein Gutes dem anderen Guten widerspricht. Das nennt man Dilemma, und das Leben ist voll davon. Wer Kinder erzieht, weiß das. Wer in einem Betrieb Personalentscheidungen trifft, weiß das. Und wer sich Gedanken darüber macht, welches Handy er kauft, weiß das auch. Wir alle kommen unweigerlich in Situationen, da ist einfach nicht mehr klar, was ist richtig, was ist falsch. Da macht man sich schuldig, so oder so.

Auf diese Einsicht kann man reagieren, indem man mit dem Finger auf die zeigt, die sich „noch schuldiger“ machen, in der Sprache von Präses Rekowski, die weiter an der „Spirale des Hasses“ drehen. Das gibt allen Zuhörern das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, Hass will keiner. Doch auf diese Weise grenzt man die vermeintlich Schlechteren aus. Das sorgt für Ressentiments, Frustration und Wut. Frieden kommt so nicht in die Welt

Auf die Einsicht, dass man sich so oder so schuldig macht, kann man aber auch anders reagieren. Nämlich indem man sich zusprechen lässt: Der Schmerz darüber, wie sehr ich andere verletzt oder im Stich gelassen habe, muss für mich nicht mehr handlungsleitend sein. Das ist so, weil Jesus Christus alle Schuld der Menschen durchlebt, durchlitten und zum Ausgleich gebracht hat. Das(!) ist der Weg der Bibel, des Evangeliums, und es ist der Weg Jesu Christi. Wer darauf vertraut, lebt versöhnt. Versöhnt damit, dass er sich schuldig macht. Auch versöhnt damit, dass sich andere an ihm schuldig machen. Und das ewige mit dem Finger auf andere Zeigen hört endlich auf.

Für Präses Rekowski kommt diese Dimension des Christseins nicht in den Blick. In seinen Hinweisen zum Hochhalten der Bibel nimmt er nicht ein einziges Mal auf Jesus Christus Bezug. In zweieinhalb Minuten Videobotschaft: Der Name fällt einfach nicht. Das ist traurig. Und es beschleicht einen das Gefühl, es sei symptomatisch für den Zustand einer sich selbst zunehmend erübrigenden Kirche.



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